Studie zur Personalnot auf Intensivstationen macht Probleme der Gesundheitsversorgung deutlich

Der Personalmangel auf Intensivstationen ist noch gravierender als befürchtet, zeigt die aktuell veröffentlichte Studie „Pflegenotstand auf Intensivstationen. Berechnungen zum Ausmaß der Unterbesetzung im Pflegedienst der Intensivstationen deutscher Krankenhäuser“ von Michael Simon im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) betrachtet die Studie vor dem Hintergrund europäischer Vergleichszahlen und leitet zwei Hauptforderungen ab: Die sofortige Einführung der Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus und eine Neuausrichtung des Gesundheitssystems, um den Ursachen des überdurchschnittlich hohen Bedarfs an Intensivversorgung langfristig zu begegnen.

„Die Personalnot in der Pflege und deren Auswirkungen sind mittlerweile in der Gesellschaft angekommen“, sagt DBfK-Präsidentin Christel Bienstein zu den Studienergebnissen. „Die neue Studie zeigt nun exemplarisch für die Intensivstationen, wie groß der Personalmangel tatsächlich ist. Für eine fachgerechte und sichere Pflege brauchen wir doppelt so viel Personal.“ Mit dem aktuellen Personalbestand dürften laut Studie nur 40 Prozent der vorhandenen Intensivbetten betrieben werden, um die Verordnung zu Pflegepersonaluntergrenzen einzuhalten, die die rote Linie einer sicheren Versorgung markiert. „Diese Unterbesetzung ist fahrlässig und gefährlich für die Patient:innen! Wir brauchen daher sofort eine verbindliche Personalbemessung für alle pflegerischen Bereiche“, so Bienstein.

Die Studie wirft aber noch eine grundsätzlichere Frage zur Gesundheitsversorgung in Deutschland auf. Laut Studienautor Simon stehen im internationalen Vergleich in Deutschland überdurchschnittlich viele Intensivbetten zur Verfügung, die auch ausgelastet sind. Der DBfK weist auf OECD-Zahlen[1] hin, die zeigen, dass Deutschland im EU-Vergleich die höchsten Gesundheitsausgaben hat. „Der Krankenhaussektor ist in Deutschland sehr groß und wir haben in der EU die höchste Bettendichte, die zugleich mit einer der niedrigsten Personalquoten für die Pflege einhergeht“, so Bienstein. Außerdem zeigen die europäischen Vergleichsdaten, dass Deutschland in den Werten für Lebenserwartung und vermeidbare Sterbefälle hinter den Spitzenreitern liegt. „Diese Vergleichszahlen deuten auf eine Überversorgung hin, die aber nicht zu besserer Gesundheit in der Bevölkerung führt. Die Versorgung geht also offenbar in manchen Bereichen am Bedarf vorbei und dieser Zustand muss auf den Prüfstand.“

Der DBfK fordert daher eine Diskussion über das Gesundheitssystem, in dem die Menschen mit ihren Bedarfen im Zentrum stehen. „Wir haben überdurchschnittlich viele Krankenhauseinweisungen von Menschen mit chronischen Erkrankungen“, so Bienstein mit Verweis auf die OECD-Daten. „Krankenhausaufenthalte und insbesondere intensivmedizinische Versorgung sind für Patient:innen sehr belastend. Das kann durch gute Gesundheitsförderung und Prävention sowie einer individuell stabilisierenden Betreuung von Menschen mit chronischen Erkrankungen in ihrem Umfeld vermieden werden. Dazu brauchen wir flächendeckend eine tragfähige Primärversorgung und eine bedarfsgerechte Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen.“ Community Health Nurses, die laut Koalitionsvertrag auch in Deutschland eingesetzt werden sollen und international längst etabliert sind, spielen dabei laut DBfK eine zentrale Rolle.

„Die Zeit für eine notwendige Trendumkehr ist längst gekommen“, sagt Bienstein. „Wenn nicht schnell nachhaltige Maßnahmen umgesetzt werden, wird unsere Gesellschaft in einen Versorgungsmangel stürzen."

[1] https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/33663583-de.pdf?expires=1654158172&id=id&accname=guest&checksum=B1795ED3EE0A141EEC3A6C1AB2094A17; Abruf 02.06.2022

Die vollständige Studie steht hier zum Download bereit: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008331

Die ausführliche Position des DBfK zur Primärversorgung finden Sie hier: https://www.dbfk.de/media/docs/download/DBfK-Positionen/Weiterentwicklung-Primaerversorgung-2021-11.pdf

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