Wie die Süddeutsche Zeitung am 24. Juni berichtete, hat die Generalstaatsanwaltschaft München im Rahmen ihrer Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zwischen dem 13. Oktober 2022 und dem 26. April 2023 einen Berliner Festnetzanschluss abgehört, der von der Letzten Generation als „Pressetelefon“ beworben und entsprechend für Medienanfragen genutzt wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft und das anordnende Amtsgericht München wussten daher, dass in erster Linie Gespräche von Journalistinnen und Journalisten mit der Organisation überwacht werden würden. Drei hiervon betroffene Journalisten wollen nun – koordiniert von RSF und der GFF – gerichtlich feststellen lassen, dass dieses gezielte Abhören journalistischer Gespräche mit der Letzten Generation die Pressefreiheit verletzt.
Die Anträge gestellt haben die Journalisten Ronen Steinke, Henrik Rampe und Jörg Poppendieck, vertreten durch Rechtsanwältin Nicola Bier. Steinke, der die Überwachungsmaßnahme in dem oben genannten Artikel aufgedeckt hat, schreibt als rechtspolitischer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung regelmäßig über die Letzte Generation und hat im Überwachungszeitraum mehrere Gespräche über deren Pressetelefon geführt. „Journalistengespräche abhören, ununterbrochen, monatelang, und die Abgehörten auch hinterher darüber im Dunkeln lassen – ein solcher Übergriff des Staates höhlt die Pressefreiheit aus. Vertrauliche Gespräche sind für unabhängigen Journalismus essenziell“, sagte Steinke.
Henrik Rampe ist freier Journalist und recherchierte Ende 2022 zur Letzten Generation, unter anderem für ein Porträt des Aktivisten Jakob Beyer in der Süddeutschen Zeitung. Im Vorfeld dazu hat er mehrere Male über das Pressetelefon kommuniziert. „Warum hat der Staat vertrauliche Telefonate von mir und Kolleginnen und Kollegen mitgehört? Allein der Gedanke daran verstört mich. Das muss dringend aufgearbeitet werden“, sagte Rampe.
Jörg Poppendieck arbeitet als Reporter für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) und hat im April 2023 über das Pressetelefon ein Gespräch mit einem Vertreter der Letzten Generation geführt. „Solche Gespräche unterliegen einem besonderen Schutz. Es gilt das Grundrecht der Pressefreiheit abzuwägen. Mir ist es deshalb wichtig, dass das aufgearbeitet wird“, sagte Poppendieck.
„Diese drei Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Angesichts der medialen Präsenz der Letzten Generation im Überwachungszeitraum ist die Zahl der potenziell betroffenen Medienschaffenden unüberschaubar groß“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Ermittlungsbehörden haben damit der Pressefreiheit in Deutschland einen immensen Schaden zugefügt. Im Interesse aller Journalistinnen und Journalisten, die befürchten, dass ihre vertrauliche Kommunikation mitgehört wurde, wollen wir das nun gerichtlich feststellen lassen. Ein solch massenhaftes Abhören von Medienschaffenden darf sich nicht wiederholen.“
„Journalistinnen und Journalisten müssen sich bei Organisationen über deren unbequeme Protestformen informieren können, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Gespräche abgehört werden. Sonst ist die freie Berichterstattung in Gefahr“, kritisierte Benjamin Lück, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. „Unglaublich, dass die Generalstaatsanwaltschaft und das Amtsgericht die Pressefreiheit offensichtlich komplett außer Acht gelassen haben.“
Medienschaffende gelten als Berufsgeheimnisträgerinnen und -träger und haben als solche ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Strafprozessordnung, StPO). Bei der Anordnung einer Überwachung eines Telefonanschlusses, der als „Pressetelefon“ beworben wird und den somit in erster Linie Medienschaffende kontaktieren, muss also angemessen berücksichtigt werden, dass die Ermittelnden damit Telekommunikation erfassen, die dem besonderen Vertrauensverhältnis von Journalistin und Informant unterliegt. Die Ermittelnden müssen dann abwägen, ob der potenzielle Erkenntnisgewinn im Strafverfahren schwerer wiegt als die Vertraulichkeit der Kommunikation in diesem besonderen Vertrauensverhältnis – ob die indirekte Überwachung von Medienschaffenden also zulässig ist (§ 160a Abs. 2 StPO). Laut Süddeutscher Zeitung findet sich in den Beschlüssen des Amtsgerichts München zu dieser Abwägung kein Wort. Weder die Pressefreiheit noch deren besondere Berücksichtigung in strafrechtlichen Ermittlungen gemäß § 160 a StPO werden dort erwähnt.
Das von RSF und der GFF koordinierte Verfahren zielt darauf ab, die rechtlichen Grenzen für das Überwachen der besonders geschützten Kommunikation von und mit Journalistinnen und Journalisten gerichtlich klären zu lassen und Rechtssicherheit für sie zu schaffen. Sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass die Abhörmaßnahme mit Blick auf die Pressefreiheit unverhältnismäßig war, müsste es die Rechtswidrigkeit der Anordnung feststellen und würde somit ein wichtiges Zeichen für die Pressefreiheit setzen.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 21 von 180 Staaten. Mehr Informationen zur Lage der Pressefreiheit in Deutschland unter https://www.reporter-ohne-grenzen.de/deutschland.
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