Darin stellte der Patriarch von Konstantinopel am 18. Juni einige herausfordernde Fragen zur Zukunft der Ökumene in Europa. „Der Zweck unserer heutigen Anwesenheit ist es, den ökumenischen Geist unter unseren verschiedenen Kirchen, Gemeinschaften und Konfessionen zu feiern und zu bekräftigen, indem wir respektvoll auf die lange Geschichte der ökumenischen Beziehungen in Europa und in der ganzen Welt zurückblicken und gleichzeitig nach vorne auf die immensen Herausforderungen schauen, die vor uns auf dem Kontinent und in der ganzen Welt liegen“, sagte er.
„Wie wir wissen, hat die ökumenische Bewegung nach den verheerenden Folgen der beiden Weltkriege im letzten Jahrhundert an Dynamik gewonnen. Aber diese ökumenische Bewegung gedieh in einem ganz anderen Europa als dem, das wir heute kennen und in dem wir leben“, stellte Bartholomaios I. fest. „Natürlich leben wir heute in einem ganz anderen Europa, in dem sich die Landschaft der Religionszugehörigkeit verändert hat", betonte er. „Als christliche Kirchen können wir nicht mehr davon ausgehen, dass sich die Europäer mit den nationalen Kirchen oder überhaupt mit einer bestimmten Form des Glaubens identifizieren werden.“
Der Ökumenische Patriarch beschrieb ein Europa, in dem sich die religiöse Landschaft dramatisch verändert hat. „Heute mag die Teilnahme an den Gottesdiensten in den Kathedralkirchen der Großstädte ausreichend sein, aber die Teilnahme an den Gottesdiensten in den Vororten kleinerer Städte ist schwach“, sagte er. „Dort wird die Religiosität als Minderheit wahrgenommen.“
Anschließend erörterte er den Zweck oder das Ziel der ökumenischen Bewegung in einem solchen Europa. „Welche Rolle oder Verantwortung spielt die Religion in einem solchen Europa?“, fragte er und beschrieb eine zerstörerische „neue Ökumene“, die im Wesentlichen eine Kraft der Spaltung und Zerstörung sei. „Wir sehen die Folgen dieser spaltenden und zerstörerischen Mentalität ganz deutlich im derzeitigem brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine und in der Rechtfertigung dieses Krieges durch die Russisch-Orthodoxe Kirche als Rettung der Ukraine vor der angeblichen Verführung durch einen gottlosen, säkularen und liberalen Westen“, beklagte der Patriarch.
Heute habe die Rhetorik, der so genannten „Kulturkriege“, jede Möglichkeit des Dialogs ernsthaft gefährdet und den Kern der Ökumene beschädigt, stellte er fest.
„Als christliche Gemeinschaften müssen wir uns zunächst ein Gefühl der Demut zu eigen machen und akzeptieren, dass auch wir für diesen Rückgang der Ökumene verantwortlich sind“, sagte er. „In unserer ökumenischen Bewegung – in der Unterschiede anerkannt und respektiert werden, in der unterschiedliche Stimmen artikuliert und gehört werden – müssen wir immer wieder die Frage diskutieren, was wir unter einem christlichen Europa innerhalb einer demokratischen Europäischen Union verstehen.“
Der Ökumenische Patriarch dachte über die Möglichkeit nach, dass ein christliches Europa die Offenheit und den Respekt widerspiegelt, die wir in ökumenischen Kreisen voneinander erwarten.
„Kann ein christliches Europa es zulassen, dass alle Stimmen gehört werden, auch die, die Meinungsverschiedenheiten und Unglauben zum Ausdruck bringen?“, fragte er. „Hier können wir erkennen, dass unsere Unterschiede unsere Einheit nicht untergraben können. Auch hier können wir an das glauben, was durch gegenseitigen Respekt und soziale Gerechtigkeit möglich ist.“
Patriarch Bartholomaios I.
Patriarch Bartholomaios I. (83), mit bürgerlichem Namen Dimitrios Archondonis, ist geistliches Oberhaupt der Weltorthodoxie und ein weltweit angesehener Gesprächspartner sowie einer der wichtigsten religiösen Impulsgeber unserer Zeit.
Geboren wurde er am 29. Februar 1940 als Dimitrios Archondonis auf der türkischen Insel Imbros. Er studierte an der später von den türkischen Behörden geschlossenen Hochschule und Priesterseminar von Chalki und erhielt bei seiner Diakonenweihe den Namen des Apostels Bartholomaios I.. Zu weiteren Studien ging er an die Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, ans Ökumenische Institut Bossey (Schweiz) und nach München. Als langjähriger Sekretär von Patriarch Demetrios (1972–1991) konnte er wichtige Erfahrungen für sein künftiges Amt sammeln. 1990 wurde der promovierte Kirchenrechtler, der sieben Sprachen fließend spricht, Metropolit von Chalcedon und damit ranghöchster Metropolit der Heiligen Synode; ein Jahr später wurde er zum 270. Nachfolger des Apostels Andreas und Ökumenischen Patriarchen gewählt.
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