Fehlende Sofortprogramme verletzen laut Wissenschaftlichem Dienst das Rechtsstaatsprinzip

Die Frage, ob die Bundesregierung bei der Novelle des Klimaschutzgesetzes rechtswidrig handelt, bewegt seit Wochen die Gemüter. Nun ist eine Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag zum Nicht-Vorlegen der Sofortprogramme veröffentlicht worden (PDF). Auch eine Willensbekundung von Olaf Scholz entbindet die Ministerien nicht von ihrer Pflicht, ein Sofortprogramm zu erstellen.

"Wir haben es jetzt schwarz auf weiß: Die Bundesregierung hält sich selbst laut interner Expertise nicht an die eigenen Gesetze", sagt KiB-Vorstand Craig Morris. "Die Glaubwürdigkeit der gesamten Bundesregierung steht auf dem Spiel. Außerdem drängt sich immer mehr der Verdacht auf, dass die geplante Gesetzesänderung einzig dem Zweck dient, wirksame Sofortmaßnahmen wie ein Tempolimit zu verschleppen".

Laut dem geltenden Klimaschutzgesetz müssen das Bau- und Verkehrsministerium bis zum 17.7. entsprechende Sofortprogramme vorlegen, weil die vorgegebenen Emissionsziele überschritten worden sind. Stattdessen hat die Koalition entschieden, die Sektorziele abzuschaffen. Trotzdem müssten die zuständigen Ministerien bis Mitte des Monats ein Sofortprogramm vorlegen – was sie aber gar nicht mehr vorhaben.

Die Analyse des Wissenschaftlichen Diensts spricht Klartext: Die Regierung kann nicht beschließen, sich nicht an die eigenen Gesetze zu halten. Das Kurzgutachten wurde vom Bundestagsabgeordneten Victor Perli in Auftrag gegeben, wie er auf Twitter schreibt. In der Nicht-Erstellung der Sofortprogramme sieht der Wissenschaftliche Dienst einen Bruch mit dem Rechtsstaatsprinzip:

"Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt der Vorrang des Gesetzes. Danach kann ein Gesetz nicht durch exekutive Willensäußerungen unwirksam gemacht werden. Die Nichtanwendung eines wirksamen Gesetzes durch die Regierung und Verwaltung ist mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und der umfassenden Bindung der Regierung und Verwaltung an Gesetz und Recht nicht zu vereinbaren. Auch eine politisch beabsichtigte Novellierung eines Gesetzes vermag an diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen nichts zu ändern. Im vorliegenden Kontext sind darüber hinaus die zeitlichen und inhaltlichen Unwägbarkeiten, welche mit einem Gesetzgebungsvorhaben naturgemäß einhergehen, die bisher noch ungeklärte Frage der Verfassungsmäßigkeit der beabsichtigen KSG-Änderungen und die erhebliche Bedeutung des Verkehrssektors zur Erreichung der völker- und unionsrechtlichen Klimaziele zu berücksichtigen."

Besonders brisant: Den Abgeordneten liegt die Analyse seit dem 25.4. vor. Sie wird wohl in der Datenbank des Wissenschaftlichen Diensts auch etwa zwei Wochen später für die Öffentlichkeit auffindbar gewesen sein, denn so lange gilt eine solche Stellungnahme des Diensts in der Regel als intern. In der Presse ist aber nicht darüber berichtet worden.

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