Um ihren weiteren Fahrplan abzustecken hat die EZB zwei Szenarien erarbeitet – ein „mildes“ und ein „ernstes“. In den Annahmen für das milde Szenario werden wir alle noch vor dem Sommer geimpft und das reale Wachstum steigt 2021 auf 6,4%. Wir erreichen das Produktionsniveau von vor der Krise im Herbst dieses Jahres und die Inflation erreicht 2023 1,7%. Diese Projektion sei auf Augenhöhe mit dem Impffortschritt. Peter De Coensel, CIO Fixed Income bei DPAM, bezeichnet dieses Bild von der nahen Zukunft als „lächerlich“. Demgegenüber geht das ernstere Szenario von einer anhaltenden Pandemie und einer verminderten Wirksamkeit der Impfstoffe aus, was die Regierungen dazu zwingt, die Eindämmungsmaßnahmen bis Mitte 2023 beizubehalten. Die Folge wäre ein ernüchterndes reales BIP-Wachstum von 2,0 % im Jahr 2021. Das Produktionsniveau der Vorkrisenzeit würde innerhalb des Projektionszeitraums nicht erreicht und die Inflation sich 2023 bei 1,1 % einpendeln.
Das ernste Szenario hätte starke Auswirkungen auf das Wachstum, aber weniger auf die Inflation. Die Europäische Kommission würde zum Sündenbock werden, aber diesen Makel neben der Kritik an ihrer amateurhaften Handhabung der EU-weiten Impfungen ertragen. „‘Es ist kompliziert‘ ist ein Argument, das wir alle teilen und verstehen. Aber eine Krise, die nur einmal in 100 Jahren auftritt, erfordert eine starke Führung. Die heutige Realität innerhalb der EU – im Jahr Nummer zwei der COVID-Pandemie – ist eine planlose und von zunehmenden Unsicherheiten über die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ergebnisse geprägte, auch mit Blick auf die nächsten 12 Monate“, sagt Peter De Coensel.
In den kommenden Monaten rechnet der Experte mit einer sehr dominanten EZB-Intervention bei Staatsanleihen. Angesichts der angespannten Liquiditätsbedingungen bei Unternehmensanleihen mit Investment Grade (IG) sollte man eine unveränderte Kaufintensität von 6 Mrd. EUR pro Monat für den Unternehmenssektor erwarten. „Die EZB will eine klare Linie ziehen. Gelingt es ihr nicht, eine Renditekonsolidierung zu erreichen, wird der ohnehin schon angeschlagene Weg noch problematischer.“
Derweil kam die Wachablösung in den USA gerade zur rechten Zeit. Präsident Biden übererfüllt die Erwartungen. Die neue Regierung hat einen beeindruckenden Start hingelegt. Das neue fiskalisch-monetäre Regime wirkt fast magisch. Neben einem monetären All-in-Impuls seit März 2020 marschiert nun der fiskalische Impuls voran. Die FED bleibt im „Autopilot“-Modus und steht voll hinter der gezielten Pandemiehilfe. Die US-amerikanische Unter- und Mittelschicht ist hart getroffen worden. Das Geld, das seit dieser Woche an viele Haushalte geht, ist eine Voraussetzung dafür, dass die Narben des letzten Jahres zu heilen beginnen.
Die US-Notenbank wird dem Vorsichtsprinzip huldigen. Angesichts des Finanzierungsungleichgewichts von 3,6 Billionen Dollar zwischen Angebot und Nachfrage ist im Jahr 2021 kein Tapering zu erwarten. Das Ungleichgewicht wird im Jahr 2022 immer noch etwa 3 Billionen Dollar erreichen. Das Tapering der FED wird – wenn es überhaupt kommt – sich sehr in die Länge ziehen und die Käufe von T-Bills oder hypothekarisch gesicherten Wertpapieren betreffen und weniger Treasury-Käufe. Der Markt erwartet eine restriktivere FED mit einer Leitzinsanhebung Mitte 2023 und preist eine vollständige Leitzins-Normalisierung in Richtung 2,5 % in 2025 ein.
„Die FED befasst sich mit realen Fakten und Daten und nicht mit Prognosen und stärkt damit ihre ergebnisorientierte Führung der Geldpolitik. Da wir es mit einer höchst ungewissen Zukunft zu tun haben, sollten wir in den nächsten Quartalen eine deutliche Verlangsamung des geordneten Ausverkaufs bei US-Staatsanleihen erwarten“, betont Peter De Coensel.
Die harten Töne der europäischen Institutionen, die versuchen, den Herausforderungen und Realitäten der Pandemie zu begegnen, sind laut und deutlich zu hören. Das Fehlen einer Fiskalunion und echter Solidarität offenbart die Bruchlinien in der Architektur der EU. Die Europäische Gemeinschaft hat unter der Präsidentschaft von Jacques Delors zwischen 1985 und 1995 die europäische Einheit durch die Schaffung des Binnenmarktes erreicht. Unter seiner Präsidentschaft wurde auch der Vertrag von Maastricht im Februar 1992 unterzeichnet. Es würde die Stimmung heben, wenn die Europäische Kommission 30 Jahre nach dem Vertrag von Maastricht einen Durchbruch bei der Neuaufstellung der gestressten europäischen Architektur signalisieren könnte.
„Der Ausverkauf der US-Renditen ist geordnet, da die reflationäre Politik greift. Die Auswirkungen auf die europäischen Renditen waren bisher begrenzt. Es droht jedoch eine ungeordnete Bewegung an den europäischen Staatsanleihenmärkten, da das fiskalisch-monetäre Experiment auf dieser Seite des Atlantiks zunehmend Probleme bereitet“, fasst Peter De Coensel seinen Ausblick zusammen.
Den vollständigen Kommentar von Peter De Coensel finden Sie anbei.
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