Mehrere Zentralbanken haben bereits angekündigt, dass sie ihren Straffungskurs zurückfahren werden oder sind zu einem moderateren Straffungstempo übergegangen, um zunächst die volle Wirkung ihrer bisherigen Maßnahmen zu beobachten. Denn die Zentralbanken seien mit dem Risiko konfrontiert, entweder zu wenig oder aber zu viel zu tun, so Dr. Siviero: „Insgesamt hat das Risiko politischer Fehlentscheidungen stark zugenommen.“ Eine übermäßige Straffung könne die Weltwirtschaft in eine schwere Rezession stürzen oder eine Finanzkrise auslösen, wohingegen eine zu geringe Straffung zu einer verfestigten Inflation, einer Entankerung der Inflationserwartungen und einem Anstieg der künftigen Kosten für die Eindämmung der Inflation führen würde. „Die Zentralbanken werden darauf bedacht sein, eine Rezession zu vermeiden. Trotzdem gehen wir davon aus, dass sie im Zweifel den Kurs der „Überstraffung“ verfolgen werden, um die Inflation in den Griff zu bekommen“, kommentiert der Investment Strategist.
Da Geldpolitik generell mit Verzögerung wirkt, geht der Investment Strategist auch davon aus, dass geplante Zinserhöhungen vorgezogen werden und die ersten Schritte größer ausfallen, sodass die Wirtschaft in den kommenden Quartalen die volle Wirkung dieses aggressiven Frontloadings erleben werde. „Das globale Wachstum wird sich 2023 weiter verlangsamen und durch hohe Inflation, straffe Wirtschaftspolitik und Unsicherheit gedämpft werden. Aufgrund der synchronisierten globalen Verlangsamung, der hohen Verschuldung und der restriktiven Politik ist es derzeit nur schwer abzusehen, woher die Impulse für eine kräftige Erholung kommen sollen“, so Dr. Siviero.
Basisszenario für 2023
Der Experte erwartet, dass sich die Kerninflation nur schrittweise in die Nähe der mittelfristigen Zielvorgaben der Zentralbanken bewegen wird. Die Risiken einer weltweiten tieferen Rezession hält der Investment Strategist für moderat. „Angesichts der hohen Inflation und der weiterhin restriktiven Zinspolitik rechnen wir damit, dass die Weltwirtschaft in eine flache Rezession mit einigen Quartalen negativen Wachstums (technische Rezession) eintreten wird, gefolgt von einer Periode schwachen Wachstums, das durch die anhaltende Inflation und die restriktivere Politik behindert wird.“
Allerdings gibt es erhebliche regionale Unterschiede, erläutert Dr. Siviero: „Die Eurozone und das Vereinigte Königreich könnten sich bereits in einer Rezession befinden, die USA könnten einer solchen knapp entgehen, was von der künftigen Geldpolitik der Fed abhängt. Das Wachstum in China wird weitgehend von dem Erfolg der Lockerungen der Covid-Beschränkungen und der Fähigkeit des Landes abhängen, die Krise auf dem Immobilienmarkt zu bewältigen. Die Schwellenländer in Asien und Lateinamerika scheinen die Inflationsrisiken in den Griff bekommen zu haben und werden möglicherweise in der Lage sein, das globale Wachstum im Jahr 2023 zu stützen.“
Risiken für das Basisszenario
Dieses Szenario sei jedoch mit mehreren Abwärtsrisiken behaftet. „Eine Entankerung der Inflationserwartungen könnte die Zentralbanken zu einer aggressiveren Straffung zwingen“, kommentiert der Investment Strategist. Die angespannten Finanzmarktbedingungen könnten eine Krise der Finanzstabilität oder eine Krise der Schwellenländer auslösen. Darüber hinaus könnten größere makroökonomische Fehlentscheidungen oder weitere geopolitische Krisen die Weltwirtschaft in eine schärfere und länger anhaltende Rezession stürzen als erwartet.
Nichtsdestotrotz erwartet Dr. Siviero aber auch Aufwärtspotenzial: „Eine rasche Beilegung des Krieges in der Ukraine mit einer anschließenden Verbesserung der Energiekrise in Europa und einer Entspannung der geopolitischen Lage sowie die Entscheidung Chinas, die strenge Null-Covid-Politik zu lockern, könnten zu einer schnelleren und stärkeren wirtschaftlichen Erholung im Jahr 2023 führen“, prognostiziert Dr. Siviero.
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