Familienorganisationen: Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“ fällt hinter Erwartungen zurück

Die in der AGF zusammengeschlossenen Familienverbände begrüßen, dass Deutschland heute, obwohl als einer der letzten EU-Staaten, seinen Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der EU Kindergarantie verabschiedet hat. Gleichzeitig kritisieren die Verbände das Fehlen einer umfassenden und zukunftsorientierten Gesamtstrategie, die über den zeitlichen Horizont einer Legislaturperiode hinausgeht. Sie fordern neue substanzielle Anstöße für die Armutsbekämpfung und die Verbesserung der Teilhabechancen von benachteiligten Kindern statt einer Aufzählung bereits vorhandener oder im Koalitionsvertrag vereinbarter Maßnahmen.

„Der Nationale Aktionsplan reproduziert die Probleme der aktuellen ‚Verwaltung der Armut‘ von Familien, der es an einem ganzheitlichen Blick auf die Kinderarmut fehlt. Statt alle Maßnahmen und Projekte, die auch nur annähernd etwas mit Familien und Kindern zu tun haben, kommentarlos nebeneinander aufzulisten, müssten infrastrukturelle und monetäre Maßnahmen über die verschiedenen (Zuständigkeits-)Ebenen hinweg zu einer umfassenden Gesamtstrategie verknüpft werden. Die Perspektive muss dabei über eine Legislaturperiode hinaus weisen.“ stellt Dr. Klaus Zeh, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) fest.

Unbefriedigend ist für die Familienverbände, dass der Entwurf des Nationalen Aktionsplans nur sehr reduziert dem Charakter eines politischen Aktionsplans gerecht wird. Sie vermissen außerdem konkrete Hinweise zur Entwicklung eines Monitoring-Instrumentes zur Messung der Fortschritte bei der Armutsbekämpfung und Teilhabeförderung für arme und armutsbedrohte Kinder und Jugendliche. Es müssten unbedingt mehr operationalisierbare messbare Zielformulierungen und Instrumente zur Erfolgsmessung der politischen Maßnahmen ergänzt werden.

„Die Umsetzung der Europäischen Garantie für Kinder muss ein wichtiger Impuls sein, um eine integrierte Strategie zur Bekämpfung von Kinderarmut und Teilhabedefiziten betroffener Kinder und Jugendlicher zu entwickeln. Es bleibt also zu hoffen, dass im weiteren Umsetzungsprozess bis 2030 in einer gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten vom Aktionsplan ‚Neue Chancen für Kinder‘ doch noch ein starker Anstoß für eine ressortübergreifende und föderale Ebenen integrierende innovative Kinderarmutspolitik ausgehen kann“, betont Sven Iversen, Geschäftsführer der AGF.

Hintergrund: Die „Europäische Garantie für Kinder“

Am 14. Juni 2021 haben die EU-Mitgliedstaaten eine „Europäische Garantie für Kinder“ (Child Guarantee) beschlossen. Sie ist eine zielgruppenspezifische Initiative, um von Teilhaberisiken bedrohte Kinder und Jugendliche in der EU zu unterstützen. Ziel der Child Guarantee ist es, „soziale Ausgrenzung zu verhindern und zu bekämpfen, indem der Zugang bedürftiger Kinder zu einer Reihe wichtiger Dienste garantiert wird, und dadurch auch einen Beitrag zum Schutz der Kinderrechte durch die Bekämpfung von Kinderarmut und die Förderung von Chancengleichheit zu leisten.“

Die Child Guarantee definiert Zielgruppen, die sie als „bedürftige Kinder“ bezeichnet. Dazu gehören arme oder armutsbedrohte Kinder in prekären familiären Situationen. Aber auch andere Formen der Benachteiligung von Kindern, die eine gesellschaftliche Inklusion und Teilhabe erschweren können, werden von der Child Guarantee als bedürftig benannt. Dazu zählen Obdachlosigkeit, Behinderung, Migrationshintergrund, ethnische Diskriminierung und Heimerziehung. Die zielgruppenorientierte Child Guarantee ist eingebettet in die universell an alle Kinder gerichtete europäische Kinderrechte-Strategie, die am 24. März 2021 veröffentlicht wurde.

Für die Umsetzung enthält die Europäische Garantie für Kinder Selbstverpflichtungen der EU-Mitgliedstaaten, die bedürftigen Kindern den Zugang zu bestimmten für ihr Wohlbefinden und gutes Aufwachsen wichtigen Diensten und Gütern bis zum Jahr 2030 garantieren soll. Dies sind insbesondere:

– ein effektiver und kostenloser Zugang zu hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung, zu Bildungsangeboten und schulbezogenen Aktivitäten sowie zu mindestens einer gesunden Mahlzeit pro Schultag,
– ein effektiver und kostenloser Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung,
– ein effektiver Zugang zu angemessenem Wohnraum,
– ein effektiver Zugang zu gesunder Ernährung.

Die Child Guarantee sieht vor, dass die einzelnen EU-Mitgliedstaaten jeweils einen Nationalen Aktionsplan mit länderspezifischen Maßnahmen zur Umsetzung entwickeln.

Die AGF hat sich bereits sehr früh mit einer Reihe von Workshops und einem Empfehlungspapier zu den zentralen Themen der EU-Kindergarantie und ihrer Implementierung in Deutschland zu Wort gemeldet. Unter anderem hat sie Empfehlungen mit normativen Leitplanken und Vorschlägen für die spezifischen deutschen Maßnahmen zur Umsetzung der Child Guarantee erarbeitet.

Eine Stellungnahme zur vorangegangenen Entwurfsfassung des Nationalen Aktionsplans „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, die ausführlichen „AGF-Empfehlungen für den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Kindergarantie in Deutschland“ und weitere Informationen finden Sie auf der Webseite der AGF (www.ag-familie.de):

– AGF-Empfehlungen für den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Kindergarantie in Deutschland
– AGF-Stellungnahme zur Entwurfsfassung des Nationalen Aktionsplans „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“
– Überblick über nationale Aktionspläne anderer Staaten
– Weitere Informationen zur EU-Kindergarantie

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