Positionspapier Selbstbestimmung statt Entwürdigung

 Die PROUT AT WORK-Foundation veröffentlicht gemeinsam mit führenden Fachverbänden und bedeutenden Unternehmen der deutschen Wirtschaft (Ben & Jerry’s, Edelman, IKEA, OTTO, Pfizer, Simmons & Simmons, Unilever) ihr ‚Positionspapier Selbstbestimmung statt Entwürdigung‘, um auf eine rasche Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes und damit selbstbestimmte und schlanke Prozesse für trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen hinzuwirken.

Vielfalt und Individualität unserer Mitarbeiter_innen zeichnen unsere Unternehmen aus und sind maßgebliche Säule des Erfolges der deutschen Wirtschaft. Wir als Vertreter_innen der deutschen Wirtschaft wollen ein facettenreiches und offenes Arbeitsumfeld anbieten, in dem jede_r Einzelne das eigene Potenzial frei entfalten kann und Wertschätzung erfährt – unabhängig von Geschlecht einschließlich der geschlechtlichen Identität, Nationalität, ethnischer, kultureller oder sozialer Herkunft, Religion & Weltanschauung, physischer oder psychischer Möglichkeiten, Alter und sexueller Orientierung.

Wir setzen uns daher aktiv für Arbeitsumfelder ein, in welchen Vorurteilen und Diskriminierung aktiv entgegengewirkt wird, so dass jede_r bei der Arbeit zu sich stehen kann – ohne Angst vor Ausgrenzung oder Benachteiligung.

Als unterzeichnende Unternehmen tragen wir gesellschaftliche Verantwortung und sehen uns in der Pflicht, diesem Anspruch gerecht zu werden. Wir formulieren dieses Positionspapier, weil wir akuten Handlungsbedarf im Hinblick auf die Selbstbestimmung von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen bei der personenstandsrechtlichen Änderung des Geschlechtseintrags sehen. Der aktuelle rechtliche Rahmen erschwert den Abbau von Diskriminierung am Arbeitsplatz und beeinträchtigt die Inklusion von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen am Arbeitsmarkt.

Das bislang gültige Transsexuellengesetz von 1981, welches derzeit die Änderung von Namen und Personenstand für trans* Personen regelt, sieht weiterhin langwierige und grenzüberschreitende Begutachtungen vor. In mehreren Entscheidungen stufte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz als verfassungswidrig ein und hat es in Teilen außer Kraft gesetzt. Eine Regelung im Personenstandsgesetz, welche die Änderungsmöglichkeit von Vornamen und Geschlechtseintrag für intergeschlechtliche Personen beschreibt, steht ebenfalls in der Kritik. Beide gesetzliche Regelungen sind dringend überarbeitungsbedürftig. Vergangenen Sommer stellte die Bundesregierung Eckpunkte für ein Selbstbestimmungsgesetz vor und griff damit eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag auf. Nun liegt seit Mai 2023 der Referentenentwurf vor.

Als unterzeichnende Unternehmen begrüßen wir den vorgelegten Referentenentwurf prinzipiell und appellieren an die Bundesregierung, sich für eine zügige Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes im Rahmen ihrer Möglichkeiten einzusetzen. Ein Selbstbestimmungsgesetz verspricht deutliche Verbesserungen im Vergleich zum Transsexuellengesetz sowie den aktuellen Regelungen im Personenstandsgesetz. Wir nehmen deutlich wahr, dass die vorgeschlagenen Änderungen in vielen Punkten mehr Rechtssicherheit für trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen auch im Arbeitskontext schaffen.

Insbesondere unterstützen wir in diesem Zusammenhang

• Die Vereinheitlichung der Verfahren für alle trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen: Seit mehreren Jahren gibt es parallele rechtliche Grundlagen für die Änderung des Geschlechtseintrags für trans* bzw. intergeschlechtliche Personen. Dies verursacht an unterschiedlichen Stellen Verunsicherung und Unklarheit. Eine Vereinheitlichung der Regelungen erhöht die Zugänglichkeit des Verfahrens. (vgl. §2 Abs. 1 SBGG)

• Die Abschaffung von Gutachten und Attesten als Voraussetzung für die Änderung: Trans- und Intergeschlechtlichkeit sind keine Krankheit und sollten nicht dementsprechend behandelt werden. Jede Person kann am besten selbst darüber Auskunft geben, welcher Geschlechtseintrag der Passende ist. Die heutigen Regelungen sind aufgrund hoher Hürden abschreckend, sodass Einzelpersonen teils über Jahre den Prozess der Geschlechtseintragsänderung vor sich herschieben. (vgl. §2 SBGG)

• Den Abbau von Bürokratie und die Ansiedelung der Verantwortlichkeit bei den Standesämtern: Bis heute müssen trans* Personen ein Gerichtsverfahren durchlaufen, wenn sie ihren Geschlechtseintrag nach dem Transsexuellengesetz ändern wollen. Dadurch werden die Verfahren künstlich in die Länge gezogen, sodass Personen unnötig lange mit Dokumenten leben, die nicht ihrer Identität entsprechen.

• Ein klares Bekenntnis zu Anti-Diskriminierung: Trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen müssen im Arbeitsleben und im Alltag wirksam vor Ausgrenzung und Benachteiligung geschützt sein. Gruppenbezogene Ausnahmen im Antidiskriminierungsrecht sind nicht gesetzeskonform und bedienen trans*feindliche Narrative (vgl. §6 Abs. 2 SBGG). Berechtigte Schutzinteressen anderer Gruppen können nach geltendem Recht angemessen berücksichtigt und miteinander in Einklang gebracht werden, ohne dass es stigmatisierender Sonderregelungen bedarf.

• Die Stärkung des Offenbarungsverbots: Dieses Verbot muss betroffene Personen nach Änderung des Geschlechtseintrags und Vornamens vor Diskriminierung und Willkür schützen. Gleichzeitig ermöglicht es Unternehmen, auf Basis von klaren rechtlichen Regelungen einheitliche Anpassungen der Personaldaten umzusetzen und diese auch von Drittanbieter_innen einzufordern. (vgl. §13, §14 SBGG)

Die bisherigen Prozesse in Unternehmen sind aufgrund der veralteten Rechtsgrundlage uneinheitlich und resultieren in erheblichem bürokratischem Aufwand für alle Seiten. Ohne amtliche Änderung des Geschlechtseintrags und Vornamens sind die Unterstützungs- und Anerkennungsmöglichkeiten von Arbeitgeber_innen-Seite begrenzt. Sowohl für die betroffenen Personen als auch für deren Arbeitgeber_innen ist die Umsetzung einer Neuregelung, die Rechtssicherheit erhöht und Hürden abbaut, von großer Bedeutung. Diese ermöglicht es den Unternehmen in Deutschland, einheitliche Strukturen herzustellen, die transparente Personalprozesse garantieren und damit für alle Beteiligten weniger Ressourcenaufwand, psychische Belastung und Unsicherheit bedeuten.

Im Sinne der Fürsorgepflicht der Arbeitgeber_innen gegenüber unseren Mitarbeiter_innen sehen wir als unterzeichnende Unternehmen unsere Verantwortung darin, uns für eine zeitnahe und praxisnahe Neuregelung im Sinne des Selbstbestimmungsgesetzes einzusetzen. Daher fordern wir die Bundesregierung und insbesondere das Bundesjustizministerium auf, diese Aspekte aus unternehmerischer Perspektive in den finalen Gesetzentwurf einfließen zu lassen und trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen Selbstbestimmung auch am Arbeitsplatz zu ermöglichen.

Daher appellieren wir an die Bundesregierung und insbesondere die zuständigen Ministerien, diese Aspekte aus unternehmerischer Perspektive im weiteren Prozess zu berücksichtigen und dem Bundestag zügig einen Gesetzesentwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz vorzulegen, damit auch am Arbeitsplatz trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen Selbstbestimmung ermöglicht wird.

Die Veröffentlichung des Referentenentwurfs und die Anhörung der Verbände diesbezüglich kann nur als erster Schritt gesehen werden. Wir fordern ein rasches Vorantreiben des Gesetzgebungsprozesses, unter Berücksichtigung der Einschätzung der Verbände.

 Das gesamte Positionspapier finden Sie im Anhang. Weitere Unternehmen sind eingeladen, sich dem Positionspapier anzuschließen und dieses zu zeichnen.

Im Folgenden finden Sie sowohl Pressestatements der Fachverbände sowie die Pressekontakte für weitere Rückfragen:

Pressestatements:

Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität dgti e.V. | Jenny Wilken: „Trans*, intergeschlechtliche und nichtbinäre Personen erleben viele Unternehmen als nicht offen. Oft ist bereits der Weg in die Berufsausbildung dadurch erschwert, dass Unterlagen wie Zeugnisse nicht auf den selbstgewählten Vornamen laufen und Zwangsoutings in Bewerbungen Minderheitenstress hervorrufen. Durch derartige Diskriminierungen am Arbeitsplatz kann das Grundrecht auf Leben der eigenen Identität oft nicht ausgeübt werden, weshalb es ein gutes Selbstbestimmungsgesetz braucht, um hier Menschen zu schützen und Hürden abzubauen.“

Bundesverband trans* e.V. | Kalle Hümpfner: „Das Selbstbestimmungsgesetz regelt im Kern die Frage, wie trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen ihren Geschlechtseintrag oder Vornamen ändern können. Das ist eine sehr spezifische Frage. Gleichzeitig geht es um die allgemeine Auseinandersetzung, wie wir in dieser Gesellschaft mit Vielfalt umgehen. Ein klares Bekenntnis zu Anti-Diskriminierung sowie Respekt für alle geschlechtlichen Identitäten braucht es in allen Lebensbereichen, auch am Arbeitsmarkt. Es ist ermutigend, dass sich Unternehmen für ein Selbstbestimmungsgesetz aussprechen und hinter diese Forderung stellen.“

Firmenkontakt und Herausgeber der Meldung:

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E-Mail: albert@proutatwork.de
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