Die Behindertenhilfe beim Kappessonntagszug

Für mich ist jede Form von Öffentlichkeit herausfordernd, ich fühle mich unter Menschen meistens wie ein Außenseiter“, sagt Melanie Wienen. „Trotzdem möchte ich Karneval feiern, denn ich verbinde damit schöne Kindheitserinnerungen, Freude und Glücklichsein. Also überwinde ich mich. Ich gehe schon immer mit dem Kopf durch die Wand“, so die 45-Jährige. Sie lebt mit einer psychischen Erkrankung und bewohnt eine Einrichtung der Behindertenhilfe mit Sitz in Neuss. Insgesamt rund 120 Menschen, darunter hauptsächlich Klientinnen und Klienten und Mitarbeitende der Behindertenhilfe, werden am Kappessonntagszug mit eigenem Wagen dabei sein. Das Motto des Wagens lautet „Kunterbunte Spiele-Sammlung“. Die meisten Kostüme sind bereits genäht und 200 Taschen mit Wurfmaterial gepackt. Nach dem Zug gibt es eine Karnevalsparty mit leckerem herzhaften Imbiss im „café jedermann“ für alle, die dabei waren.

„Die Teilnahme am Kappessonntagszug ist für Menschen mit Unterstützungsbedarf kein niedrigschwelliges Angebot“, sagt Anja Franz, Koordinatorin für Tagesstruktur und Freizeit bei der Behindertenhilfe. „So ein Zug ist schon sehr herausfordernd. Wir Mitarbeitenden tun alles, damit es so einfach wie möglich wird. Da, wo es nötig ist, leisten wir eins-zu-eins Betreuung, damit einfach jeder, der Lust hat, mitmachen kann.“ Trotzdem würde das Angebot längst nicht von allen Klientinnen und Klienten angenommen, bedauert Franz.

Karneval ist inklusiv. Das heißt: Menschen mit und ohne Behinderung feiern zusammen. Barrieren – zum Beispiel für Rollstuhlfahrer – müssen überbrückbar sein. Trotzdem fällt es vielen Menschen mit Behinderung schwer teilzunehmen. „Der Zug ist drei Kilometer lang, diese Strecke kann nicht jeder laufen, und auf dem Wagen ist nicht für alle Platz. Außerdem werden an Karneval viele lange Büttenreden gehalten, die oft unverständlich sind für Menschen mit kognitiven Einschränkungen“, erklärt Heike Delvos, examinierte Krankenschwester und Betreuungsexpertin bei der Behindertenhilfe. „Das sind Dinge, die lassen sich nicht so leicht ändern, das wollen wir ja auch gar nicht. Aber es wäre schön, wenn Menschen mit Behinderung bei Karnevals-Veranstaltungen auch mal das Tempo vorgeben könnten – ohne dabei auf rein exklusive Veranstaltungen ausweichen zu müssen, die dann nur für Menschen mit Unterstützungsbedarf sind.“ Das hieße dann zum Beispiel ermäßigte Eintrittskosten für Menschen mit Behinderung, Barrierefreiheit auf körperlicher und kognitiver Ebene – zum Beispiel Büttenreden in Leichter Sprache und keinen Alkohol.

„Die schönsten Partys habe ich hier mit unseren Klientinnen und Klienten erlebt“, erinnert sich Koordinatorin Franz. „Es gibt kaum Hemmungen, dafür aber ganz viel ehrliche Begeisterung und Freude, das zieht so mit. Hier muss sich halt auch keiner den anderen schön trinken, jeder ist so, wie er ist, das macht so viel Spaß.“ Und es gibt völlig echte und ungeschönte Gefühle bei der Kostüm-Prämierung – da sind dann wirklich alle Empfindungen dabei.

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