Tobias Schäfer, Referent für Gewässerschutz des WWF: „Die Mitte Februar auf polnischer Seite bei Kostrzyn begonnenen Bauarbeiten schaffen vollendete Tatsachen. Dabei laufen derzeit noch Widersprüche gegen das umstrittene Ausbauvorhaben. Wissenschaftliche Expertisen belegen, dass der Oderausbau schwerwiegende Eingriffe in das Fluss- und Auenökosystem mit sich bringen würde. Geschützte Lebensräume und seltene Arten auf beiden Seiten der Grenze wären bedroht. Die Umweltverträglichkeitsprüfung trägt dem nicht angemessen Rechnung und sollte neu aufgerollt werden.“
Durch den Ausbau der Oder würden Erfolge beim Schutz von Wanderfischen wie dem Ostseeschnäpel oder dem Lachs und bei der Wiederansiedlung des Baltischen Störs zunichte gemacht, die Bestände von Großmuscheln und seltenen Insekten bedroht. Nicht zuletzt würden durch den Ausbau auch bisherige Investitionen in Schutzgebiete und Renaturierungsprojekte in Polen und Deutschland gefährdet.
Der Ausbau führt zudem zum Gegenteil dessen, was aus Gründen der Klimaanpassung geboten ist: Mehr Wasser in der Landschaft zu halten in einer ohnehin sehr trockenen Region. Durch die geplante Verengung des Flussbetts würde das Wasser schneller abfließen, der Fluss sich immer weiter eintiefen und in der Folge die umgebende Landschaft weiter austrocknen.
Auch gibt es erhebliche Zweifel an der seinerzeit angeführten Begründung des Oderausbaus mit dem Hochwasserschutz: Die im „Aktionsbündnis lebendige Oder“ zusammengeschlossenen Umweltorganisationen, darunter auch der WWF-Deutschland, halten sie für einen Vorwand, um die Oder als internationale Wasserstraße auszubauen. Diese soll dereinst von einem noch zu bauenden Containerhafen in Świnoujście über eine neue Kanalverbindung in die Donau und bis ins Schwarze Meer führen. Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie (IGB) in Berlin verweisen darauf, dass der zum Hochwasserschutz erfolgende Eisaufbruch seit 70 Jahren mit der bestehenden Eisbrecherflotte bewältigt werde und keine Vertiefung der Oder für größere Eisbrecher erforderlich sei.
Es ist davon auszugehen, dass der Oderausbau gegen das Verschlechterungsverbot der EU-Wasserrahmenrichtlinie und in der FFH-Richtlinie geregelte Vorgaben zum Naturschutz verstößt. Betroffen wäre auch der Nationalpark Unteres Odertal, Deutschlands einziger Auen-Nationalpark. Tobias Schäfer: „Auf dem Spiel steht ein frei fließender Fluss mit ausgedehnten Überflutungsauen, wie wir ihn in Mitteleuropa so nicht noch einmal finden“.
Zu der von Polen durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für das Projekt gibt es erhebliche fachliche Bedenken. Gegen die UVP sind zudem rechtliche Schritte anhängig. Angesichts der schwerwiegenden Gegenargumente spricht sich der WWF-Deutschland für eine Neubewertung des 2015 zwischen Polen und Deutschland vereinbarten Projekts unter den bislang vernachlässigten Gesichtspunkten der Biodiversität und der Klimaanpassung aus. Als erster Schritt sollte dafür das von Bundesumweltministerin Steffi Lemke und ihrer polnischen Amtskollegin Anna Moskwa vereinbarte Treffen des deutsch-polnischen Umweltrats Mitte Juli genutzt werden.
Die nun auf polnischer Seite begonnenen Arbeiten finden auf Grundlage einer vom Regionaldirektor Umweltschutz in Szczecin im März 2020 erlassenen „Umweltentscheidung“ statt. Die geplanten Ausbauarbeiten umfassen zwei Phasen: Phase I umfasst „Modernisierungsarbeiten an der Oder zur Gewährung des Eisbrechens im Winter“ auf einer Länge von 24,4 Kilometern, Phase II eine „Modernisierung der Regelungsbauwerke an der Grenzoder“ über eine Länge von 30 Kilometern. Geplant sind Regulierungs-, Umbau- und Abrissarbeiten vor allem an Buhnen und Uferbefestigungen. Auch auf deutscher Seite bestehen Ausbaupläne, die auf einer Stromregelungskonzeption von 2015 beruhen.
Der WWF Deutschland ist Mitglied des „Aktionsbündnis lebendige Oder“, in dem sich zehn deutsche Umwelt- und Naturschutzorganisationen zusammengeschlossen haben. Länderübergreifend arbeiten deutsche, polnische und tschechische Umweltorganisationen im Bündnis „Zeit für die Oder“ zusammen.
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