„Keine noch so glamouröse Inszenierung vermag darüber hinwegzutäuschen, was die beiden Kammern des französischen Parlaments gestern Abend im Schloss von Versailles in Wirklichkeit beschlossen haben. Denn die ‚Freiheit, eine Abtreibung vornehmen zu lassen‘, bedeutet in Wahrheit ‚die Freiheit, ein wehrloses und unschuldiges Kind töten zu lassen‘. Diese ‚Freiheit‘ in den Verfassungsrang zu erheben, kommt einem Bruch mit der europäischen Menschenrechtstradition gleich. Ihr zufolge genießen Menschen ‚vorstaatliche‘ Rechte. Rechte, die ihnen nicht von Staaten verliehen werden, sondern die vielmehr von Staaten anerkannt und von ihnen bei sämtlichen Gesetzgebungsverfahren beachtet werden müssen. Weil ‚vorstaatliche‘ Rechte aber nur genießen kann, wer lebt, ist die Wahrung des ,Rechts auf Leben‘ logischerweise das erste und vornehmste aller vorstaatlichen Rechte.
Daraus folgt: Ein Staat, der das ‚Recht auf Leben‘ zur Disposition stellt, in dem er dessen Wahrung oder Missachtung dem Belieben eines Teils seiner Bürger überlässt, legt in Wahrheit seine Hand zugleich auch an alle anderen Menschenrechte. Ein Staat, der Bürgerinnen das Recht zuspricht, einen wehrlosen und unschuldigen Menschen von Ärzten töten zu lassen und dieses Recht in den Verfassungsrang erhebt, maßt sich ein Recht an, das er – jedenfalls innerhalb der europäischen Menschenrechtstradition – gar nicht beanspruchen und über das er deshalb auch nicht verfügen kann. Er muss daher, auch was den Schutz der übrigen Menschenrechte betrifft, als unzuverlässig gelten. Nicht umsonst fürchten nicht wenige Ärzte in Frankreich, als nächstes zur Durchführung von Abtreibungen gesetzlich verpflichtet zu werden.
Dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Verfassungsänderung nun auch noch ausgerechnet am Weltfrauentag (8. März) feierlich verkünden will, ist geradezu grotesk und an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Denn mehr als die Hälfte der aufgrund der neuen ,Freiheit‘ Getöteten werden wehrlose und unschuldige Frauen in einem sehr frühen Stadium ihrer Entwicklung sein. Ungeborene Mädchen, denen sämtliche vorstaatlichen Rechte sowie die Chance genommen werden, sich selbst einmal für oder gegen die Gründung einer Familie zu entscheiden. Wer darin einen Sieg für Frauenrechte zu erblicken können meint, muss entweder sehr kurzsichtig oder aber völlig skrupellos sein.
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