Der 20. Bundestag konstituiert sich und wählt Bas an seine Spitze

Auf den Fluren im Reichstag quietschen die Turnschuhe, die Krawatten dagegen wehen seltener in der Westlobby: So jung, vielfältig und weiblich war der Bundestag noch nie. Und dass auch ein neuer Stil einziehen könnte, machen die konstituierende Sitzung am 26. Oktober und die Antrittsrede der neuen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas deutlich. Unterdessen laufen die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Basis ist das Sondierungspapier, weiterführende Vorschläge sickern durch.

Es ist eine Karriere, die jedem Sozi das rote Herz schmelzen lässt: Hauptschule, Abendstudium und jetzt Bundestagspräsidentin. Bärbel Bas, bis vor Kurzem noch Fraktionsvize der SPD mit dem Aufgabengebiet Gesundheit, bekleidet seit dem 26. Oktober nach dem Bundespräsidenten das zweithöchste Amt im Staat – noch vor dem Bundeskanzler. Mit großer Mehrheit – 576 von 725 Stimmen – wird die Duisburgerin gewählt. In ihrer mit Ruhrpottcharme und -humor garnierten Antrittsrede fordert sie einen anderen Stil ein. „Schlagen wir einen angemessenen Ton an. Schrille Laute hört niemand gern“, spricht sie zu den Abgeordneten und fügt hinzu: „Leise Töne übrigens auch nicht.“

Ihr politisches Steckenpferd, die Gesundheitspolitik, findet sich eher zwischen den Zeilen. Die Politik müsse sich auch um die Menschen kümmern, die nicht im Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit stehen.

Sabine Dittmar fehlt

Jetzt, da Bas Bundestagspräsidentin ist, wird sie nicht an den Koalitionsverhandlungen im Team Gesundheit und Pflege teilnehmen. Für die stärkste Fraktion im Bundestag verhandeln Gesundheitsexperte Prof. Karl Lauterbach, Bayerns SPD-Chefin Ronja Endres und Niedersachsens Sozialministerin Daniela Behrens – Verhandlungsführerin ist allerdings Dr. Katja Pähle, Fraktionschefin der Genossen in Sachsen-Anhalt. Der Name von Sabine Dittmar, in der letzten Legislatur immerhin gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, fehlt und taucht auch in anderen Arbeitsgruppen nicht auf.

Bei den anderen Parteien tun sich wenig Überraschungen auf. Für die Grünen gehen Verhandlungsführerin Maria Klein-Schmeink (bisher gesundheitspolitische Fraktionssprecherin), der Notarzt und Bundestagsabgeordnete Dr. Janosch Dahmen, Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha und die bisherige pflegepolitische Sprecherin der Bundestagsgrünen Kordula Schulz-Asche in die Gespräche. Für die FDP verhandelt an vorderster Stelle die bisherige gesundheitspolitische Sprecherin Christine Aschenberg-Dugnus sowie Gesundheitsausschuss-Obmann Prof. Andrew Ullmann, Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg und die bis dato pflegepolitische Fraktionssprecherin Nicole Westig.

Sondierungspapier ohne Reformeifer

Basis ist das zwölf Seiten lange Sondierungspapier vom 15. Oktober. Es lässt gesundheitspolitisch keinen großen Reformeifer erkennen. Vorsorge und Prävention sollen zum Leitprinzip werden. Die Bürgerversicherung kommt nicht, am bisherigen dualen System soll festgehalten werden. Ein bisschen lesen sich die angeschnittenen Themen so wie die To-Do-Liste von Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): DRGs weiterentwickeln unter besonderer Berücksichtigung von Geburtshilfe, Pädiatrie und Notfallversorgung; mehr sektorenübergreifende Kooperation und Vernetzung verschiedener Gesundheitseinrichtungen und -berufe; Stärkung und Digitalisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD); Pflegekräfte durch mehr Personal und Geld sowie weniger Bürokratie entlasten. Das hat man alles schon mal gehört und gelesen. „Klare bundeseinheitliche Vorgaben bei der Personalbemessung“ sind ebenfalls nichts Neues. Dass die Ampelfraktionen Lehren aus der Pandemie ziehen und das Gesundheitssystem krisenfester machen wollen – geschenkt.

Dass aber nicht einmal die klamme Lage der Krankenkassenfinanzen erwähnt wird, fällt schon auf. Der Bund muss schließlich weitere 14 Milliarden Euro aus Steuergeldern für das kommende Jahr zuschießen, damit die Zusatzbeiträge stabil bleiben. Da hätte man von den Ampel-Sondierern mindestens einen Halbsatz nach „Die gesetzliche und die private Kranken- und Pflegeversicherung bleiben erhalten“ erwartet.

SPD-Bausteine gehen tiefer

Ein inoffizielles SPD-Papier, das der Presseagentur Gesundheit vorliegt und „Bausteine“ für die Koalitionsverhandlungen nennt, wird da deutlicher. Es kursiert einige Tage nach Veröffentlichung der Sondierungsergebnisse. „Fehlanreize des bisherigen DRG-Systems, die teilweise zu Über- und Unterversorgung geführt haben, wollen wir bereinigen“, heißt es dort. „Finanzierungsdefizite für Krankenhäuser der Grundversorgung müssen ebenso beseitigt werden wie auch zum Beispiel bei Angeboten der Geburtshilfe sowie Kinder- und Jugendmedizin.“ Das ambulante Potenzial der Kliniken wollen die Sozialdemokraten stärker genutzt wissen und finanziell fördern, insbesondere für die Versorgung in der Fläche. Regionale Klinikstandorte sollen sich konsequent um die „ambulante Mitversorgung“ kümmern. „Ein Teil des bisher vollstationären Budgetanteils der Krankenhäuser soll zukünftig für klinisch ambulante Angebote genutzt werden, um das Prinzip ambulant vor stationär zu stärken.“

Die bisherigen Sektorengrenzen erkennt die SPD als problematisch an. „Unser Ziel sind möglichst enge Kooperationen von Krankenhäusern mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten im Rahmen von integrierten Versorgungszentren.“ Kliniken, die die Anforderungen an die stationäre Notfallversorgung erfüllen, werden regelhaft in die ambulante Notfallversorgung eingebunden, lautet eine weitere Idee. Außerhalb der regulären Sprechstundenzeiten könnten Kooperationsmodelle zwischen dem Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhäusern „die bevorzugte Form der Sicherstellung der ambulanten Notfallversorgung werden“.

Ferner soll der Bund stärker in die Investitionen in Krankenhäuser – bisher offiziell Ländersache – eingebunden werden. Die SPD denkt an einen nicht weiter benannten Betrag in Milliardenhöhe.

Dieser Beitrag ist gekürzt. Der vollständige Text erschien in OPG 27/2021 am 29. Oktober 2021.

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