Beide sind regelmäßig für das Projekt meet2respect in Berliner und Brandenburger Schulklassen unterwegs. Sie vermitteln Wissen über den jüdischen und muslimischen Glauben, diskutieren mit jungen Leuten darüber und beantworten jede Frage dazu. „Tatsächlich könnt ihr uns alles fragen“, bestätigen beide den über hundert Landjugendlichen unisono. Eine Gelegenheit, die bei der BDL-Veranstaltung auf der Grünen Woche gern genutzt wird.
„In ländlichen Regionen haben die Schüler und Schülerinnen oft das erst Mal Kontakt zu Menschen unseres Glaubens. Da geht es stark um die Vermittlung von Wissen“, sagt der Imam. In Berliner Brennpunktschulen würden sie auch mal bei einem aktuellen Konflikt hinzugezogen. Doch wichtiger seien die vielen Workshops, bei denen sie spielerisch und offen mit jungen Menschen ins Gespräch kämen. Wenn Igor Itkin ohne Kippa in die Klasse kommt, werde oft er für den Imam gehalten, und Ender Cetin für den Rabbiner, berichten sie schmunzelnd.
Gegründet hatte sich meet2respect nach dem gewalttätigen Übergriff auf einen Rabbiner im Jahr 2012. Seither setzen sie sich für den Abbau von Antisemitismus, von Intoleranz, Diskriminierung und Gewalt gegenüber Andersgläubigen und Andersdenkenden ein. Natürlich gehe es derzeit oft um den Nahostkonflikt. Ein Konflikt, der nach ihrer persönlichen Einschätzung weniger auf religiösen, als auf politischen Konflikten beruhe.
„Uns ist es grundsätzlich wichtig zu zeigen, dass uns mehr verbindet, als uns trennt. Und dass man freundschaftlich verbunden sein kann, ohne immer einer Meinung zu sein“, so der Rabbiner. In Konfliktfällen überlässt das Tandem die Entscheidung einfach Gott.
Unterschiede zwischen ihren Religionen? Theoretisch sei es möglich, in drei Sekunden Muslim zu werden. Um Jude zu werden, brauche es etwa drei bis vier Jahre. Ein gut greifbares Beispiel, doch viel mehr geht es dem jüdisch-muslimischen Duo um die vielen Gemeinsamkeiten ihrer Glaubensrichtungen, die sie in den Klassen gemeinsam mit den Schüler:innen herausarbeiten: „Alle Religionen geben Regeln für ein gutes Zusammenleben vor, beziehen sich auf Gott und glauben an die Offenbarung; alle bergen ein großes Friedenspotential in sich.“
Die vielen Fragen beim BDL-Jugendforum sorgen für Abwechslung. So sprechen die beiden Gäste auch darüber, dass der Imam im koscheren Geschäft halal einkaufen kann, dass beide in Berlin in die gleiche Himmelsrichtung beten könnten, obwohl sich der eine dabei in Richtung Kaaba in Mekka, der andere in Richtung Tempelberg in Jerusalem wendet. Sex vor der Ehe kommt genauso zur Sprache wie die Akzeptanz ihrer Arbeit im persönlichen Umfeld oder die Tatsache, dass Schabbat auch heißt, nicht ans Handy zu gehen…
Im Gespräch mit der Landjugend zeigt Ender Cetin auch auf, wie Religionen sich in der Gesellschaft wandeln. Für Muslime im Deutschland der 60er Jahre gab es keine Orte für ihre Religion. Ohne staatliche Unterstützung organisierten sie sich Inseln, um ein Stück ihrer Selbst, ihrer Heimat weiterzutragen. Viele der bis heute existierenden muslimischen Gemeinden seien daher eher Kulturvereine. Mit den ersten in Deutschland ausgebildeten Imamen kann sich nun ein Islamverständnis etablieren, dass in Deutschland sozialisiert und verankert ist. Allerdings sind diese Imame bislang ehrenamtlich tätig: im Gegensatz zu denen, die der Iran, die Türkei oder andere muslimische Länder in deutsche Moscheen entsenden.
Sorgen bereitet dem Team von meet2respect die Radikalisierung übers Internet. Viele junge Muslime hätten die Nase voll von den traditionellen Gemeinden und suchten bei Glaubensfragen im Netz nach schnellen Antworten. „Radikale Gruppen haben das Potential von Tiktok, YouTube oder Instagram sehr schnell erkannt und sind den Gemeinden weit voraus“, warnt das interreligiöse Duo. Die schiere Masse an kurzweiligen Videos und Beiträgen im Netz greife einzelne Aspekte der Religion heraus, skandalisiere und radikalisiere. Stattdessen bräuchte es viel mehr Diskursformate, um die Gebote und Verbote des Islam in die heutige Zeit zu übertragen. Das kann das Berliner Projekt nicht mit Workshops auffangen, sondern ist eine gemeinsame Aufgabe der vielen Akteure, die auf Demokratie und Verständigung setzen.
Was die Landjugend tun kann, um Vorurteile und Stereotypen zu überwinden, die häufig mit dem Islam und dem Judentum verbunden sind? „Wichtig ist die Begegnung“, antwortet der eine; „Sich interessieren, sich trauen, fragen und lernen“, der andere. „Wie bei unserem Jugendforum heute“, fasst der moderierende BDL-Vize Sebastian Dückers zusammen. „Uns hat das Gespräch mit Imam Ender Cetin und Rabbiner Igor Itkin sehr bewegt und inspiriert“, dankt er den beiden nach fast zwei Stunden, die viel zu schnell vorüberflogen. „Wir tragen diesen Impuls gern weiter und machen uns weiterhin für respektvollen Austausch stark,“ verspricht der junge Mann begleitet von kräftigem Applaus der Landjugend.
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