ADRA Deutschland teilt die Sorge um die künftige Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit der EU

Die Abteilung für Internationale Partnerschaften (DG INTPA) der Europäischen-Kommission plant, die internationale Entwicklungszusammenarbeit in eine Handels- und Investitionsstrategie umzuschreiben. Nach dem Entwurf des „Briefing Books“ sollen zudem die Schwerpunkte des auswärtigen Handelns der Europäischen Union (EU) nach der Europawahl neu definiert werden. Diese Pläne stoßen bei der Adventistischen Entwicklungs- und Katastrophenhilfe ADRA Deutschland und 13 weiteren Nichtregierungsorganisationen (NRO) auf große Besorgnis. In einem offenen Brief warnen die 14 NRO vor den fatalen Folgen.

Außenwirtschaftsförderung kann keine Entwicklungszusammenarbeit ersetzen, betont Andreas Lerg, Pressesprecher von ADRA Deutschland in einer Pressemitteilung. Das Hilfswerk habe gemeinsam mit 13 weiteren internationalen Hilfsorganisationen einen offenen Brief an die Europäische Kommission unterzeichnet. Darin werden erhebliche Bedenken gegen den kürzlich bekannt gewordenen Entwurf eines „Briefing Books“ der Generaldirektion Internationale Partnerschaften (DG-INTPA) geäußert. Dieses Konzept der DG INTPA soll die zukünftige Entwicklungsstrategie der EU bestimmen. 

ADRA Deutschland sei davon überzeugt, dass Global Gateway nicht die einzige Methode sein könne, um die Zukunft des außenpolitischen Handelns der EU und ihr Engagement bei der Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen zu gestalten. Eine wachsende Zahl von Konflikten und Klimakatastrophen verschärfe die ohnehin schon katastrophale humanitäre Lage weltweit. Die Krisen würden komplexer, häufiger und langfristiger. Im Entwurf des Briefing Books fehle jeglicher Ansatz, diese Entwicklung und die Bedürfnisse der betroffenen Menschen einzubeziehen und zu berücksichtigen. „Wir fordern DG INTPA auf, ihren Fokus und damit das Konzept auf genau diese Problematik und Entwicklung neu auszurichten“, so Andreas Lerg.

In dem offenen Brief werde davor gewarnt, dass der vorgeschlagene Wechsel zu einem transaktionalen Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit Jahrzehnte des Fortschritts gefährden könne. Insbesondere in fragilen oder krisengeschüttelten Regionen könnte dieser Ansatz die schwächsten und verwundbarsten Gemeinschaften im Stich lassen und verheerende Folgen für die am stärksten gefährdeten Menschen haben. Dies würde die globale Relevanz der EU in einer zunehmend fragilen Welt untergraben. Hinter dem transaktionalen Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit verberge sich nichts anderes als die Ausrichtung der Zusammenarbeit und Hilfe an den wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen der Geberländer.

Global Gateway verschiebt den Fokus auf Eigennutz

Das durchgesickerte Dokument konzentriere sich fast ausschließlich auf die Global Gateway-Strategie der EU. Dies bestätige die Befürchtung, dass die überarbeitete EU-Strategie der globalen Zusammenarbeit ihre eigenen geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen ins Zentrum stellt. Dabei setze dieser Wandel stark auf den privaten Sektor und entferne sich von der Verpflichtung zu lokal geführter Entwicklung, der Unterstützung von Zivilgesellschaft sowie von transformativen und menschenzentrierten Modellen.

Bislang sei die EU ein Verfechter guter Geberprinzipien gewesen, wie sie im Europäischen Entwicklungs-Konsens von 2017 und in den EU-Verträgen festgelegt sind. Diese verpflichteten die EU-Mitgliedstaaten dazu, Hilfe dort zu leisten, wo die „Bedürfnisse am größten sind und wo sie die größte Wirkung erzielen kann, insbesondere in den am wenigsten entwickelten Ländern und in Situationen von Fragilität und Konflikt“.

João Martins, Regionaldirektor von ADRA Europa, erklärt: „Eine kürzlich von Focus 2030 durchgeführte Umfrage zeigt, dass 73 % der Befragten in Frankreich, Deutschland und Italien glauben, dass die EU-Unterstützung für Gesundheit, Bildung und Entwicklung in den ärmsten Ländern beibehalten oder erhöht werden sollte“. Christian Molke, Vorstandsvorsitzender von ADRA Deutschland e.V., fügt hinzu: „Mit der Fokussierung auf die Global-Gateway-Strategie handelt die EU gegen den Willen der großen Mehrheit der Europäerinnen und Europäer“.

Flexible, anpassungsfähige und innovative Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit seien entscheidend, um der zunehmenden Komplexität und Dauer globaler Krisen wirksam zu begegnen, gab ADRA-Pressesprecher Lerg zu bedenken. Dazu gehöre die Bereitstellung von Finanzierungen in Regionen, die unter extremer Armut leiden. Dazu gehöre auch die Unterstützung von Basisdienstleistungen wie Wasserversorgung, Gesundheit, Energieversorgung oder Bildung. Dazu gehörten die Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Menschen und Gemeinschaften und die Bekämpfung der Ursachen von Armut und Not.

Fatale Rückkehr zum Top-Down-Ansatz

Der durchgesickerte Entwurf des Briefing Books zeige jedoch einen zynischen Ansatz, der im krassen Widerspruch zu den eigenen Überzeugungen der EU stehe und zu Top-Down-Ansätzen zurückkehre. Zu Ansätzen, welche die Bedürfnisse der Menschen in instabilen und von Konflikten betroffenen Regionen ignorierten. Diese Pläne drohten, Jahrzehnte guter und bewährter Praxis zunichte zu machen, indem sie die Unterstützung der EU für humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensbemühungen (Triple Nexus) untergraben, ihre Verpflichtungen zum Grand Bargain gefährden und den nationalen Strategien vieler Mitgliedstaaten widersprechen.

ADRA Deutschland fordere gemeinsam mit 13 weiteren Nichtregierungsorganisationen in einem offenen Brief die Europäische Kommission dringend auf, diesen fehlerhaften Entwurf zu überdenken und ihre Verpflichtungen zur Bekämpfung der weltweit wachsenden humanitären Bedürfnisse aufrechtzuerhalten. Es wäre von entscheidender Bedeutung, dass die Maßnahmen der EU im Einklang mit den grundlegenden Werten und Zielen der Armutsbekämpfung und der nachhaltigen Entwicklung stehen und dass ein auf Rechten basierender Ansatz und das Prinzip „Leave No One Behind“ (Niemanden zurücklassen) zum Leitprinzip werden.

Informationen 

Hintergrund zum transaktionalen Ansatz

Ein transaktionaler Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit bedeutet, dass die Zusammenarbeit und Hilfeleistungen primär auf ökonomische und geopolitische Interessen der Geberländer ausgerichtet sind. Hier sind die wesentlichen Merkmale eines solchen Ansatzes:

  1. Priorisierung wirtschaftlicher Interessen: Der Fokus liegt auf Handels- und Investitionsmöglichkeiten, wobei die Entwicklungsprojekte so gestaltet werden, dass sie wirtschaftliche Vorteile für die Geberländer oder beteiligte private Unternehmen bringen.
  2. Einbindung des privaten Sektors: Es wird stark auf die Beteiligung und Finanzierung durch den privaten Sektor gesetzt. Projekte werden oft in Form von Public-Private Partnerships (PPP) realisiert.
  3. Geopolitische Ziele: Entwicklungshilfe wird genutzt, um geopolitische Ziele zu verfolgen, etwa durch die Stärkung von Allianzen oder den Zugang zu strategischen Ressourcen.
  4. Weniger Fokus auf bedarfsorientierte Hilfe: Der Ansatz rückt von traditionellen Prinzipien der Entwicklungszusammenarbeit ab, die die Bedürfnisse der am stärksten gefährdeten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen in den Vordergrund stellen.
  5. Top-down-Ansatz: Entscheidungen und Strategien werden häufig von den Geberländern vorgegeben, ohne ausreichende Einbindung und Berücksichtigung der lokalen Bedürfnisse und Prioritäten der Empfängerländer.

Über ADRA

Die Adventistische Entwicklungs- und Katastrophenhilfe ADRA (Adventist Development and Relief Agency) wurde 1956 gegründet und führt weltweit Projekte der Entwicklungszusammenarbeit sowie der humanitären Hilfe in Katastrophenfällen durch. ADRA ist eine nichtstaatliche Hilfsorganisation und wird von der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten getragen. ADRA International besteht aus einem weltweiten Netzwerk mit 118 eigenständigen nationalen Büros und etwa 7.500 hauptamtlichen Mitarbeitenden. Informationen: www.adra.org.  

ADRA Deutschland e. V. mit Sitz in Weiterstadt bei Darmstadt wurde 1987 gegründet und hat rund 50 Angestellte. ADRA Deutschland ist unter anderem Gründungsmitglied des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO), der „Aktion Deutschland Hilft“ und „Gemeinsam für Afrika“. Informationen: www.adra.de.

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