Urteil im Syrien-Prozess in Koblenz: Lebenslange Haft für Assad-Folterer

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat in diesem Verfahren 29 Folterüberlebende unterstützt – die Heinrich-Böll-Stiftung hat das ECCHR von Anfang an in dieser Arbeit unterstützt

Das weltweit erste Strafverfahren zu Staatsfolter in syrischen Gefängnissen ist heute zu einem historischen Urteil gekommen: Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilte den Angeklagten Anwar R. zu einer lebenslangen Haftstrafe.  Das Gericht befand Anwar R. für schuldig, als ehemaliger Leiter der Ermittlungsabteilung der Haftanstalt der Abteilung 251 des syrischen Allgemeinen Geheimdiensts und Mittäter u.a. für Folter, 27 Morde, gefährliche Körperverletzung und sexualisierte Gewalt mitverantwortlich zu sein. Seinen Mitarbeiter Eyad A. hatte das Gericht bereits im Februar 2021 wegen der Beihilfe zu Folter in mindestens 30 Fällen zu einer Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Vorständin Barbara Unmüßig erklärt für die Heinrich-Böll-Stiftung: "Dieser Erfolg ist vor allem dem Mut und Engagement der Zeug/innen und Nebenkläger/innen zu zurechnen, die ihre Folter und Haft im Al-Khatib Gefängnis bei Gericht zu Protokoll gegeben haben. Die von ihnen durchlebten Verbrechen vor dem Gericht zu beschreiben ist für die Überlebenden nicht nur eine große Belastung, sondern birgt auch ein Vergeltungsrisiko für ihre noch in Syrien lebenden Verwandten. Es ist vor allem das Verdienst dieser Syrer/innen, dass den beiden ehemaligen Regime-Funktionären nun eine gerechte Strafe widerfährt.

Es ist aber auch dem Einsatz der syrischen und deutschen Anwält/innen zu verdanken, die sich für die Überlebenden eingesetzt haben und damit heute einen ersten Schritt auf dem langen Weg zur Gerechtigkeit für syrische Zivilist/innen erreichen konnten. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat in diesem Verfahren 29 Folterüberlebende unterstützt, 14 von ihnen waren sogar Nebenkläger/innen. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat das ECCHR von Anfang an in dieser Arbeit unterstützt – wir begrüßen den Erfolg dieses Verfahrens sehr und sind dankbar für diesen Einsatz für syrische Folteropfer.

Der Prozess in Koblenz ist eine entscheidende Wegmarke in den internationalen Bestrebungen gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen in Syrien und, in einer langfristigen Perspektive, auch über die Region hinaus. Das Verfahren basiert zudem auf einer Reihe von Strafanzeigen zu Folter in Syrien, die das ECCHR zusammen mit fast 100 syrischen Folterüberlebenden, Angehörigen, Aktivist/innen und Anwält/innen seit 2016 in Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen einreichte. Dabei wird das sogenannte Weltrechtsprinzip angewendet, welches es ermöglicht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig von einem Bezug zum Inland vor nationalen Gerichten zu verhandeln. Wir unterstützen solche Verfahren und begrüßen diesen Schritt für mehr Gerechtigkeit für Syrien. Von besonderer Bedeutung ist zudem, dass sexualisierte und genderbasierte Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in das Verfahren, nicht Einzelfälle, aufgenommen wurde. Das ist wegweisend auch für künftige Verfahren.

Zwar dokumentiert das Koblenzer Oberlandesgericht die Existenz der systematischen Menschenrechtsverbrechen des mörderischen Assad Regimes, aber bei der Anklage gegen Eyad A. und Anwar R. geht es nicht um die Verbrechen des Regimes als Ganzes. Weiterhin ist dieses Regime in Syrien an der Macht, wo es täglich Menschenrechte missachtet und Zivilist/innen ohne Rechtsgrundlage inhaftiert. Laut der syrischen Menschenrechtsorganisation Syrian Network for Human Rights wurden 2021 über 2200 Verhaftungen vor allem durch das syrische Regime dokumentiert (Quelle: https://sn4hr.org/…). Über 100.000 Menschen sind seit dem Beginn der syrischen Revolution im Jahr 2011 in den Foltergefängnissen des Regimes verschwunden. Der verstärkte Einsatz für die Aufklärung über ihren Verbleib und die Freilassung der Gefangenen ist eine logische Konsequenz aus dem Urteil.

Als amtierendes Staatsoberhaupt genießt der syrische Präsident Baschar al-Assad allerdings weiterhin juristische Immunität vor nationaler strafrechtlicher Verfolgung in Drittstaaten. Trotzdem sammelte laut ECCHR der Generalbundesanwalt im Zuge seiner Ermittlungen zum Al-Khatib-Verfahren auch Informationen zu Verbrechen, die Assad mutmaßlich persönlich begangen bzw. angeordnet haben könnte. Diese Beweise könnten nach einem Amtsende genutzt werden oder wenn vor dem Internationalen Strafgerichtshof oder einem UN-Tribunal Anklage gegen ihn erhoben werden sollte. Dies wurde bisher wiederholt durch ein russisches und chinesisches Veto im UN-Sicherheitsrat verhindert.

Solange dieser Weg einer internationalen Strafverfolgung des verbrecherischen syrischen Regimes im Geiste geltenden Völkerrechts an Russland und China scheitern, ist es essenziell, weitere solche Verfahren gegen seine Handlanger vor europäischen Gerichten zu verhandeln. Die Verbrechen des Assad Regimes dürfen nicht in Vergessenheit geraten und müssen, soweit möglich, geahndet werden. Es ist allerdings klar, dass diese Verfahren ohne politischen Druck jedoch keine langfristige Veränderung der politischen Realität vor Ort hervorrufen können. Es braucht auch weiterhin klare Positionen in Richtung Syriens und Russlands, dem engsten Verbündeten Assads, die systematischen Menschenrechtsverletzungen umgehend einzustellen und den Weg freizumachen für ein Leben in Unversertheit, Sicherheit, Freiheit und Demokratie für alle Syrer/innen. Das Ziel sollte darüber hinaus weiterhin eine politische Transformation als Garant dieser Sicherheit und Freiheit sein, die eines Tages eine Strafverfolgung der Hauptverantwortlichen auf syrischem Boden ermöglicht."

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