„Das war eine ausgesprochen anspruchsvolle Kieler Woche mit fast ausschließlich Leichtwindtagen, aus denen die Wettfahrtleiterteams das Meistmögliche herausgeholt haben“, resümierte Regattaorganisationsleiter Dirk Ramhorst die neun Tage von Schilksee. Insgesamt wurden 282 Rennen über die acht Bahnen gebracht. Dabei erlebten die Aktiven durchgehend mediterrane Sommerbedingungen, die auch von mehr als 100.000 Segelfans und Gästen auf dem Eventgelände im Olympiazentrum Schilksee genossen wurden.
Für das kommende Olympiajahr 2024, wenn die Kieler Woche vom 22. bis zum 30. Juni stattfindet, will Ramhorst mit seinem Team „intensives Kundenmanagement“ betreiben, sowohl mit den nationalen Segelverbänden anderer Länder als auch dem Klassenvereinigungen. Erstere könnten sich zusammentun und vier Wochen vor den Spielen in Frankreich auf eine letzte Generalprobe als Trainingsregatta verständigen, wenn das Revier in Marseille bereits abgesperrt sein wird. Für quantitativ große Felder auch in den internationalen Bootsklassen solle bei deren Interessenvertretungen geworben werden. Über 2024 hinaus mahnt Ramhorst beim Weltsegelverband Terminschutz nicht nur gegenüber anderen Großevents, sondern auch deren exklusiven Trainingsslots an, um von der Weltspitze wieder mehr Aktive nach Kiel zu holen.
Spannende Duelle auf dem Wasser, aber auch eine große Enttäuschung an Land: Der letzte Tag der Kieler Woche bot noch mal die große Spannbreite der Emotionen im Segelsport. Für Eruptionen in den Ergebnislisten der J/70 sorgten vor dem Auslaufen die Ereignisse des Vorabends, die am Sonntagfrüh eingerechnet wurden. Resultat: Die Top-Crew der Internationalen Deutschen Meisterschaft der J/70, die Mannschaft um Malte Winkel, packte nach Disqualifikation ihr Equipment zusammen, während die Felder der acht Klassen aufs Wasser gingen. Unter den strahlenden Gesichtern der Segler stachen die der Sieger noch hervor. Neben den Deutschen Max Billerbeck (Contender), Levian Büscher (ILCA 4), Paul Ulrich (ILCA 6), Kay-Uwe Lüdtke/Kai Schäfers (Flying Dutchman) und dem Team von Fritz Meyer (J/24) durften sich auch ein Franzose, zwei Dänen und fünf Schweizer in ihren drei Klassen freuen.
29er-Euro-Cup
Im riesigen 168er-Feld der 29er zeigte sich zum Abschluss der Euro-Cup-Regatta, wie wichtig konstante Ergebnisse sind. Die Brüder Anton und Johann Sach (Zarnekau) machten am Abschlusstag zunächst mit Top-Ten-Platzierungen einen großen Schritt in Richtung Podium, verspielten dann aber alles durch einen 31. Platz in der finalen Wettfahrt und wurden insgesamt Siebte. Damit waren sie die einzigen Deutschen unter den ersten Zehn. An der Spitze des Feldes verloren die irischen Geschwister Clementine und Nathan van Steenberge ihre Position, kassierten die Platzierungen 16, 10 und 36 und rutschten auf Rang fünf ab. Die Polen Ewa Lewandowska/Leon Sapijaszko kletterten dagegen mit einem zweiten und ersten Rang zunächst ganz nach oben. Aber auch sie patzten zum Abschluss und wurden Gesamt-Vierte. So sicherten sich die Dänen Nicklas Holt/Katja Visby Svendsen das Kieler Woche-Gold.
Am meisten waren sie wohl selbst überrascht. „Ich habe das noch gar nicht richtig verstanden, dass wir Erste sind“, sagte die Vorschoterin. „Heute Morgen hatten wir nur auf einen Top-Ten-Platz am Ende gehofft. Was jetzt kommt, weiß ich noch nicht. Ich habe eigentlich keine weiteren Regatten geplant.“ Die Dänen hatten die allererste Wettfahrt am Donnerstag und schließlich die 13. und letzte der Serie gewonnen, dazwischen solide Ergebnisse eingefahren. Auf Rang zwei schafften es die Franzosen Jocelyn le Goff/Jules Vidor, Dritte wurden die Briten Charlie Gran/Sam Webb.
J/70-IDM
Ein neues Bild eröffnete sich den J/70-Teams am Morgen beim Blick in die Ergebnisliste. Am späten Sonnabend war noch ein Protest gegen 40 der 53 Crews verhandelt worden – mit intensiven Auswirkungen auf die Spitze des Feldes. Anlass waren die Klassenregeln der J/70, nach denen die Steuerleute vom Weltverband World Sailing entweder als Amateur klassifiziert oder als Profi auch Mit-Eigner eines J/70-Boots sein müssen. Die internationale Klassenvereinigung hatte das technische Komitee der Kieler Woche auf ungeklärte Status-Situationen hingewiesen. Ein Protest gegen die betroffenen Segler war daher verpflichtend.
Im Nachgang konnte das Gros seinen Status klären und kassierte für das vorherige Versäumnis lediglich eine Ein-Punkt-Strafe. Mit voller Härte traf es die Führungscrew um Malte Winkel. Der Kieler mit Olympia-Ambitionen im 470er hat nach World Sailing den Profi-Status, ist aber nicht Eigner des Bootes und kassierte daher Disqualifikationen für die einzelnen Wettfahrten. Damit ging die IDM ohne die Winkel-Crew in die Entscheidung.
„Nach so viel Spaß, den wir als Team zusammen hatten, und nach dieser starken Leistung, mit der wir uns in der J/70-Klasse gezeigt haben, ist es so ziemlich das Schlimmste, was uns passieren konnte. Dass wir nach drei Segeltagen kurz vor Schluss aufgrund einer Klassenregel disqualifiziert werden, ist brutal. Wir waren uns wie all die anderen Teilnehmer dieser Klassenregel nicht bewusst. Was uns bleibt, sind die tollen Tage, die wir als Team auf dem Wasser hatten und unsere herausragende Segelleistung, die ehrlich und hart erarbeitet wurde“, kommentierte Winkel das Geschehen. Nach drei weiteren Rennen am Abschlusstag sicherten sich die Schweizer um Steuermann Stefan Seger den Titel. Dahinter folgten Michael Grau (Hamburg) und Erik Lindén (Schweden).
Flying Dutchman
Sicherheit geht vor, sagten sich die amtierenden FD-Weltmeister Kay-Uwe Lüdtke/Kai Schäfers (Berlin/Hannover) und segelten vor der letzten Wettfahrt zurück in den Hafen. Ihr Schwert hatte einen Knacks bekommen. Größere Probleme wollte das Erfolgsduo vermeiden. Und leisten konnte es sich den verkürzten Tag auch. Der Sieg in der siebten Wettfahrt reichte zum Gesamtsieg. „Wir wollten hier noch mal einen schönen Vergleich haben für die WM in drei Wochen. Bisher konnten wir noch nicht so viel trainieren in diesem Jahr.“ Unter den deutschen Konkurrenten waren gute Teams am Start, allerdings fehlten die ungarischen Rekord-Weltmeister Szabolcs Majthenyi/Andras Domokos, da der Steuermann gerade Vater geworden ist. Und beim Olympiasieger von 1988, Jörgen Bojsen-Möller aus Dänemark, ist der FD nicht rechtzeitig fertig geworden. So folgten auf den nächsten Plätzen Kilian König/Johannes Brack (Hannover) und die Spanier Fran Martinez/Pepe Ruiz.
Contender
Ein vierter Platz zum Start in den Schlusstag reichte Max Billerbeck (Kollmar) bereits, um sich den Gesamtsieg zu sichern. Sein dänischer Trainingspartner Jesper Armbrust und dessen Landsmann Sören Dulong Andreasen konnten nur im Heckwasser folgen. Sie belegten auch im Gesamtklassement die Ränge zwei und drei. Das letzte Rennen hätte sich der deutsche Weltmeister von 2019 zwar sparen können, nutzte es aber zu einem weiteren guten Training für die kommende WM. „Heute war es nicht so einfach, ich bin nicht gut aus den Starts gekommen, und dann ist es schwer, sich nach vorn zu arbeiten. Aber es hat ja gereicht“, freute sich Billerbeck über seinen ersten Kieler Woche-Sieg trotz des zwölften Platzes zum Abschluss. „Als Generalprobe für die WM will ich das nicht werten. Denn die Bedingungen können da ganz andere sein. Mir kam die leichte Sommerbrise entgegen, und von den Australiern erwarte ich bei der WM noch eine Steigerung.“
Europe
Am ersten Tag hatte der Franzose Cyril Richard das Gelbe Trikot des Führenden bei den Europes übernommen, am zweiten Tag musste er es wieder abgeben. Doch mit einem Sieg und einem zweiten Platz zum Abschluss holte er sich noch das Kieler Woche-Gold. Dagegen lief es für Tania Tammling überhaupt nicht rund. Konnte sie sich an den ersten Tagen noch auf ihren Speed verlassen, musste sie sich nun mit den Plätzen sieben und vier begnügen und rutschte auf Rang drei ab. Die Kielerin Marisa Roch wusste es zu nutzten und sicherte sich Platz zwei, während Ex-Weltmeister Fabian Kirchhoff insgesamt Vierter wurde.
„Es waren enge Punktabstände vor dem letzten Tag, deshalb bin ich nicht auf Risiko gegangen. Das hat sich ausgezahlt“, sagte Marisa Roch. Trotz guter Platzierungen fand sie den Tag nicht einfach: „Es war super trickreich mit den Winden.“ Gesamtsieger Cyril Richard dagegen hatte einen klaren Plan: „Auf der Kreuz ging es über rechts, vor dem Wind über links. Ich hatte da eine klare Linie, konnte die nach den guten Starts auch umsetzen. Ich bin ein Spezialist für leichte Winde, und das war hier ein schönes Training für die WM in Dänemark.“ Nach WM-Platz fünf im vergangenen Jahr soll es für ihn nun ein paar Schritte nach oben gehen.
ILCA 4
Im vergangenen Jahr noch Opti-Segler und jetzt schon an der Spitze der ILCA-4-Klasse angekommen: Levian Büscher aus Düsseldorf steigert seine Performance auf der Kieler Förde beständig. 2022 landete er bei der Internationalen Deutschen Jugendmeisterschaft auf Rang drei und beim Goldenen Opti auf Platz zwei – geschlagen jeweils von internationalen Konkurrenten. Nach dem Umstieg krönte er sich zum Kieler Woche-Sieger. In seinem Heckwasser: zwei weitere Umsteiger. Der thailändische Opti-Weltmeister Weka Bhanubandh verkürzte zwar noch einmal den Abstand, konnte aber nicht mehr an Büscher vorbeiziehen. Clara Bonhagen (Bad Zwischenahn) verteidigte trotz eines Streichresultats im finalen Rennen den dritten Rang.
ILCA 6 open
Es wurde eng im Feld der Nachwuchsakteure der ILCA 6 um den Gesamtsieg – zumindest nach dem vorletzten Tag. Doch mit einem Sieg und einem zweiten Platz zum Abschluss verteidigte der Oldenburger Paul Ulrich seine Spitzenposition letztlich souverän. „Da habe ich mich noch gut gerettet“, sagte der 16-Jährige und erklärte: „Mein erster Kieler Woche-Sieg: Das ist ein riesiger Erfolg bei der größten Regatta der Welt. Das genieße ich jetzt.“ Aber mit der Warnemünder Woche und der kurz darauffolgenden Europameisterschaft in Polen geht es für den Nachwuchssegler munter weiter im Regatta-Terminkalender. Hinter Ulrich, der den deutschen Ex-Weltmeister Philipp Buhl als sein Vorbild nennt, kamen Hidde Schraffordt (Niederlande) und Stephanie Norton (Hongkong) auf die weiteren Podiumsplätze.
J/24
Eine Punktlandung zum Kieler Woche-Sieg legte das Team „Hungriger Wolf“ von Fritz Meyer (Hamburg) hin. In den vorangegangenen Tagen waren sie ausschließlich in der Verfolgerrolle und waren nun auf zwei Topresultate sowie Patzer der Konkurrenz angewiesen. Und es kam genauso, wie es sich das Team gewünscht hatte. Während sie zweimal auf Rang eins über die Linie gingen, kassierten die Teams vor ihnen kräftig Punkte. So gab es Silber für Stefan Karsunke (Hamburg) und Bronze für Manfred König (Hamburg). „Wir hatten heute das Glück auf unserer Seite“, sagte Meyer. Glück, das aber auch erarbeitet wurde: „Taktisch sind wir unsere beiden Siege sehr gut herausgefahren. Wir hatten gute Starts, haben den freien Wind gesucht und sind dann voll auf Speed und Höhe gefahren.“
Ergebnisse der Kieler-Woche-Regatta
Die nächste Kieler Woche findet vom 22. bis 30. Juni 2024 statt.
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