Leider ist die Ausarbeitung kein seriöser Beitrag zur Diskussion um die Weiterentwicklung des Familienrechts und der familiengerichtlichen Verfahren in Deutschland.
Zunächst kann die gewählte Untersuchungsmethode nicht im Ansatz für sich in Anspruch nehmen, repräsentativ zu sein:
Es werden 92 Sorge- und Umgangsverfahren ausgewertet, die in den letzten etwa 20 Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Bundesgerichtshof ihren Abschluss gefunden haben. Bei jährlich etwa 150.000 Verfahren vor deutschen Familiengerichten, ist das nicht einmal ein minimaler Ausschnitt. Zudem sind Verfahren, die bis zu den obersten Gerichten gelangen, schon allein deswegen in ihrem Konfliktpotential sehr besonders. Sie haben nicht einmal ansatzweise etwas mit der durchschnittlichen täglichen Wirklichkeit vor den Familiengerichten zu tun.
Aber auch die inhaltlichen Schlussfolgerungen sind nicht seriös abgeleitet:
Die Zitate aus Gerichtsentscheidungen sind nicht einzuordnen. Es ist nicht zu erkennen, ob sie den Inhalt einer Entscheidung des Gerichtes wiedergeben oder nur das, was die Gerichte als den Sachvortrag der Beteiligten darstellen. Es wird nicht mitgeteilt, wie die Gerichte in den jeweiligen Fällen denn nun entschieden haben. Wenn in den weitaus meisten Fällen, die Hammer bespricht, die Beschwerden von den Vätern eingelegt worden sein sollen, dann scheinen die Gerichte in den Fällen also zunächst eher „pro Mutter“ entschieden zu haben.
Die Fachgruppe Familienrecht der NRV ist weit davon entfernt, die Situation der familiengerichtlichen Verfahren als problemlos darzustellen. Allerdings ist es kein auch nur halbwegs wissenschaftliches Vorgehen, aus einer Sammlung von Einzelfällen zu zitieren, um vermeintlich allgemeingültige Schlussfolgerungen abzuleiten. Die nach der Untersuchung angeblich zutage getretenen Narrative und Thesen finden sich nach unserer Erfahrung in der Wirklichkeit der Familiengerichte des Jahres 2022 nicht wieder:
– Es gibt keine verbreitete Auffassung, dass Mütter nach einer Trennung die Kinder von Vätern entfremden wollen. Vielmehr sind die Gründe für einen Streit über den Umgang immer sehr vielfältig und mögliche Lösungen immer sehr individuell.
– Es wird nicht allgemein der Vorwurf der Gewalt oder des sexuellen Missbrauchs nur als Vorwand angesehen. Vielmehr ist es forensischer Standard, bei einem solchen Vorbringen immer genau hinzusehen. Ein Miterleben von Gewalt, ein Erleben von sexuellem Missbrauch durch Kinder kann natürlich ein Grund sein, Umgang auszuschließen.
– Es gibt keine verbreitete Ansicht, dass ein 50:50 Anteil an Betreuungszeit grundsätzlich anzustreben ist. Die Rechtsprechung des BGH geht vielmehr davon aus, dass im derzeitigen Umgangsrecht (§ 1684 BGB) gerade kein Leitbild für ein bestimmtes Umgangsmodell verankert ist. Umgangsregelungen sind immer individuell. Die Anordnung eines Wechselmodells (gegen den Willen der Beteiligten) ist an strenge Voraussetzungen geknüpft, die nach unserer Erfahrung eher selten vorliegen.
– Kinder werden nicht regelmäßig durch unqualifizierte Befragungen in eine überfordernde Mitentscheidungsrolle gedrängt. Vielmehr gehört es zum Standard, Kinder altersentsprechend anzuhören und sie zwar ernsthaft zu beteiligen, aber auch immer die Verantwortung der Erwachsenen zu verdeutlichen.
– Schließlich liegt Umgangsverfahren keine indirekte Annahme zugrunde, dass Unterhaltsfragen der eigentliche Grund für die Auseinandersetzung sind.
Familiengerichte erleben, dass sich die gesellschaftliche Wirklichkeit gewandelt hat. Das führt dazu, dass Fragen des Sorgerechts und des Umgangs bei Trennungen von Elternpaaren in den letzten 20 Jahren eine viel größere Bedeutung bekommen haben. Es ist eben sehr häufig nicht mehr die klassische Rollenaufteilung, die nach einer Trennung ein Umgangsmodell dominiert. Es dürfte wohl eine gute Entwicklung sein, dass auch nach einer Trennung beide Elternteile weiter große Verantwortung für die Kinder tragen wollen. Wechselmodelle in ganz unterschiedlichen Ausprägungen kommen deswegen sicher zunehmend vor. Aber gleichwohl steht in den vielen Einzelfällen juristisch wie pädagogisch immer das Kindeswohl im Vordergrund und kein einseitiges Narrativ.
Das alles schließt natürlich nicht aus, dass es Einzelfälle gibt, in denen die Verhältnisse nicht richtig erkannt werden oder juristische oder pädagogische Fehler unterlaufen. Es muss das Bestreben aller professionell an Verfahren Beteiligter sein, den Qualitätsstandard immer weiter zu verbessern. Das Optimum ist da sicher noch nicht erreicht. Die seit diesem Jahr bestehenden Fort- und Weiterbildungspflichten für Familienrichter*innen (§ 23b GVG) und Verfahrensbeistände (§ 158a FamFG) sind nach unserer Auffassung dazu wichtige Schritte. Die Kollegen*innen und die Justizverwaltungen sind aufgefordert, das alles mit Leben zu füllen und in der Praxis wirksam werden zu lassen. Aber auch schon vorher gehörte es zum Selbstverständnis vieler Familienrichter*innen, sich gewissenhaft fortzubilden.
Die hohe Emotionalität von familiengerichtlichen Verfahren bringt es mit sich, dass Entscheidungen immer für den einen oder den anderen Elternteil mit großen Verletzungen verbunden sein können. Konflikte sind naturgemäß häufig emotional sehr aufgeladen. Einzelfälle lassen sich deswegen immer leicht in die eine wie die andere Richtung skandalisieren. Das gilt für Gerichtsentscheidungen ebenso wie für durchgeführte Inobhutnahmen, die Kinder von Eltern trennen. Aber auch wenn Jugendämter und Familiengerichte Kinder nicht durch Inobhutnahme schützen, kann das große Kritik hervorrufen. Das zeigt, dass Bewertungen ohne genaue Kenntnis von Hintergründen nicht möglich sind.
Der Autor selbst beschreibt seine Untersuchung nicht als „Studie“ und als solche darf sie angesichts der viel zu schmalen Datenbasis auch nicht missverstanden werden. Die einzelnen Fälle lesen sich erschreckend. Jedes Schicksal ist Ansporn für die Familiengerichte, durch Fortbildung und intensive Befassung mit dem Vortrag der ihnen anvertrauten Eltern und Kinder eine sachgerechte Konfliktlösung zu suchen. Und es ist sicher gut, weiter an einer Verbesserung der Strukturen zu arbeiten. Pauschale Vorwürfe und methodisch fragwürdige Verallgemeinerungen helfen aber nicht weiter, sondern sind geeignet, zu Unrecht das Vertrauen der Bevölkerung in eine funktionierende Justiz zu unterminieren.
Carsten Löbbert, Sprecher der Fachgruppe Familienrecht der Neuen Richtervereinigung (NRV)
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