Der größte Teil der sámischen Objekte in der Sammlung am MEK wurde während der konstituierenden Phase ethnologischer Museen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gesammelt. Es steht damit sammlungs- sowie wissenschaftshistorisch im Kontext außereuropäischer ethnologischer Sammlungen und ihrer problematischen Genese. Die indigenen sámischen Gemeinschaften betrachten diese Zeit als die Hochphase eines innereuropäischen Kolonialismus, in dem sie durch die Mehrheitsgesellschaften in den nördlichen Regionen Norwegens, Finnlands, Schwedens und auf der Kola-Halbinsel in Russland unterdrückt wurden.
Elisabeth Tietmeyer, Direktorin des MEK: „In den letzten Jahren ist die Provenienzforschung zu kolonialen Sammlungsbeständen insbesondere ethnologischer Museen verstärkt in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Jedoch befassen sich die gesellschaftlichen und medialen Debatten in diesem Zusammenhang größtenteils mit kolonisierten Gebieten des sogenannten Globalen Südens. Die Unterdrückung der Sámen wird in der postkolonialen Forschung als Teil des ‚Nordischen Kolonialismus‘ thematisiert, sie spielt jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung bisher nur eine marginale Rolle.“
Die sámische Sammlung am MEK umfasst rund 1.000 Objekte, vorwiegend aus den Bereichen Alltagskultur und (Kunst)Handwerk. Hinzu kommen Zeichnungen, Kupferstiche, Gemälde sowie ca. 670 historische Fotografien. Zu den ältesten Objekten der Sammlung zählen zwei Schamanentrommeln (goavdát bzw. gievrieh). Für viele Sámen sind solche Trommeln von großer spiritueller und kultureller Bedeutung. Ihre historische Beschlagnahmung und Verbrennung im Zuge der zwangsweisen Christianisierung wird heute als Symbol für die Kolonisierung Sápmis und damit als Beginn von Bevormundung und Unterdrückung wahrgenommen.
Abgesehen von diesen Trommeln und einigen wenigen anderen herausragenden Objekten ist die sámische Sammlung des MEK bislang kaum erforscht. Die Dokumentation der Sammlung ist unvollständig. Namen und Beschreibungen stammen oftmals noch aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Indigene Bezeichnungen oder Gebrauchskontexte fehlen meist, Ortsangaben sind mitunter falsch oder vage. Auch die Provenienzen vieler Objekte – sprich die teils verschlungenen Wege, auf denen diese in die Sammlung gelangten – wurden bislang nicht untersucht.
Ab 1. Dezember 2022 wird dieser Bestand im Rahmen eines vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projektes gemeinsam mit sámischen Forscher*innen, Künstler*innen und weiteren Community-Vertreter*innen aufgearbeitet werden. Durch die Erfassung von Objekt- und Akteursdaten sowie den Aufbau eines internationalen Netzwerkes möchte das Projekt beispielgebend sein für weitere Provenienzforschungen in deutschen, europäischen und weltweiten Sammlungen mit sámischen Beständen.
Das auf zwei Jahre angelegte Projekt wird in enger Kooperation mit dem Sámen Museum Siida (Aanaar/Anár/Inari, Finnland), dem Ájtte – Schwedisches Berg- und Sámen Museum (Jåhkåmåhke/Dálvvadis/Jokkmokk, Schweden) sowie mit Dávvirat Duiskkas (Projekt „Sámische Sammlungen in deutschen Museen“) beim Norwegischen Museumsbund durchgeführt.
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