Den Behörden ist jede billige Ausrede recht

Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert die sofortige Freilassung von Ihsan el-Kadi. Der algerische Journalist war in der Nacht auf den 25. Dezember in Algier festgenommen worden und sitzt seit dem 29. Dezember in Haft. Der Vorwurf: El-Kadi unterstütze Organisationen, die den Staat und die Sicherheit Algeriens bedrohen. Darauf stehen bis zu sieben Jahre Haft. RSF vermutet hinter der langjährigen Verfolgung des kritischen Journalisten jedoch politische Motive und hat deshalb die Vereinten Nationen über den Fall informiert.

„Wir appellieren an die UN-Berichterstatterin für Meinungsfreiheit Irene Khan, bei der algerischen Regierung gegen diese Festnahme zu protestieren“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Ihsan el-Kadis Medien sind die beiden letzten Inseln der Pressefreiheit in Algerien. Das wollen die Behörden nicht länger zulassen, und offensichtlich ist ihnen jede billige Ausrede recht.“

Der Journalist el-Kadi ist seit vielen Jahren Leiter von Radio M und der Nachrichten-Website Maghreb Émergent in der Hauptstadt Algier. Beide Redaktionen sitzen in den Räumen der Mediengruppe Interface Médias, die aus Algeria Interface hervorgegangen war, der ersten, weithin respektierten journalistischen Website des Landes. Der heute 64-jährige el-Kadi gilt als kritischer Beobachter der algerischen Politik. Einen Tag vor seiner Festnahme hatte er auf Radio M die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Amtszeit von Präsident Abdelmadschid Tebboune erörtert. Zudem hatte er öffentlich Zweifel an der Strategie der Regierung geäußert, die Korruption zu bekämpfen.

Ihsan el-Kadi stand seit mehreren Jahren im Fokus der algerischen Behörden. Kurz vor der Parlamentswahl im Juni 2021 wurde er 30 Stunden lang verhört, unter anderem wegen „Verbreitung falscher Informationen, die die nationale Einheit gefährden könnten“, „Störung der Wahlen“ und „Erneuerung der nationalen Tragödie“ – eine Anspielung auf den Bürgerkrieg in den Jahren 1992 bis 2002.

Im Juni 2022 wurde el-Kadi in einem anderen Fall, aber wegen der gleichen Anschuldigungen zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Weil sein Berufungsverfahren mehrfach verschoben wurde, blieb er zunächst in Freiheit, wurde allerdings mehrfach und von verschiedenen Behörden zu Verhören geladen. Noch am Tag der Festnahme, am 25. Dezember, lehnte ein Gericht el-Kadis Berufung ab. Damit hatte die Regierung das letzte Hindernis aus dem Weg geräumt – vier Tage später ließ sie den unabhängigen Journalisten einsperren. Die Büros der beiden Redaktionen sind versiegelt, jegliches technische Equipment ausgeräumt. Dutzende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden dadurch an ihrer Arbeit gehindert.

Spätestens seit dem Aufkommen der Hirak-Protestbewegung im Februar 2019 haben die algerischen Behörden die Repressionen gegenüber Journalistinnen und Reportern verschärft. Der Hirak, arabisch für „Bewegung“, forderte Anfang 2019 zunächst den Rücktritt von Abdelaziz Bouteflika. Der damals amtierende Präsident hatte zuvor seine fünfte Kandidatur angekündigt. Die Proteste endeten jedoch nicht mit Bouteflikas Rücktritt. Bis zum März 2020 demonstrierten zehntausende, manchmal hunderttausende Menschen jeden Freitag auf den Straßen Algeriens und forderten die Veränderung des politischen Systems.

In ihrem Versuch, die Proteste einzuhegen, ging die Regierung verstärkt gegen die unabhängigen Medien vor. Das traf auch Khaled Drareni, der damals die politische Sendung „Le Café Presse Politique” bei Radio M moderierte und als Korrespondent für internationale Medien arbeitete. Drareni wurde im März 2020 inhaftiert und wenige Monate später zu zwei Jahren Haft verurteilt. Im März 2021 kam er wieder frei. Der Journalist galt schon vor seiner Verhaftung als Symbol der Pressefreiheit. Heute ist er RSF-Repräsentant für Nordafrika.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Algerien auf Platz 134 von 180 Staaten.

Mehr zur Situation von Journalistinnen und Reportern in Algerien: www.reporter-ohne-grenzen.de/algerien

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