Hierfür haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ergebnisse von insgesamt 20 Studien ausgewertet, die die Anwendung von Apps bei einer generalisierten Angststörung untersuchten. Ihr Fazit: Im Vergleich zu keiner Behandlung können Personen mit generalisierter Angststörung von digitalen Anwendungen, die auf kognitiver Verhaltenstherapie beruhen, zumindest kurzfristig profitieren – es fanden sich Hinweise auf positive Effekte bei Krankheitssymptomatik, Lebensqualität und Alltagsfunktionen.
Allerdings lässt die bisherige Studienlage keine Aussage zu langfristigen oder unerwünschten Effekten zu. Ebenso fehlen Vergleiche von Apps mit einer persönlich erbrachten Psychotherapie. Genauso gibt es keine Studien, die die Anwendung von Apps bei Jugendlichen ab 14 Jahren untersuchen.
Anfrage eines Bürgers war Ausgangspunkt des ThemenCheck-Berichts
Die generalisierte Angststörung ist eine verbreitete Angsterkrankung. Nach Schätzungen erhalten etwa fünf Prozentaller Menschen im Laufe des Lebens diese Diagnose. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Meist beginnt eine Angststörung im mittleren Erwachsenenalter – manchmal aber auch schon im Kindes- oder erst im Seniorenalter. Kennzeichnend für die generalisierte Angststörung ist, dass die Betroffenen in ständiger, übermäßiger Angst leben: Sie fürchten sich nicht nur bei realen Gefahren, sondern praktisch vor allem. Viele haben auch Angst vor der Angst selbst. Die Betroffenen leiden darunter, dass sie ihre Ängste und Sorgen nicht kontrollieren können und ihre Funktionsfähigkeit im beruflichen und privaten Alltag dadurch wesentlich beeinträchtigt sein kann.
Zur Behandlung der generalisierten Angststörung werden in der Regel psychologische und psychotherapeutische Behandlungen, vor allem die kognitive Verhaltenstherapie, empfohlen. Auch Entspannungsverfahren wie autogenes Training oder progressive Muskelentspannung, Medikamente oder Selbsthilfegruppen können den Betroffenen helfen.
Digitale Anwendungen können die Betroffenen möglicherweise ebenfalls unterstützen. Häufig sind sie an die Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie angelehnt und stellen zum Beispiel Texte und Videos bereit, mit denen Betroffene selbst arbeiten und üben können. Sie können auch weitere Funktionen enthalten, zum Beispiel ein Angsttagebuch oder automatische Erinnerungsfunktionen, und ggf. den Kontakt zu einer Therapeutin oder einem Therapeuten ermöglichen.
Der Bericht geht auf den Vorschlag eines Bürgers zurück. Dieser weist darauf hin, dass gesetzlich Krankenversicherte einen Anspruch auf die Versorgung mit speziellen Apps, sogenannte Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), haben. Er fragt nun, ob sicher nachgewiesen wurde, dass Betroffene von der Anwendung von Apps zur Behandlung von Angststörungen grundsätzlich profitieren können.
Vor diesem Hintergrund untersuchte das vom IQWiG beauftragte Expertenteam, ob sich Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene mit einer generalisierten Angststörung von Apps einen Nutzen versprechen können – etwa, wenn nachgewiesen werden könnte, dass die Anwendung dazu führt, dass Betroffene weniger psychische und körperliche Beschwerden haben, ihren Alltag besser bewältigen können oder eine höhere Lebensqualität haben.
Hinweise auf positive Effekte, aber einige Fragen bleiben offen
Die Autorinnen und Autoren des Berichts identifizierten insgesamt 20 geeignete Studien, die die Anwendung von Apps bei einer generalisierten Angststörung untersuchen. Zwei dieser Studien untersuchen im DiGA-Verzeichnis gelistete Anwendungen. In 14 der ausgewerteten Studien werden Apps, deren Inhalte auf kognitiver Verhaltenstherapie basieren, mit keiner Behandlung bzw. Warteliste verglichen. Das Fazit aus diesen Studien: Es gibt Hinweise auf einen Nutzen der Apps in Bezug auf
- die Krankheitssymptomatik (Daten aus 14 Studien),
- die Lebensqualität (Daten aus 6 Studien) und
- die Alltagsfunktionen (Daten aus 5 Studien).
Die Autorinnen und Autoren des Berichts halten aber fest, dass diese Ergebnisse insgesamt vorsichtig interpretiert werden sollten, da zum Beispiel bei der Durchführung der Studien methodische Standards nicht immer vollständig eingehalten wurden. Auch könnten sie nicht ausschließen, dass ein Verzerrungspotenzial aufgrund nicht publizierter Studienergebnisse bestehe.
Daneben fehlen auch zu weiteren wichtigen Fragen – wie auch in Studien zu persönlich erbrachten psychologischen Interventionen – Antworten in den ausgewerteten Studien: So werden etwa unerwünschte Ereignisse oft nicht oder nicht systematisch erhoben. Es bleibt daher unklar, welches Schadenspotenzial mit der Anwendung von Apps bei generalisierter Angststörung einhergeht. Auch betrug die Dauer der Studien in der Regel nur zwei oder drei Monate. Aussagen dazu, ob Betroffene von der Anwendung von Apps längerfristig, auch über den Interventionszeitraum hinaus, profitieren, sind daher nicht möglich. Darüber hinaus gab es keine Studien, die die Anwendung von Apps bei Jugendlichen im Alter ab 14 Jahren untersuchen.
Ob Apps besser oder schlechter sind als eine persönlich erbrachte kognitive Verhaltenstherapie, lässt sich aus den ausgewerteten Studien nicht erkennen. Hierfür wären Studien notwendig, die diese Interventionen direkt miteinander vergleichen. Solche Studien liegen aber aktuell nicht vor.
Der ThemenCheck Medizin
Interessierte können im Rahmen des ThemenCheck Medizin Vorschläge für die Bewertung von medizinischen Verfahren und Technologien einreichen. In einem zweistufigen Auswahlverfahren, an dem auch Bürgerinnen und Bürger beteiligt sind, werden aus den eingereichten Vorschlägen pro Jahr bis zu fünf neue Themen ausgewählt. Laut gesetzlichem Auftrag sollen dies Themen sein, die für die Versorgung von Patientinnen und Patienten von besonderer Bedeutung sind. Die ThemenCheck-Berichte werden nicht vom IQWiG selbst verfasst, sondern von externen Sachverständigen. Deren Bewertung wird gemeinsam mit einer allgemein verständlichen Kurzfassung und einem IQWiG-Herausgeberkommentar veröffentlicht.
Die vorläufigen Ergebnisse des Berichts „Generalisierte Angststörung: Helfen Apps Betroffenen bei der Bewältigung ihrer Erkrankung?“ hatte das Institut im November 2023 als vorläufigen ThemenCheck-Bericht veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Bericht überarbeitet und jetzt in seiner finalen Fassung veröffentlicht.
Das IQWiG ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht. Wir informieren laufend darüber, welche Vor- und Nachteile verschiedene Therapien und Diagnoseverfahren haben können
Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Siegburger Str. 237
50679 Köln
Telefon: +49 (221) 35685-0
Telefax: +49 (221) 35685-1
http://www.iqwig.de
Stabsbereich Kommunikation
Telefon: +49 (221) 35685-0
E-Mail: jens.flintrop@iqwig.de