Neue RSF-Karte zeigt Fluchtbewegungen und Aufnahmeländer

Weltweit sind Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit bedroht oder gefährdet und müssen ins Ausland fliehen. Reporter ohne Grenzen (RSF) hat erstmals Migrationsbewegungen von Medienschaffenden visualisiert, die aus Sicherheitsgründen aus ihren Heimatländern fliehen mussten, inklusive der Aufnahmestaaten – zumeist in Europa und Nordamerika – und derjenigen Länder, in denen Exilmedien ihre Arbeit aufgenommen haben. Die Karte basiert auf Daten der RSF-Nothilfe-Teams und der RSF-Regionalbüros aus den vergangenen fünf Jahren.

Auf der Karte sind Gebiete markiert, in denen es bewaffnete Konflikte gibt, wie in der Ukraine, im Sudan oder in Syrien. Sie zeigt außerdem, wo es zuletzt zu Spannungen und politischen Unruhen gekommen ist, welche die Verfolgung kritischer, unabhängiger Medienschaffender begünstigt haben.

„Unser Nothilfe-Team konnte sich noch nie über fehlende Arbeit beklagen, aber spätestens seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor fast zwei Jahren sind wir pausenlos im Einsatz“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Zum einen kämpfen wir gegen die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten, zum anderen unterstützen wir diejenigen, die im Ausland Zuflucht suchen müssen. Das sind teils ganze Redaktionen. Es ist enorm wichtig, dass diese Exilmedien weiterarbeiten können. Dafür braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung aller demokratischen Regierungen.“

Flucht aus Russland, Afghanistan, Myanmar und Hongkong

Mehrere Hundert Journalistinnen und Journalisten sind aus Russland geflohen, aus Angst, wegen ihrer Berichterstattung über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine inhaftiert zu werden. Eine große Anzahl hat Zuflucht in benachbarten Ländern wie Georgien oder den baltischen Staaten gefunden, aber auch in Polen, Deutschland und Frankreich. Sehr viele versuchen, die Berichterstattung aus der Distanz aufrechtzuerhalten. Ein Beispiel sind die Journalistinnen und Journalisten der Online-Nachrichtenseite Bumaga, die weiterhin aus sieben verschiedenen Ländern über die Region Sankt Petersburg berichten.

Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 und die des Militärs in Myanmar im Februar 2021 zwangen Hunderte Medienschaffende ins Ausland. Weitere mindestens 100 Journalistinnen und Journalisten sind in den vergangenen drei Jahren aus Hongkong geflohen, nachdem das sogenannte Sicherheitsgesetz unabhängige Zeitungen wie Apple Daily gezwungen hat, ihre Arbeit einzustellen. Jimmy Lai, der Gründer der Zeitung, ist einer der 13 Medienschaffenden, die derzeit in Hongkong im Gefängnis sitzen. Die Staatsmacht will mit diesem drakonischen Vorgehen eine Botschaft an alle unabhängigen Journalistinnen und Journalisten senden. Die meisten von ihnen sind vor der Verfolgung ins nahegelegene Taiwan, nach Großbritannien oder Nordamerika geflohen.

Einige Medienschaffende schaffen es in Länder, deren Sprache sie sprechen oder in denen sie bereits Verwandte haben – häufig die Vereinigten Staaten oder Kanada. Für die meisten flüchtenden Journalistinnen und Reporter ist das Exil jedoch ein mindestens zweistufiger Prozess. Unter akuter Bedrohung flüchten viele zunächst in Nachbarländer. Dort kommt jedoch ein langfristiger Aufenthalt aufgrund der vorherrschenden politischen oder wirtschaftlichen Lage nicht in Frage. So sind Dutzende afghanische Journalistinnen und Journalisten mit ihren Familien ins benachbarte Pakistan geflohen. Die erhoffte Atempause in Pakistan – Platz 150 von 180 auf der Rangliste der Pressefreiheit – ist jedoch nur von kurzer Dauer. Afghanische Medienschaffende finden sich in Pakistan schnell in der Illegalität wieder, da sie kein Visum und keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und sich in den Konsulaten anderer Länder mit teils extrem langwierigen Prozessen herumschlagen müssen. Da sie ihrer Arbeit nicht nachgehen dürfen, können sie auch nicht für ihre Familien sorgen, was ihre prekäre Situation noch verschärft. Aus Sicht von RSF ist deshalb einer der größten Kritikpunkte am ohnehin mangelhaften Bundesaufnahmeprogramm der deutschen Bundesregierung, dass es nicht für Medienschaffende gelten soll, die in Drittstaaten geflüchtet sind.

Ähnlich erging es den Dutzenden syrischen Medienschaffenden, die in die Türkei (Platz 165 auf der Rangliste der Pressefreiheit) fliehen konnten, als Ankara die Grenzen aus humanitären Gründen geöffnet hatte. Sie wurden jedoch oft in Lagern untergebracht, in ständiger Sorge, nach Syrien abgeschoben zu werden. Dort hätten sie damit rechnen müssen, in Baschar al-Assads Gefängnissen zu landen oder sogar hingerichtet zu werden. RSF hat, gemeinsam mit dem Syrian Center for Media and Freedom of Expression, bereits zwei Gruppen stark bedrohter syrischer Medienschaffender bei der gefährlichen Ausreise unterstützt.

Thailand wiederum droht damit, aus dem benachbarten Myanmar geflüchtete Journalistinnen und Journalisten zurückzuschicken. Dort wären sie stark gefährdet: In Myanmar sind weltweit nach China die meisten Medienschaffenden inhaftiert.

Zuflucht und Gefahr zugleich

Nicht selten ist ein und dasselbe Land für die einen ein Zufluchtsort, für die anderen jedoch eine Gefahr. Ägypten etwa steht auf der Rangliste der Pressefreiheit derzeit auf Platz 166, 20 Journalistinnen und Journalisten sitzen willkürlich in Haft. Zugleich haben in Ägypten mindestens 40 sudanesische Medienschaffende Zuflucht vor dem Krieg der beiden bewaffneten Gruppierungen gefunden, der Mitte April begann.

Nach der gefälschten Wiederwahl des Präsidenten Alexander Lukaschenko in Belarus im August 2020 war eine ganze Reihe von Medienschaffenden in die Ukraine geflohen. Zwei Jahre später griff Russland die Ukraine an, und die Situation der ins vermeintlich sichere Nachbarland geflohenen Medienschaffenden verschärfte sich auch dort.

Viele Medienschaffende aus Burundi wiederum gingen vor der drohenden Verfolgung zunächst nach Ruanda, mussten dann aber aufgrund des zunehmend repressiven Klimas in dem Land nach Europa und in die USA fliehen. Sie bleiben weiter in Gefahr: Die burundische Journalistin Florianne Irangabiye hatte von Ruanda aus eine kritische Radiosendung moderiert. Als sie in Burundi ihre Familie besuchen wollte, wurde sie zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt.

Auch im Exil sind viele nicht sicher

Auch wer es ins Exil geschafft hat, ist vor Bedrohungen und Gefahren nicht sicher. Viele geflüchtete Medienschaffende aus dem Iran arbeiten für prominente Exilmedien, etwa im Vereinigten Königreich. Im Zuge der niedergeschlagenen Proteste im Iran nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022 waren sie erneut Schikanen und Drohungen ausgesetzt. Dies ging so weit, dass der TV-Sender Iran International sein Londoner Büro vorübergehend schließen musste.

Ins Ausland zu fliehen, ist nicht immer nur eine individuelle Entscheidung. Weil Nicaragua unter der Regierung von Daniel Ortega zunehmend ins Autoritäre abgleitet, mussten im Juli 2022 innerhalb weniger Wochen sämtliche Journalistinnen und Journalisten der unabhängigen Tageszeitung La Prensa das Land verlassen. Die meisten von ihnen gingen ins benachbarte Costa Rica, wo sich inzwischen mehrere Exilmedien befinden. Spanien und die Vereinigten Staaten sind vor allem Zufluchtsländer für Hunderte Medienschaffende aus Venezuela, Kuba und einigen mittelamerikanischen Staaten.

Journalistinnen und Journalisten im Exil zu unterstützen, ist eine Prioritäten von Reporter ohne Grenzen. Deshalb hat RSF im April 2022 gemeinsam mit der Schöpflin Stiftung und der Rudolf Augstein Stiftung den JX Fund gegründet, der Medienschaffenden hilft, ihre Arbeit unmittelbar nach der Flucht aus Kriegs- und Krisengebieten wieder aufzunehmen. Bis Juni 2023 hat der JX Fund 51 Redaktionen und insgesamt etwa 1.400 Journalistinnen und Journalisten dabei unterstützt, ihre Arbeit fortzusetzen; in insgesamt 25 Exilländern.

Seit Anfang 2022 hat RSF International in 363 Fällen finanzielle Zuschüsse an Journalistinnen und Journalisten aus 42 Ländern vergeben. 70 Prozent davon gingen an Medienschaffende im Exil. Zudem hat RSF mehr als 400 Unterstützungsschreiben für Visa- oder Asylanträge verfasst. Die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen war hier vor allem in Bezug auf Medienschaffende aus Russland und Afghanistan, zunehmend aber auch wieder aus Syrien und der Türkei sowie aus dem Iran tätig.

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