Fachkräftemangel – Arbeitsmarkt- oder Produktivitätsproblem?

Laut einer aktuellen Umfrage des Münchner Ifo-Instituts klagen 87 Prozent der Unternehmen in Deutschland über einen Fachkräftemangel. Mehr als ein Drittel der Befragten sieht darin eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit. Wie kann dieses Problem gelöst werden? In der öffentlichen Diskussion steht das zu geringe Angebot an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt im Fokus, dass durch die Generierung zusätzlicher Arbeitskräfte gelöst werden soll. Ein anderer, für die Wettbewerbsfähigkeit wesentlich besserer Lösungsansatz, wird häufig nicht betrachtet. Aus betrieblicher Sicht stellt der Fachkräftemangel ein Kapazitätsproblem durch eine Abweichung von Kapazitätsangebot und -bedarf dar. Eine solche Abweichung kann durch einen Kapazitätsaufbau (z. B. Einstellung Personal) behoben werden. Diese einfache und naheliegende Reaktion auf das Problem ist jedoch nicht die einzig mögliche und beste. „Der betriebswirtschaftlich beste, aber auch anspruchsvollste Weg zur Lösung eines Kapazitätsproblems ist, die Steigerung der Produktivität“, so Olaf Eisele, wissenschaftlicher Mitarbeiter des ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft.  Praxisbewährte Methoden für ein dazu erforderliches Produktivitätsmanagement in Unternehmen liefert das Industrial Engineering.

Empfehlung für Unternehmen
Die Lösung des Fachkräftemangels sollte nicht allein in der Personalbeschaffung auf dem Arbeitsmarkt gesucht werden. Unternehmen sollten im Hinblick auf ihre Wettbewerbsfähigkeit auch systematisch ihre Produktivität analysieren und verbessern. Dadurch kann das Kapazitätsproblem unter Umständen trotz des angespannten Arbeitsmarkts behoben oder zumindest reduziert werden. Produktivitätsanalysen und -verbesserungsmaßnahmen sollten sich nicht wie in der Vergangenheit üblich nur auf direkte Arbeitsprozesse konzentrieren, sondern in allen Unternehmensbereichen (auch den indirekten) stattfinden. Zu empfehlen ist also ein systematisches, ganzheitliches Produktivitätsmanagement. Das ifaa beschäftigt sich mit diesem Thema in Forschungsprojekten, Arbeitskreisen und zahlreichen Veröffentlichungen sowie Arbeits- und Handlungshilfen, die als Downloads für interessierte Unternehmen frei zur Verfügung gestellt werden: ifaa – Institut angewandte Arbeitswissenschaft.

Kriterien für die Wettbewerbsfähigkeit
Die Hauptkriterien und Leistungsindikatoren für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens sind Qualität, Produktivität und Flexibilität. Festmachen lassen sich diese beispielsweise an Fehlerquoten, Stückkosten bzw. Preis und Lieferzeiten von Produkten und Dienstleistungen. Diese haben maßgeblichen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit und damit Absatzzahlen, Umsatz und Gewinn im Vergleich zum Wettbewerb. Durch die Beschaffung von Anlagen und Personal bei fehlenden Produktionskapazitäten kann unter Umständen die Lieferfähigkeit aufrechterhalten werden. Eine Verbesserung von Qualität und Produktivität ist dadurch jedoch nicht sichergestellt. Die praktische Erfahrung in Unternehmen zeigt vielmehr, dass die Qualität, Produktivität und Lieferzeit nach solchen Maßnahmen durch Beschaffungsaufwand, Anlaufprobleme oder Anlernverluste zunächst sogar schlechter werden. Die Einstellung von Personal oder die Beschaffung von Anlagen führen somit nicht automatisch zu mehr Wettbewerbsfähigkeit. Dies wird nur durch besser organisierte, fehlerreduzierte und effizientere Arbeitsprozesse erreicht.

Produktivitätspotenziale in Unternehmen
Zur Lösung von Kapazitätsproblemen existieren in Unternehmen noch umfangreiche Produktivitätspotenziale. Diese Potenziale können entweder durch organisatorische (Vermeidung von Verschwendungen) oder technische (Automatisierung) Maßnahmen ausgeschöpft werden. Verschiedene Analysen hierzu weisen beispielsweise in indirekten Unternehmensbereichen organisatorische Produktivitätspotenziale von 30% bis 45% aus: Schlankes Informationsmanagement in der digitalen Arbeit (arbeitswissenschaft.net).

Hohe Produktivitätspotenziale, die bisher noch nicht realisiert wurden, werden zudem durch technische Maßnahmen im Rahmen der Digitalisierung und Industrie 4.0 erwartet. In einer Umfrage des ifaa erwarteten die befragten Unternehmen Produktivitätsgewinne von 37% bis zum Jahr 2027: ifaa-Studie: Produktivitätsstrategien im Wandel (arbeitswissenschaft.net).

Auch wenn diese hohen Erwartungen bisher noch nicht flächendeckend realisiert werden konnten, zeigen einzelne Beispiele bereits welche hohen Potenziale noch möglich sind. Analysen zu Ergebnissen konkreter Technologien, wie beispielsweise Robotic Process Automation (RPA), weisen in betrieblichen Anwendungen realisierte Einsparungen von 30% bis 80% aus: Robotic Process Automation – MRK in indirekten Bereichen (arbeitswissenschaft.net).

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