Ohne Vorschaltgesetz werden viele Krankenhäuser die große Krankenhausreform nicht mehr erleben

Tief besorgt hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die jüngsten öffentlichen Äußerungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zur Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen zur Kenntnis genommen. „Die Aufforderung des Ministers an die Krankenhäuser im größten Bundesland, den dort laufenden Krankenhausplanungsprozess zu verlassen, gefährdet die Suche nach einem Kompromiss zwischen Bund und Ländern mitten in den laufenden Gesprächen. Wir sind einigermaßen sprachlos, und uns fehlt die Fantasie, wie in dieser Gemengelage in absehbarer Zeit eine einvernehmliche Lösung zwischen Lauterbach und den Ländern gefunden werden soll“, erklärt der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß auf dem jährlichen Krankenhausgipfel der DKG in Berlin.

Gleichzeitig ist die wirtschaftliche Lage der Kliniken dramatisch und spitzt sich Monat für Monat zu. „Wegen des fehlenden Inflationsausgleichs sind bis Ende 2022 bereits 6,7 Milliarden Euro an Defiziten aufgelaufen, und aktuell kommen im Jahr 2023 jeden Monat 740 Millionen Euro dazu. Wenn nichts passiert stehen wir Ende 2023 bei minus 15,6 Milliarden Euro. Die Krankenhäuser liegen im Schockraum der Notaufnahme, und viele Kliniken werden die politische Therapie des Abwartens nicht überleben“, so Gaß. Nur sehr wenige Krankenhäuser (3 Prozent) bewerten ihre aktuelle wirtschaftliche Situation noch als gut. Diese Zahlen des neu erhobenen Krankenhaus-Index des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) im Auftrag der DKG untermauern die Notlage der Kliniken. Die DKG fordert deshalb ein Vorschaltgesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser. Nur so kann verhindert werden, dass Kliniken vor der großen Krankenhausreform in Insolvenz gehen und dadurch Versorgungslücken entstehen. „Wenn Bundesminister Lauterbach seine in Aussicht gestellte Krankenhausreform als Rettung der von Insolvenz bedrohten Häuser darstellt, ohne aber unverzüglich lebensrettende Sofortmaßnahmen einzuleiten, dann wird er am Ende Krankenhäuser retten, die schon längst nicht mehr existieren“, prognostiziert Gaß. Auf dem Gipfel diskutierten neben Bundesgesundheitsminister Lauterbach Gesundheitspolitikerinnen und -politiker aus den Bundestagsfraktionen über aktuelle Themen der Krankenhauspolitik, darunter die Inflations- und Energiepreiskrise, sowie die von Lauterbach angekündigte tiefgreifende Krankenhausreform.

„Die Krankenhäuser sind in einer dramatischen Situation wie nie zuvor seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die starke Inflation hat ihre ohnehin schon angespannte wirtschaftliche Lage verschärft. Nur wenige Krankenhäuser können aufgrund der Detailregelungen die von der Bundesregierung versprochenen Energiehilfen in Anspruch nehmen. Und selbst dann fließt kaum Geld. Gerade einmal 5 Prozent der Mittel aus dem Härtefallfonds konnten abgerufen werden. Ein Inflationsausgleich fehlt komplett. Jetzt stehen die Tarifverhandlungen an, und auch hier werden die Kliniken mit den Kostensteigerungen allein gelassen. Denn die Löhne werden deutlich stärker steigen als der Landesbasisfallwert und damit die Einnahmesteigerungen der Krankenhäuser. Die Krankenhäuser brauchen vor der großen Klinikreform dringend ein Vorschaltgesetz, das ihre wirtschaftliche Lage kurzfristig stabilisiert. Bei den Energiehilfen muss der Referenzzeittraum wieder auf 2021 gelegt werden. Zudem ist es zwingend erforderlich, die Mittelaufteilung zwischen den Geldern für die mittelbareren Energiekostensteigerungen, also die allgemeine Sachkosteninflation, und anderseits die krankenhausindividuellen Mittel der direkten Energiepreissteigerungen zu ändern. Mehr pauschale Mittel wären notwendig“, sagt Gaß.

Die DKG ist weiterhin bereit, eine umfassende Krankenhausreform zu unterstützen, die von Bund und Ländern gemeinsam getragen werden muss. „Wir werden aber nicht tatenlos zusehen, wie durch fortgesetztes wirtschaftliches Auszehren der Krankenhäuser über einen kalten Strukturwandel Fakten geschaffen werden, die am Ende weite Teile der Bevölkerung ratlos zurücklassen und das Vertrauen in unsere Sozialsysteme massiv beschädigen. Die Politik ist nicht nur verantwortlich für das, was sie tut, sondern auch für das, was sie nicht tut“, so der Vorstandsvorsitzende der DKG. Die Transformation, die mit der Reform beschritten werden soll, muss finanziert werden. Wissenschaftler aus der Regierungskommission sprechen von 100 Milliarden Euro, die notwendig sein werden. Die DKG fordert jetzt in einem ersten Schritt ein dreigeteiltes Investitionsprogramm von 15 Milliarden Euro, jeweils anteilig von Bund, Ländern und Kostenträgern. Zusätzlich braucht es ein „Sondervermögen Krankenhaus“, um die Strukturanpassungen in der notwendigen Konvergenzphase von acht bis zehn Jahren zu finanzieren.

Mit der klimagerechten Modernisierung der Krankenhäuser kommen weitere herausfordernde Aufgaben auf die Gesundheitspolitik zu. Angesichts eines ohnehin bestehenden massiven Investitionsstaus in den Kliniken fordert die DKG einen Klimaschutzfonds und ein groß angelegtes Investitionsprogramm, das die Krankenhäuser dazu befähigt, ihre oft veraltete Technik auf einen modernen Stand zu bringen. „Krankenhäuser haben einen extrem hohen Energiebedarf. Über Jahrzehnte konnten sie aufgrund der ausbleibenden Investitionskostenfinanzierung nur das Nötigste modernisieren. Das rächt sich unter den stark gestiegenen Energiepreisen heute auch in finanzieller Hinsicht. Energetisch moderne Krankenhäuser können einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Aber allen muss bewusst sein, dass dies mit hohen Investitionskosten verbunden ist“, so Gaß.

Bisher ist allerdings völlig unklar wie dieses große Vorhaben insgesamt finanziert werden soll. „Während von allen anderen Kabinettsmitgliedern umfangreiche Anmeldungen für den Bundeshaushalt 2024 zu vernehmen sind, hört man aus dem Bundesgesundheitsministerium nichts. Herrn Lindner wird es freuen, die Leidtragenden sind die Beschäftigten im Gesundheitswesen und die Patientinnen und Patienten“, sagt Gaß.

„Die Betriebskosten müssen durch eine verstärkte Vorhaltefinanzierung gesichert werden. Die Ideen der Reformkommission gehen in die richtige Richtung. Dies und vor allem die Frage möglicher Versorgungsstufen und Leistungsgruppen und die notwendigen Länderöffnungsklauseln müssen in den kommenden Wochen einvernehmlich geklärt werden. Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch. Im Sinne der Patientinnen und Patienten müssen die Strukturen gut durchdacht angepasst werden. Es darf nicht zu Versorgungslücken oder weiteren Verschlechterungen gerade in ländlichen Regionen kommen. Maßgeblich können hier nicht wirtschaftliche Prämissen sein, sondern ausschließlich der Bedarf der Bevölkerung. Ebenfalls im Sinne der Patientinnen und Patienten müssen die Krankenhäuser die Möglichkeit bekommen, ihre ambulanten Potentiale ausspielen zu können. In vielen Regionen bricht die niedergelassene Versorgung immer weiter weg. Hier können Krankenhäuser maßgeblich zur Versorgungssicherung beitragen“, erklärt DKG-Vorstand Gaß.

Eine große Last für die Beschäftigten der Krankenhäuser ist nach wie vor die Bürokratie. Rund drei Stunden pro Tag muss eine Pflegekraft allein für Dokumentationen aufwenden. Ein Großteil davon ist medizinisch und pflegerisch unnötig. Hier fordert die DKG einen Bürokratiestopp, Reduktion der Dokumentation auf ein notwendiges und im Sinne der Patientinnen und Patienten sinnvolles Maß und Rahmenbedingungen, die vermeiden, dass die Bürokratielast immer weiter wächst.

Über den Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) ist der Dachverband der Krankenhausträger in Deutschland. Sie vertritt die Interessen der 28 Mitglieder – 16 Landesverbände und 12 Spitzenverbände – in der Bundes- und EU-Politik und nimmt ihr gesetzlich übertragene Aufgaben wahr. Die 1.887 Krankenhäuser versorgen jährlich 17 Millionen stationäre Patienten (2020) und rund 21 Millionen ambulante Behandlungsfälle mit 1,4 Millionen Mitarbeitern. Bei 127 Milliarden Euro Jahresumsatz in deutschen Krankenhäusern handelt die DKG für einen maßgeblichen Wirtschaftsfaktor im Gesundheitswesen.

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