“Deutschland ist eines der wenigen Länder weltweit, die das Weltrechtsprinzip auf Grundlage der eigenen nationalen Gesetzgebung tatsächlich anwenden. Wir setzen uns seit langem für die Fortentwicklung des Völkerstrafrechts ein und begrüßen es deshalb sehr, dass das Bundesministerium der Justiz weiter daran arbeitet”, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. “Das Völkerstrafrecht kann rechtsstaatliche Strukturen und die Pressefreiheit stärken, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Damit sein Potenzial ausgeschöpft werden kann, braucht es insbesondere einen verbesserten Zugang für nicht-deutschsprachige Medien zu den Gerichtsverfahren.”
RSF beobachtet weltweit, vor allem aber in Krisengebieten, Ereignisse, die nach dem Völkerstrafrecht strafbar sind. Viele dieser Verbrechen richten sich explizit gegen Medienschaffende: Sie werden angegriffen oder verschwinden infolge ihrer kritischen Berichterstattung. RSF ist der Ansicht, dass solche Verbrechen als Kriegsverbrechen oder als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verstanden werden müssen, die sich gegen Medienschaffende als besonders schützenswerten Teil der Zivilbevölkerung richten.
Deutschland ist laut der Rangliste der Pressefreiheit eines der wenigen Länder, in denen Medienschaffende vergleichsweise gut arbeiten können. Im Kampf gegen die Straflosigkeit für Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten ist deshalb ein starkes Völkerstrafrecht in Deutschland besonders wichtig.
Einstufung als “Verschwindenlassen” soll erleichtert werden
RSF begrüßt sehr, dass der BMJ-Entwurf sich des „Verschwindenlassens“ annimmt. Mindestens 65 Medienschaffende galten Ende 2022 als entführt, fast 50 Medienschaffende sind in den vergangenen 20 Jahren verschwunden. Darunter leiden auch die Angehörigen der Entführten – ihre Ungewissheit und die Einschüchterung einer ganzen Bevölkerung ist Ziel dieser Praxis. Bislang erfordert das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), dass nach dem Verschwinden einer Person eine explizite Nachfrage an die verantwortlichen, oft staatlichen Stellen gerichtet wird. Nur wenn diese keine Auskunft erteilen, wird die Tat als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet. Eine solche Nachfrage ist jedoch in den meisten Fällen nicht nur aussichtslos, sondern auch gefährlich – die Bedingung ist realitätsfern und entspricht auch nicht dem geltenden internationalen Recht. RSF begrüßt es daher, dass der Entwurf die schon lange geforderte Anpassung vorsieht und das Erfordernis der Nachfrage entfallen soll.
Nicht zuletzt die Verurteilungen von Mitarbeitern des syrischen Geheimdienstes durch das Oberlandesgericht Koblenz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit haben gezeigt, dass Prozesse nach dem Völkerstrafrecht eine weltweite Signalwirkung entfalten können. Dafür muss das Recht jedoch geeignete Bedingungen der Berichterstattung gewährleisten. Der Referentenentwurf will die Rezeption und Verbreitung bedeutsamer völkerstrafrechtlicher Prozesse in Deutschland verbessern. Medien können und sollten dabei eine entscheidende Rolle spielen, gerade solche, die für die Länder berichten, die von den jeweiligen Verfahren betroffen sind: Nur durch die Information und Beteiligung der Betroffenen kann die Verfolgung und Aufarbeitung von Verbrechen nach dem Weltrechtsprinzip internationale Legitimität haben. Vor allem aus sprachlichen Gründen ist das jedoch oft schwierig.
Anspruch auf Verdolmetschung
Der Entwurf sieht vor, dass nun wenigstens die Möglichkeit bestehen soll, dass anwesende Medienschaffende Zugang zur Verdolmetschung für Verfahrensbeteiligte bekommen, wenn sie keine ausreichenden Deutschkenntnisse haben. RSF kritisiert jedoch, dass der Entwurf den Medien keinen Anspruch auf Zugang zu einer Verdolmetschung, sofern sie ohnehin vorhanden ist, gewährt, zumal auf das Gericht keine zusätzlichen Kosten zukämen. Nebenbei ist ein Zugang zu einer einheitlichen Übersetzung auch für die Qualität der Berichterstattung wünschenswert.
Ein weiterer Punkt ist der Zugang zur Verhandlung. Akkreditierung, Anreise und Teilnahme an einer Hauptverhandlung sind für ausländische Journalistinnen und Journalisten oft nur möglich, wenn sie tatkräftig durch NGOs unterstützt werden. Das hat sich nicht zuletzt beim Verfahren vor dem Oberlandesgericht Celle zu Gambia bestätigt. RSF schlägt über den BMJ-Entwurf hinaus vor, dass die Gerichte Übersetzungen nicht nur für die wichtigsten Verfahrensunterlagen bereitstellen, sondern auch für andere wichtige Informationen, etwa zur Akkreditierung und zu Terminen der Hauptverhandlung.
Manche Gerichte erlauben zudem bereits die Tonübertragung einer Verhandlung in einen separaten Arbeitsraum für Medien innerhalb des Gerichtsgebäudes. RSF schlägt vor, den Zugang zur Übertragung oder Verdolmetschung auch Medienschaffenden außerhalb des Gerichtsgebäudes zu ermöglichen. Davon würden besonders Medienschaffende profitieren, die nicht aus Deutschland berichten, sondern aus den Ländern der vom Verfahren Betroffenen.
Bereits jetzt können sich Opfer von Völkerstraftaten oder deren Hinterbliebene den Verfahren mit der Nebenklage anschließen. Davon hat etwa Baba Hydara, der Sohn des getöteten Journalisten und ehemaligen RSF-Korrespondenten in Gambia, Deyda Hydara, Gebrauch gemacht. Als Nebenkläger im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Celle hat er unter anderem das Recht, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, sich dabei anwaltlich vertreten zu lassen und ein Schlussplädoyer zu halten. Diese Position der Nebenklage soll nun mit dem Referentenentwurf gestärkt werden. Betroffene sollen unter vereinfachten Bedingungen auf Staatskosten eine anwaltliche Vertretung und eine psychosoziale Prozessbegleitung erhalten. RSF begrüßt diese und weitere Änderungen zur Stärkung der Nebenklage.
RSF-Stellungnahme zum Referentenentwurf
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