Eine digitale Grundordnung – nicht nur für Unternehmen in der EU

Darf Twitter einen Politiker aus seinem Netzwerk dauerhaft aussperren? Welchen Anforderungen müssen AGB von Medienintermediären genügen, die den Prozess der Meinungsbildung steuern können, welcher Kontrolle unterliegen sie? An welchen Kriterien muss ein Medienintermediär wie Google seine Dienstleistungen ausrichten; ist eine Bevorzugung von amtlichen Gesundheitsinformationen bei Suchergebnissen zulässig? Diese Fragen bewegen zu Beginn des neuen Jahres nicht nur Medienregulierer. Antworten erwartet man in Deutschland durch den am 7. November 2020 in Kraft getretenen Medienstaatsvertrag. Aber diese Antworten könnten – ähnlich wie die Bemühungen des Bundeswirtschaftsministeriums, mit einer Novelle des GWB Antworten auf die Herausforderungen der digitalen Plattformökonomie zu finden – rasch durch Entwicklungen auf EU-Ebene in Frage gestellt werden und unter Druck geraten. Denn die Europäische Kommission hat am 15. Dezember 2020 mit Vorschlägen für einen Digital Services Act (DSA) und einen Digital Markets Act (DMA) einen Rechtsetzungsprozess gestartet, in dessen Ergebnis der digitale Raum in der Gesellschaft rechtlich neu vermessen und organisiert würde. Diese Rechtsakte würden nach Verabschiedung Vorrang gegenüber abweichendem Recht in den Mitgliedstaaten genießen und dabei das bisherige digitale Ökosystem für Akteure wie Nutzer, aber auch das Instrumentarium zur Bewältigung medialer Gefährdungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung grundlegend ändern. Auch wenn diese Regeln nur für die EU-Mitgliedstaaten gelten würden, würden sie auch das Verhalten von Unternehmen aus den USA oder China steuern, deren Dienste in der EU genutzt werden. Die Regelungen sind bewusst als ein Beitrag zur digitalen Souveränität Europas konzipiert, der Regierungen weltweit inspirieren soll. Die Vorgaben des DSA und des DMA sollen dabei ein Gleichgewicht zwischen dem Respekt von Grundrechten auf der einen sowie mehr Verantwortung für Plattformen auf der anderen Seite schaffen.

Mit einem Impuls aus dem EMR unternimmt dessen geschäftsführendes Vorstandsmitglied, Dr. Jörg Ukrow, eine erste systematische Darstellung der materiell-rechtlichen, organisatorischen und prozeduralen Regelungsvorschläge und ordnet diese in den primärrechtlichen Rahmen der europäischen Verträge wie in das bisherige Regelwerk der EU zur Förderung eines wettbewerbsfreundlichen digitalen Binnenmarktes ein. Er plädiert dabei u.a. dafür, im weiteren Rechtsetzungsverfahren dem Subsidiaritätsprinzip der EU stärker Rechnung zu tragen, einer überschießenden Ermächtigung der Kommission zur autonomen Fortentwicklung des Rechtsrahmens gegenzusteuern und die fortdauernde Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Pluralismussicherung besser zu beachten.

Der Impuls stellt einen Einstieg in eine schwerpunktmäßige Befassung des EMR mit dem Rechtsetzungsverfahren zu DSA und DMA im neuen Jahr dar. Wie bereits bei der Novelle der AVMD-Richtlinie will das EMR u.a. mit Synopsen zum Stand des Rechtsetzungsverfahrens, Vergleichen zwischen geplanter europäischer und bestehender mitgliedstaatlicher Regulierung, Beiträgen zu einzelnen Themenblöcken der Rechtsakte sowie Hinweisen zu Stellungnahmen Dritter seiner Rolle als Plattform für eine wissenschaftliche Begleitung europäischer Medienregulierung entsprechen. Die entsprechenden Materialien und Positionen sind auf der Webseite des EMR unter https://emr-sb.de/themen/dma-dsa/ abrufbar. Dort finden sich ab sofort als Einstieg neben dem Impuls auch zwei kurze und kompakte Briefings zu den Verordnungsvorschlägen.

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