Olaf Scholz unterstrich den Wert von Tariflöhnen: „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass Tarifbindung in diesem Land eine größere Bedeutung bekommt als heute.“ Er bekräftigte damit auch die Absicht der Bundesregierung, ein bundesweites Tariftreuegesetz zu schaffen.
Deutliche Worte fand der Kanzler zum gesetzlichen Mindestlohn, der Anfang nächsten Jahres von 12,00 Euro auf 12,41 Euro pro Stunde steigen wird: „Aus meiner Sicht ist das, was mit der jetzt anstehenden Erhöhung passiert ist, nicht in Ordnung.“ Er kritisierte, dass bei der letzten Entscheidung der Mindestlohnkommission „eine Mehrheitsentscheidung gegen die Gewerkschaften“ stattgefunden habe. Das sei mit der Tradition der Sozialpartnerschaft nicht vereinbar. Scholz wörtlich: „Das können wir nicht auf sich beruhen lassen.“
Scholz betonte die Notwendigkeit, Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen: „Deshalb haben wir das modernste Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Welt geschaffen.“ Das beschlossene Gesetz müsse nun „mit viel Bürokratieabbau einfacher umgesetzt“ werden. Der Kanzler machte darüber hinaus deutlich, dass „wer hierherkommt, wer hier arbeitet, wer sich hier integriert, bitte auch mitentscheidet in unserer Demokratie“. Es könne nicht sein, dass „so viele, die jeden Tag zur Arbeit gehen, nichts zu sagen, wenn in Deutschland gewählt wird.“
Scholz brachte zudem ein klares Plädoyer für die Arbeit der Gewerkschaften mit zur NGG nach Bremen: „Arbeit, das ist etwas Reales. Sie ist schwer. Und es gehört dazu, dass es auch ordentliche Arbeitsbedingungen gibt. Das geht nicht ohne Gewerkschaften, das geht nicht ohne Mitbestimmung, das geht nicht ohne Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Und ich stehe dafür, dass das für Deutschland auch in Zukunft der Fall sein wird.“ Er sei überzeugt, so Scholz, dass Demokratie nicht funktioniere, „wenn sie nicht aus der Perspektive derjenigen gedacht wird, die arbeiten“.
Auch die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, setzte ihren Akzent beim Tariflohn: „Es muss endlich eine Tarif-Wende geben.“ Sie verwies dabei auf die Folgen der Tarifflucht. Dem Staat und den Sozialversicherungen würden durch Tarifflucht jedes Jahr 70 Milliarden an Einnahmen verlorengehen. Zusätzlich noch einmal 60 Milliarden Euro an Kaufkraft. Das sei ein volkswirtschaftlicher Schaden von 130 Milliarden Euro pro Jahr, rechnete die DGB-Chefin vor. Ihr Forderung daher: „Wir brauchen einen Aktionsplan für mehr Tarifbindung in unserem Land. Alles andere ist Betrug an dem einzelnen Beschäftigten und an dieser Gesellschaft.“
Der Gewerkschaftstag der NGG steht unter dem Motto „Gemeinsam Zukunft machen“. In seiner Eröffnungsrede sprach NGG-Vorsitzender Guido Zeitler die To-dos für die Lebensmittelherstellung und Gastronomie an: „Künstliche Intelligenz, demografischer Wandel, Arbeits- und Fachkräftemangel und sozialökologische Transformation.“ Deutschland werde „die richtigen Rezepte“ brauchen, um die gewaltigen Zukunftsaufgaben zu bewältigen.
Kritik gab es vom NGG-Vorsitzenden für die Ampel-Koalition: Zeitler sprach von einer „Konstellation, mit der wir neue Erfahrungen machen, wie Regierungsarbeit vonstattengeht“. Mit deutlichen Worten fügte er im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz an die Adresse der beiden kleineren Koalitionspartner gerichtet hinzu: „Und nicht immer können wir sagen, dass es Spaß macht – insbesondere der Streit zwischen Grünen und FDP kann einen schon ärgerlich machen.“
Zeitler mahnte: „Wir müssen endlich im großen Stil für Gerechtigkeit sorgen.“ Viele seien nach den Strapazen der Corona-Pandemie unsicher geworden. Viele hätten fehlende Perspektiven. Abstiegsängste hätten Menschen „sogar unversöhnlich“ gemacht. „Das zeigt das seit Sommer anhaltende Umfragehoch für die AfD“, so Guido Zeitler. Demokratien brauchten Stabilität.“ Ein Mangel daran untergrabe das Vertrauen und damit die Grundfesten der Demokratie. Der NGG-Vorsitzende forderte: „Klare Kante gegen Rechts und die AfD.“
Mit Blick auf antiisraelische Proteste bezog Guido Zeitler klar Stellung: „Wir werden die Straße nicht denjenigen überlassen, die antisemitische Parolen und Hetze verbreiten. Wir werden es nicht akzeptieren, wenn Häuser mit antisemitischen Symbolen markiert werden. Aber wir werden es auch nicht zulassen, dass Antisemitismus als ein sogenanntes ‚migrantisches Phänomen‘ verbrämt wird, währen Rassismus und Antisemitismus schon seit Jahren mitten in der Gesellschaft dieses Landes immer weiter zugenommen haben.“
Rückenwind für die NGG gab es auf dem Gewerkschaftstag auch von Bremens Finanzsenator Björn Fecker (Grüne): Starke Gewerkschaften seien die Säule für eine starke Demokratie. Auch Fecker unterstich dabei den Wert von Tarifverträgen. „Wir brauchen mehr und nicht weniger Tarifverträge“, so Fecker. Tarifverträge müssten eingehalten und respektiert werden. „Höhere Mindestlöhne und mehr Tarifbindung ist die Formel für mehr soziale Gerechtigkeit“, sagte Bremens Finanzsenator vor den Delegierten des NGG-Gewerkschafstages.
Auch Fecker übte dabei scharfe Kritik an der geplanten Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns, die er als zu gering bewertete: „Da hätte mehr kommen müssen als nur eine Erhöhung von 41 Cent.“ Der Mindestlohn sei ein Lohn für Menschen, die „jeden Tag aufstehen, hart arbeiten und am Monatsende dennoch zusehen müssen, wie sie über die Runden kommen“. Er machte deutlich, dass der Mindestlohn ein Lohn sei, „von dem man leben kann, aber kein Lohn, von dem man gut leben kann.“
Mehr als 120 Delegierte der NGG aus allen Teilen Deutschlands werden dazu bis Freitag auf dem Gewerkschaftstag über gut 110 Anträge beraten. Im Fokus stehen die Auswirkungen von Krise und Inflation: Rasant steigende Preise, explodierende Mieten – und deren Effekte auf die Löhne und auf die Situation von Beschäftigten im Niedriglohnbereich. Dabei geht es auch um die Bedeutung von Tariflöhnen. Weiteres Thema: die hohe Zuwanderung und deren Potential für den Arbeitsmarkt. Darüber hinaus stehen die Nachwuchssorgen vieler Branchen im Mittelpunkt des Gewerkschaftstages: „Immer mehr Menschen rutschen in die Altersgruppe ‚67 plus‘. Gerade wenn in den kommenden Jahren mehr und mehr Beschäftigte der Baby-Boomer-Generation in Rente und damit in den Betrieben von Bord gehen, steuert Deutschland auf einen zunehmenden, massiven Arbeitskräftemangel zu“, so Guido Zeitler.
Am morgigen Dienstag wählt die rund 190.000 Mitglieder starke NGG ihre Spitze neu: Der bisherige NGG-Vorsitzende Guido Zeitler stellt sich in Bremen zur Wiederwahl. Ebenso treten Freddy Adjan und Claudia Tiedge erneut als stellvertretende Vorsitzende an.
Mehr zum Gewerkschaftstag der NGG: www.ngg.net/gewerkschafstag
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