Burnout: Vollbremsung von Hundert auf Null

Das Burnout-Syndrom gehört zu dem Feld psychischer Erkrankungen, die weiterhin stark auf dem Vormarsch sind, Arbeitsausfälle verursachen und einen hohen Kostenfaktor darstellen. „Die derzeit angelegten Studien, die als Grundlage für eine standardisierte Diagnostik, Bewertung und Therapie von Burnout als Erkrankung dienen, sind noch nicht vollständig abgeschlossen“, klärt Anke Schreiner, Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.) über den derzeitigen Stand der Wissenschaft auf. Dass Burnout dennoch behandelt werden muss und behandelt wird, steht außer Frage. Ergotherapeut:innen sind darauf spezialisiert, auf Probleme, die Menschen in ihrem Alltag durch Krankheiten oder Krisen haben, einzugehen und diese gemeinsam mit den Betroffenen zu lösen. Dieses Vorgehen führt oft auch unabhängig von der Diagnose zum Erfolg.

Die heutige Arbeitswelt ist häufig geprägt von Zeit- und Leistungsdruck, engen Finanzkorsetts und Sparmaßnahmen. Das alles führt bei vielen Beschäftigten zu Stress. Burnout ist ein arbeitsbezogenes Syndrom, das durch chronischen Stress am Arbeitsplatz entsteht. „Es ist ein Zusammentreffen von Arbeitsplatzbedingungen und der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur, die Menschen in einen Burnout treibt oder eben auch nicht“, stellt die Ergotherapeutin Anke Schreiner fest und nennt die drei Hauptdimensionen bei Burnout: Außer ihrer emotionalen Erschöpfung leiden betroffene Personen an immenser Müdigkeit, durch die sie sich ausgelaugt und überfordert fühlen. Außerdem zeigt sich ein zunehmendes Distanzieren von der Arbeit, immer mehr Gleichgültigkeit, eine zum Zynismus neigende negative Haltung gegenüber dem Job und den damit verbunden Aufgaben. Als drittes Zeichen ist eine abnehmende Leistungsfähigkeit festzustellen. „Menschen mit Burnout klagen darüber, dass sie plötzlich Konzentrationsschwierigkeiten haben, ihre Arbeitsprozesse nicht mehr sauber umsetzen können oder – wenn der Burnout seinen Höhepunkt erreicht – sie sich wie gelähmt fühlen und morgens nicht mehr aufstehen können; es hat eine innere Vollbremsung auf Null gegeben“, schildert die Ergotherapeutin Anke Schreiner die Erfahrungen aus ihrer Praxis und der Arbeit in Unternehmen.

Woher kommt der Burnout? Ergotherapeut:innen starten mit der Analyse

Ergotherapeut:innen beleuchten mithilfe von Assessments – das sind ausgeklügelte, tiefgründige Fragen und Erhebungen – die unterschiedlichen Ebenen ihrer Klient:innen. „Das von mir bevorzugte Modell ist MOHO (Model of human occupation), weil es zum einen auf den Menschen und zum anderen auf die Umweltfaktoren wie etwa die Arbeit eingeht, also genau die Aspekte, die bei Burnout eine Rolle spielen“, sagt Anke Schreiner. Auf der Ebene des Menschen geht es beim MOHO zum Beispiel um das Selbstbild, eigene Werte und Interessen. „Sind die Werte etwa: „wenn man was schafft, dann ist man wer“ oder „ich bin immer hilfsbereit“ und diese Werte werden übertrieben gelebt, dann hat diese Person per se die Voraussetzungen, sich irgendwann in einen Burnout hineinzumanövrieren“, so die Ergotherapeutin. Auch perfekt sein zu wollen oder zu denken, dass es nur Anerkennung gibt, wenn man gute Leistungen bringt, sind häufig anzutreffende Glaubenssätze vor einem Burnout. Gekoppelt mit der Ebene der Habituation, die die Gewohnheiten und Rollen betrachtet, und der Ebene der Umwelt – also in diesem Fall das Unternehmen und die Arbeit – können Ergotherapeut:innen Rückschlüsse auf das Grundmuster ziehen. Um das Gesamtbild zu vervollständigen, fragen Ergotherapeut:innen ihre Klient:innen mit Burnout unter anderem, wie und wie viel sie arbeiten, ob es immer wieder zu Überstunden kommt, wie die persönliche Erwartungshaltung ist, wie sie sich definieren, wann sie zufrieden oder sogar glücklich sind, wobei sie Spaß haben und wie die private Einbindung ist, also gibt es Familie, Freunde, und so weiter.

Menschen mit Burnout aus dem Hamsterrad auf der Arbeit holen: Ergotherapeut:innen machen Verzerrungen sichtbar

„Ebenso wichtig für die Beurteilung der Persönlichkeitsstruktur ist es herauszufinden, ob jemand Grenzen setzen kann, ob er oder sie Grenzen überhaupt merkt, für sich einstehen und auch „nein“ sagen kann, wenn es darum geht, die eigenen Interessen und Bedürfnisse zu verfechten und wie die Zusammenarbeit und das Miteinander im Unternehmen sind und ob er oder sie sich wertgeschätzt fühlt“, führt die Ergotherapeutin Anke Schreiner weiter aus, auf welcher Basis sie und ihre Berufskolleg:innen mit Menschen mit Burnout arbeiten, nämlich sowohl mit differenziertem als auch mit ganzheitlichem Blick. Menschen mit einem Burnout sind auf der Überholspur unterwegs, haben tausend Ziele und überholen am Ende ihre innersten Bedürfnisse und sich selbst mit einem Anspruch, den sie nie werden erfüllen können, weil sie durch ihr Verhalten auf Dauer schaffensmüde werden. „Ergotherapeut:innen führen Menschen mit Burnout langsam von der Überholspur weg“, erklärt Anke Schreiner. Denn: Menschen mit Burnout fühlen sich äußerst belastungsfähig, versuchen vermeintliche Inkompetenzen anderer oder Krankheitsfälle aufzufangen – sie können ja meist nicht „nein“ sagen – verschieben sogar den eigenen Urlaub der Arbeit zuliebe und schrauben sich immer weiter nach oben in der Spirale, übernehmen immer mehr Verantwortung für Dinge, für die sie nicht verantwortlich sind.

Arbeit in Unternehmen: dank ergotherapeutischem Coaching konsensorientierte Wege finden

Die Ergotherapeutin Anke Schreiner berät neben ihrer Praxistätigkeit Unternehmen. Vordergründig ist ihre Arbeit Teil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Dahinter verbergen sich meist Gründe wie hohe Krankheitszahlen, starke Fluktuation oder weil entsprechende Analysen und Mitarbeiterbefragungen wie etwa COPSOQ (eine Befragung zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz) zeigen, welches Gefährdungsrisiko für das Personal besteht. Der Schwerpunkt von Schreiner liegt auf der Prävention von Burnout. Dabei setzt sie gerne eine weitere Form des Assessments ein: Beobachten. Das bringt Verhaltensmuster ungefiltert zutage. „Am besten geht das in der Gruppe“, findet die Ergotherapeutin „denn hier zeigt sich, wie ein Mensch an eine Aufgabe herangeht. Ist er zufrieden mit dem Resultat oder meint er, es immer noch besser zu können? Oder macht er alles alleine und bindet andere nicht mit ein?“ Selten sind sich die Betroffenen dieser Muster bewusst, daher gibt es im Anschluss Einzelsitzungen, um in der Reflexion aufzuzeigen, was der Ergotherapeutin aufgefallen ist. Sie fragt, ob das weiter so bleiben, oder ob sich etwas ändern soll, beziehungsweise ob es einen Hinderungsgrund gibt, etwas zu verändern. Sehen und erkennen, wie verzerrt die Lage ist, weil es einem beispielsweise schwerfällt, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und umzusetzen, ist der erste wichtige Schritt zur Veränderung. Als nächstes geht es daran, SMART Ziele zu definieren. SMART bedeutet spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert, also nicht einfach: „ich will es anders“, sondern konkrete Absichten, wie etwa bei der nächsten Situation, in der ich mich zu mehr Arbeit überreden lasse, „nein“ zu sagen. Wichtig ist, dass dabei klar wird, dass es nicht um Arbeitsverweigerung geht, sondern um das sachliche Aufzeigen von Fakten, Ressourcen und Zielen wie Qualität statt Quantität.

Fortbildung für Ergotherapeut:innen: mehr Fachkompetenz für weniger Burnout

Die Ergotherapeutin zeigt Veränderungspotenzial auf und wie Verbesserungen gelingen können. Sie berichtet von Erfolgen, die durch aufeinander zugehen, gemeinsames Brainstorming und Lösungen finden mit dem Team und der Team- oder der Geschäftsleitung entstehen können. Ihre Erkenntnisse, Erfahrungen und wie sich solche Erfolge erzielen lassen, vermittelt Anke Schreiner im Rahmen der DVE Akademie des DVE interessierten Ergotherapeut:innen, die sich weiter spezialisieren wollen. In den Fortbildungen zum Thema Burnout erfahren Teilnehmende alles  Grundlegende zum Burnout-Syndrom, wie es sich abgrenzen lässt und wie ergotherapeutische Behandlungsangebote für Einzel- und Gruppentherapien aussehen können. Eine Maßnahme, um den steigenden Zahlen von Menschen mit Burnout sowohl präventiv als auch kurativ etwas entgegenzusetzen.

Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeut:innen vor Ort; Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche

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