PTBS als Berufskrankheit anerkannt: Mitarbeitersicherheit ist auch Patientensicherheit!

Vor einem halben Jahr hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel die Posttraumatische-Belastungsstörung (PTBS) eines Rettungssanitäters als Berufskrankheit anerkannt. Jetzt wurde die Urteilsbegründung endlich veröffentlicht – und die Entscheidung damit endgültig bestätigt. „Wir begrüßen diese wegweisende Rechtsprechung außerordentlich“, kommentiert Dr. Dominik Hinzmann (Foto), Sprecher der Sektion Perspektive Resilienz der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Das Urteil stoße hoffentlich eine generelle Debatte an, psychischen Belastungen im Gesundheitswesen besser vorzubeugen, vor allem in der Intensiv- und Notfallmedizin, mit einer signifikant hohen Abfolge dramatischer Ereignisse.

„Um den Personalmangel in der Intensiv- und Notfallmedizin langfristig in den Griff zu bekommen, müssen wir uns deutlich mehr und deutlich besser um die noch vorhandenen Mitarbeitenden kümmern!“, fordert deshalb auch DIVI-Präsident Prof. Felix Walcher mit Blick auf 2024. Auf seine Initiative gründete sich die Sektion Resilienz bereits vor fünf Jahren und setzt sich seither für die psychische Gesunderhaltung der Mitarbeiten in der Intensiv- und Notfallmedizin ein. „Dafür brauchen wir eine flächendeckende und nachhaltige Implementierung kollegialer Unterstützungssysteme in allen Kliniken und Gesundheitseinrichtungen in Deutschland!“, appelliert Präsident Walcher. So hat in den 2022 veröffentlichten Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung der Intensivstationen die Sektion wichtige Aspekte zur Personalführsorge durch psychosozialen Unterstützung unter anderem im Sinne eines so genannten „Peer support“ eingebracht.

Die vergangenen Monate zwischen Urteilsverkündung und Bestätigung hat die DIVI-Sektion Perspektive Resilienz bereits intensiv genutzt. Schon lange setzen sich die Mitglieder dafür ein, dass aus den Folgen einer chronischen Dauerbelastung von Klinik-Mitarbeitern keine dauerhafte Beeinträchtigung in der Ausübung des eigenen Berufes entsteht. Entsprechend gilt es, die im Gesundheitswesen Arbeitenden physisch und psychisch bestmöglich gesund zu halten – was bisher nur bei Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst in der Präklinik etabliert ist.

Bei erhöhtem PTBS-Risiko und -Erkrankung Anspruch auf Leistungen

„Das PTBS-Urteil vom 22.06.2023 untermauert endlich unsere Forderung“, erklärt Sektionssprecher Hinzmann die Bedeutung des Urteils vor allem übertragen auf Mitarbeitende der Intensiv- und Notfallmedizin. Sie haben in der Ausübung ihres Berufes ein erhöhtes Risiko für die Konfrontation mit extrem belastenden Ereignissen und deren Kumulation.
Denn: Soweit Betroffene jetzt nachweisen können, dass sie einer Berufsgruppe angehören, die stärker als andere vom Risiko einer Traumafolgestörung oder im Verlauf Posttraumatischen-Belastungsstörung betroffen ist und die Betroffenen ebenfalls nachweisen können, dass sie berufsbedingt an einer solchen PTBS leiden, besteht ein Anspruch auf Leistungen durch die Unfallversicherungsträger.

Der Gutachter des klagenden Rettungssanitäres kam zum Beispiel zu dem Ergebnis, dass dessen Risiko „fast siebenfach erhöht ist“, eine PTBS zu entwickeln. „Im Zweifel glauben wir, dass Mitarbeitende der Notfall- und Intensivmedizin mit dem gleichen Ergebnis rechnen dürfen“, so Sektionssprecher Hinzmann.

Mitarbeiterunterstützung ist auch Patientensicherheit!

Was folgt also? „Optimal wäre in einem ersten Schritt die Umsetzung der DIVI-Strukturempfehlung auf allen Stationen und in der Notaufnahme“, erklärt Hinzmann. Unterstützungssysteme für Mitarbeitende seien hier bereits berücksichtig und bezögen sich vor allem auf kurzfristige Hilfen wie Nachbesprechung oder Nachsorge in Form von kollegialbasierten Unterstützungssystemen (Peer Support). Einige Kliniken haben entsprechende Angebote bereits auf eigene Initiative etabliert. „Was fehlt ist die flächendeckende und verpflichtende Unterstützung für jeden Mitarbeitenden in jeder Klinik! Da müssen wir hin!“

Hinzmann lässt keinen Zweifel daran, dass die Zeit drängt. Zu viele Pflegende wie auch Ärztinnen und Ärzte kehren wegen der fehlenden Unterstützung ihrem Beruf den Rücken – „den wir ja im Grunde alle lieben!“. Von Bedeutung sei deshalb darüber hinaus auch die mittel- und langfristige Versorgung traumatisierter Mitarbeiter durch Psychotherapien und berufliche Wiedereingliederung.

Die Sektion Perspektive Resilienz erarbeitet bereits aktuell Handlungsempfehlungen und Best-Practice-Beispiele für Kolleginnen und Kollegen. Zwei „One-Minute-Wonder“ wurden gerade veröffentlicht:

Mitarbeiter müssen und dürfen auch an sich selbst denken!

„Das PTBS-Urteil erhöht den Druck, sich mit dem Thema Mitarbeiterunterstützung auseinander zu setzen – um eine hohe Quote nicht mehr arbeitsfähiger Mitarbeiter mit Leistungsansprüchen zu reduzieren, um so unter anderem auch die Versorgungssituation im Land aufrecht erhalten zu können“, fasst es DIVI-Präsident Walcher zusammen. Das Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten nach belastenden Situationen Helfer zur Seite gestellt bekommen, stehe weiterhin ganz oben auf seiner Agenda. „Ein wichtiges Thema auch für 2024 in der Intensiv- und Notfallmedizin“, betont der Direktor der Klinik für Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Magdeburg. „Mitarbeiterunterstützung bedeutet schließlich auch Patientensicherheit!“ Generell müsse Helfenden deshalb ab und zu selbst Hilfe zu Teil werden können.

Über den Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) e.V.

Die 1977 gegründete Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) ist ein weltweit einzigartiger Zusammenschluss von mehr als 4.300 persönlichen Mitgliedern und 19 Fachgesellschaften aus Anästhesiologie, Chirurgie, Innerer Medizin, Kinder- und Jugendmedizin sowie Neurologie und Neurochirurgie. Ihre fächer- und berufsübergreifende Zusammenarbeit und ihr Wissensaustausch machen im Alltag den Erfolg der Intensiv- und Notfallmedizin aus.

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