Neben den KZ-Häftlingen arbeiteten auch Kriegsgefangene aus den besetzten Ländern und zivile Arbeiter und Arbeiterinnen aus Ost und West zwangsweise in Bremen. Ein dichtes Netz von Lagern entstand, die der Zivilbevölkerung nicht entgangen sein konnten. Eines befand sich beispielsweise im Fedelhören, in der Nähe des heutigen Kennedy-Platzes. Im Laufe des Krieges bestanden im Bremer Raum mindestens 200 Lager, darunter neun Außenlager des KZ Neuengamme bei Hamburg. Mangelhafte Verpflegung und primitive Unterbringung, Krankheiten und Gewalt trugen zur hohen Anzahl von Todesfällen bei.
Mit diesem jahrzehntelang verdrängten Kapitel deutscher Geschichte beschäftigt sich die Ausstellung „Verschleppt. Versklavt. Vergessen? Zwangsarbeit in Bremen 1939–1945“, die das Focke-Museum gemeinsam mit zahlreichen Aktiven der Zivilgesellschaft sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern konzipiert hat. Sie ist ab Sonnabend, 21. Januar 2023, im Stadtlabor zu sehen.
Anhand von acht Einsatzorten und mehreren mit ihnen verbundenen Biografien ermöglicht sie einen anschaulichen Einblick in die Zwangsarbeit und das Schicksal der Entrechteten. In die Ausstellung sind zudem Erkenntnisse und Funde der archäologischen Untersuchung des ehemaligen Friedhofs sowjetischer Kriegsgefangener in Bremen-Oslebshausen eingeflossen.
Erst seit den späten 1970er-Jahren begannen zivilgesellschaftlich Engagierte, zur Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Bremen zu recherchieren und Kontakt zu Überlebenden und Angehörigen früherer Lagerinsassen aufzunehmen. Dieses Wissen und die Forschungsergebnisse der Wissenschaft führt die Ausstellung zusammen. Zu den Kooperationspartnern von Dr. Jan Werquet, Stadthistoriker am Focke-Museum, und Dr. Ulrike Huhn, Osteuropa-Historikerin an der Universität Göttingen, gehören u.a. der Denkort Bunker Valentin, der Verein Erinnern für die Zukunft, die Gedenkstätten Neuengamme und Sandbostel, die Landesarchäologie Bremen und die Landeszentrale für politische Bildung.
Für die Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen selbst galten – entsprechend der NS-Ideologie – strenge rassistische Hierarchien: Die aus Polen und der besetzten Sowjetunion Verschleppten waren durch das Abzeichen „P“ bzw. „OST“ gebrandmarkt und besonderen Schikanen ausgesetzt. Demgegenüber wurden den „Westarbeitern“ kleine Nischen der Freizügigkeit zugestanden. Vermeintliche Verstöße gegen Regeln konnten aber auch für sie die Einweisung in das berüchtigte „Arbeitserziehungslager“ Bremen-Farge bedeuten.
Das Verhältnis zwischen der deutschen Bevölkerung und den ausländischen Zwangsarbeitern und -arbeiterinnen war vielfältig. Es gab Gesten der Solidarität, insbesondere in großen Industriebetrieben. Es gab aber auch Proteste gegen Barackenlager in bürgerlichen Vierteln, weil man sich vor Diebstählen seitens dieser „verwahrlosten“ Menschen fürchtete.
Die Ausstellung dokumentiert die Verteilung der Lager und Einsatzorte auf Schautafeln und erläutert, was dort produziert wurde und wer zur Zwangsarbeit eingesetzt war. So erfährt man beispielsweise, dass mit Beginn des Zweiten Weltkriegs Borgward fast ausschließlich für die Wehrmacht produzierte: neben Zugmaschinen auch Kleinpanzer, Hüllen für Bomben und Torpedos. Das Unternehmen beschäftigte die meisten Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen, darunter Kriegsgefangene, „Fremdarbeiter“ und KZ-Häftlinge. Auch die Norddeutsche Hütte und die Francke Werke profitierten neben anderen Unternehmen von Zwangsarbeit.
Dauer der Ausstellung: „Verschleppt. Versklavt. Vergessen? Zwangsarbeit in Bremen 1939-1945“ ist bis zum 30. Juni 2023 im Stadtlabor des Bremer Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte zu sehen. Die Ausstellung des Bremer Fotokünstlers Olaf Schlote „Memories“ wird bis zum 30. Juni 2023 verlängert.
Das Rahmenprogramm zur Ausstellung umfasst neben Führungen, Vorträgen und einer Podiumsdiskussion auch eine Fahrradtour zu den verschiedenen Lagern der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern und -arbeiterinnen.
Für einen Vortrag konnten Mitarbeitende der 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Menschenrechtsorganisation Memorial gewonnen werden. Dr. Evelina Rudenko und Dr. Nikita Lomakin werden am Donnerstag, 2. Februar 2023, um 19 Uhr im Focke-Museum über die historische Forschung zu „Ostarbeitern“ und die aktuelle Situation sprechen. Es moderiert Libuse Cerna. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Verein „Erinnern für die Zukunft“ und der Stiftung „die schwelle“ statt.
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