Pflege muss entbürokratisiert werden

Pflegebedürftige in Dunningen im Landkreis Rottweil warten bis um 7.30 Uhr, bis die Sozialstation kommt und sie wäscht, Essen macht und versorgt. Denn die dort ansässige katholische Sozialstation St. Martin hat ihre Arbeitszeiten den Öffnungszeiten der Kita angepasst, damit die 80 Mitarbeiterinnen ihre Kinder gut versorgt wissen, bevor sie ihren Pflegedienst antreten. Die Alternative wäre, keine Pflege anzubieten, weil für einen Dienstantritt um 7 Uhr oder früher das Personal fehlt. Angesichts des Arbeitskräftemangels und pflegepolitischen Stillstands forderte das Netzwerk Alter und Pflege bei seiner Jahresversammlung „ein grundlegend neues Denken“, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen. „Die Pflege muss entbürokratisiert werden und die Dienste brauchen mehr Gestaltungsspielräume“, forderten die Netzwerksprecher Prof. Dr. Wolfgang Wasel und Boris Strehle. Pflege müsse wieder verstärkt als „öffentliches Gut“ wahrgenommen werden und stärker in Richtung Selbststeuerung in den jeweiligen Sozialräumen gehen. „Entbürokratisierung ist das große Thema“, es gebe „keine alternativen Lösungen“.

„Wir haben genug Pflegekräfte, wenn wir sie richtig einsetzen“ – diese Losung gab der Pflege-Experte Professor Thomas Klie aus. Er appellierte an die Innovationskraft, die aus dem System selbst kommen müsse, um dem steigenden Bedarf an Pflegekräften gerecht zu werden. „Die Voraussetzungen in der Pflege werden sich aufgrund von leeren Kassen von Grund auf ändern. Aber die Herausforderungen sind gestaltbar“, so Klie. Ziel sei es, in einem selbststeuernden System zu landen. Passende regionale Versorgungskonzepte seien politisch und rechtlich zu verankern.

Strehle und Wasel gaben an die Politik die Aufgabe weiter, weitere Möglichkeiten zur Personalgewinnung – so die Teilzeitausbildung oder die Helferausbildung für Menschen mit Fluchthintergrund – zu fördern. Mit Blick auf die im Netzwerk vertretenen Träger mahnten sie ein selbstbewussteres Auftreten gegenüber den Kassen an, die mögliche Ermessensspielräume in Pflegeeinrichtungen nicht frei geben würden. Von Seiten des Sozialministeriums fehle eine klare Positionierung in Richtung Selbstverwaltung. „Wir wollen die vorhandenen Versorgungsstrukturen in der Pflege auf notwendige Veränderungen kritisch überprüfen und die Zukunft der Pflege aktiv mitgestalten“, so die Netzwerksprecher. Dazu gehöre auch die Anpassung der politischen Rahmenbedingungen für die Pflege

Im „Netzwerk Alter und Pflege“ haben sich 74 katholische Träger der stationären und ambulanten Altenhilfe in der Diözese Rottenburg-Stuttgart zusammengeschlossen. Die Mitglieder des Netzwerks unterstützen, pflegen und sorgen für Menschen in unterschiedlichen Bedarfslagen. Diesen Beitrag leisten die katholischen Träger auf hohem professionellen Niveau und nach anerkannten Standards bei gleichzeitiger Bezahlung von Tariflöhnen für die Beschäftigten. In Kooperation mit Akteuren aus Kirche, Politik, Kommunen und Praxis setzen sich die katholischen Träger dafür ein, dass Pflege und Betreuung im Sozialraum nah am Menschen stattfinden können.

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