Herr Klingelhöfer, was ist eine vertrauliche Geburt?
RA Tobias Klingelhöfer: Bei einer vertraulichen Geburt wird Schwangeren die Möglichkeit geboten, ein Kind medizinisch sicher und anonym zur Welt zu bringen. Die betroffenen Frauen geben ihre Identität nur einmalig gegenüber der Beraterin preis, die ihre persönlichen Daten aufnimmt und dafür sorgt, dass diese sicher hinterlegt werden.
Bedeutet dass, das Kind erfährt nicht, wer seine Mutter ist?
RA Tobias Klingelhöfer: Vorerst ja. Nach dem Gesetz ist die vertrauliche Geburt eine Entbindung, bei der die Schwangere ihre Identität nicht offenlegt und stattdessen Angaben zur Erstellung eines Herkunftsnachweises macht. Dieser Nachweis wird gespeichert – für den Fall, dass das Kind später seine leibliche Mutter kennenlernen möchte.
Aber die Berater und das medizinische Personal kennen die Identität der Mutter, oder?
RA Tobias Klingelhöfer: Alle Beteiligten unterliegen der gesetzlichen Schweigepflicht. Sie schützen die Identität der Mutter auch nach der Geburt.
Wer kann so eine vertrauliche Geburt in Anspruch nehmen?
RA Tobias Klingelhöfer: Jede Frau, die ihre Schwangerschaft geheim halten möchte, kann den Weg der vertraulichen Geburt wählen. Sie kann sich jederzeit an die Beratungsstelle des BMFSFJ wenden, wenn sie Rat und Hilfe benötigt.
Werden nur die schwangeren Frauen beraten?
RA Tobias Klingelhöfer: Nein, auch Männer, Familienangehörige, Bekannte oder Freunde werden in den Beratungsstellen kostenfrei und auf Wunsch anonym beraten.
Ein Neugeborenes muss beim Standesamt gemeldet werden. Wie geht das anonym?
RA Tobias Klingelhöfer: Die Entbindungsklinik oder die Hebamme informiert nach der Geburt das Standesamt. Dort wird die Geburt des Kindes unter einem vorher gewählten Namen registriert. Als Name der Mutter wird ein Pseudonym eingetragen.
Wie wächst ein anonym geborenes Kind dann auf?
RA Tobias Klingelhöfer: In der Regel folgt dann eine Adoption. Das Jugendamt nimmt das Baby in Obhut und kümmert sich um einen Vormund, der die elterlichen Rechte und Pflichten übernimmt, bis der Adoptionsbeschluss vorliegt.
Die Mutter muss das Kind also weggeben?
RA Tobias Klingelhöfer: Nein! Grundsätzlich kann sich die Mutter noch bis zum Adoptionsbeschluss für ein Leben mit dem Kind entscheiden. Nur wenn sie sich nicht in der Lage sieht, mit dem Kind zu leben, wächst dieses bei liebevollen Adoptiveltern auf.
Was geschieht, wenn sich die Lebenssituation der Mutter verbessert?
RA Tobias Klingelhöfer: Ein Adoptionsverfahren dauert erfahrungsgemäß ein Jahr. Bis das vollständig abgeschlossen ist, kann die Mutter ihre Anonymität aufgeben und sich für ein Leben mit ihrem Kind entscheiden.
Adoptierte Kinder möchten oft früher oder später erfahren, woher sie kommen. Geht das?
RA Tobias Klingelhöfer: Ja! Es ist sogar die Regel. Eine vertrauliche Geburt wahrt das Grundrecht des Kindes zu erfahren, wer die leiblichen Eltern sind. Die hinterlegten persönlichen Daten kann aber ausschließlich das betroffene Kind nach seinem 16. Geburtstag einsehen.
Was, wenn auch nach 16 Jahren noch Gefahr für die Mutter besteht?
RA Tobias Klingelhöfer: Wenn das Leben der Mutter, ihre Gesundheit oder persönliche Freiheit bedroht sind, kann sie der Einsicht in ihre Daten ab dem 15. Lebensjahr des Kindes widersprechen. In einem solchen besonders dramatischen Fall bleibt die Anonymität der Mutter weiter gewahrt.
An wen können sich schwangere Frauen wenden, wenn sie Hilfe benötigen?
RA Tobias Klingelhöfer: Die betroffenen Frauen können sich zum Beispiel an das Hilfetelefon „Schwangere in Not“ wenden. Unter 0800 40 40 020 sind hier jederzeit erfahrene Beraterinnen zu sprechen – kostenfrei und anonym. Es gibt auf dem Portal www.geburt-vertraulich.de auch eine Online-Beratung. Dort haben die Rat suchenden Frauen die Möglichkeit, sich per E-Mail oder per Einzel-Chat beraten zu lassen.
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