Krise des Universitätsklinikums Gießen und Marburg: Stellungnahme der Klinikdirektorinnen und Klinikdirektoren

Die Landesregierung Hessen und Rhön-Klinikum-AG (Rhön) bzw. Asklepios Kliniken GmbH & Co. KGaA (Asklepios) hatten mit einem LoI (Letter of Intent) die Hoffnung geweckt, dass künftig eine solidere Investitionsfinanzierung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) in Aussicht steht. Die diesbezüglichen Verhandlungen stocken jetzt und drohen zu scheitern. Die Marburger und Gießener Klinikdirektorinnen und Klinikdirektoren nehmen mit wachsender Besorgnis und Unverständnis zur Kenntnis, dass zudem der Krankenhausbetreiber von UKGM, die Rhön-Klinikum AG im Einvernehmen mit der Asklepios Gruppe, nun auch die aus dem Jahre 2017 stammende Zukunftsvereinbarung mit dem Land Hessen aufgekündigt hat. Diese Zukunftsvereinbarung hat einige wichtige Aspekte der gemeinsamen Arbeit von Land Hessen und Klinikbetreiber zum Inhalt, die u.a. wesentlicher Bestandteil der finanziellen Ausstattung der mittelhessischen Universitätskliniken sind.

Das Dilemma der Universitätskliniken in Gießen und Marburg begann bereits in den 90-Jahren, als die politisch Verantwortlichen davon ausgingen, dass Hessen zu viele Medizinstudierende ausbilde und deswegen einer der drei hessischen Uniklinik-Standorte zu schließen sei. Aus dieser – aus heutiger Sicht offensichtlich falschen -Annahme resultierte eine dramatische Reduktion jeglicher Investitionsmittel insbesondere für den Standort Gießen. Im Jahre 2005 und 2006 folgte dann zur Überwindung des dann aufgetretenen Investitionsstaus die Fusionierung der Uniklinik-Standorte Gießen und Marburg und deren Privatisierung. Die FAZ titelte damals: „Wiesbaden spart die Hochschulmedizin krank“

Diese Privatisierung hatte zwei Geburtsfehler mit drastischen Folgen. Zum einen hatte die Rhön Klinikum AG – für einen nicht klar definierten Zeitraum – auf die übliche Investitionsförderung durch das Land (Minderheitsgesellschafter) verzichtet. Zum anderen wurde schnell klar, dass der Ersatz der üblichen öffentlichen Investitionsmittelförderung lediglich darin bestand, von der Rhön Klinikum AG rückzahlund zinspflichtige Kredite zu erhalten.

Die Klinikdirektorinnen und Klinikdirektoren können nicht beurteilen, ob ein Verzicht der Rhön-Klinikum AG aus dem Jahr 2005 auf Investitionsmittel durch das Land juristisch Bestand hat, oder auf welchen Zeitraum dieser zur Diskussion stehende Verzicht begrenzt war. De facto ist aber der Betrieb eines Universitätsklinikums ohne diese Investitionsmittel nicht möglich.

Mit der Übernahme von Rhön durch Asklepios sind unmittelbar laufende Investitionsprojekte angehalten worden. Auch Bauprojekte, zu denen sich teilweise die Rhön-Klinikum AG vorher verpflichtet hatte, wurden gestoppt.

Die Klinikdirektorinnen und Klinikdirektoren betrachten diese Entwicklung mit großer Sorge, da damit eine universitäre Krankenversorgung zunehmend in Frage gestellt wird.

Die duale Finanzierung der Krankenhäuser ist in Deutschland Basis des Krankenhauswesens und insbesondere auch für Universitätskliniken unverzichtbar. Dieses bedeutet, dass Mittel für medizinische Geräte und Gebäude vom Krankenhausträger finanziert werden, mit finanziellem Ausgleich durch die Länder und Kommunen. Der Tatbestand, dass das UKGM seit 2006 als einziges Großklinikum in Deutschland weitgehend ohne Landesmittel für Investitionen auskommen muss, ist unverantwortlich. Seit 2010 hat das UKGM unablässig gefordert, dass dieser Ausnahmezustand beendigt werden muss und auch das UKGM wieder in die normale Investitionsfinanzierung aller Kliniken zurückkehren muss. Dass dieses nicht erreicht werden konnte, hat jetzt erneut zu einem dramatischen Investitionsstau geführt.

Es kann aber nicht sein, dass aus einer Nichteinigung zwischen dem Mehrheitsgesellschafter des UKGM (Rhön/Asklepios), und dem Minderheitsgesellschafter des UKGM (Land Hessen) eine für das UKGM ruinöse Pattsituation über mehrere Jahre entsteht. Wir mahnen dringend eine Einigung in dieser Frage zwischen dem Land Hessen und dem Krankenhausbetreiber auf dem Verhandlungsweg an, da langwierige juristische Auseinandersetzungen die dringend erforderlichen Investitionen blockieren und damit die Funktionsfähigkeit des Klinikums einschränken würden.

Wenn nun mit einer neuen Regelung im Sinne eines Letter of lntent (Lol) Landeszuschüsse in Höhe von ca. € 490 Mio. im Laufe von zehn Jahren gewährt werden, eröffnet dies eine wichtige Perspektive für das Universitätsklinikum Gießen und Marburg für den laufenden Betrieb und die innovative Weiterentwicklung der Universitätsmedizin in Mittelhessen.

Begleitet durch die laufenden Verhandlungen zum Lol wurden detaillierte Investitionslisten für die nächsten Jahre erstellt und zwischen den beteiligten Parteien, d.h. dem Land Hessen, den Universitäten Gießen und Marburg und dem Krankenhausbetreiber Rhön-Klinikum AG abgestimmt. Ohne diese Zuflüsse wären weder Gebäudesanierungen oder Neubauten noch eine notwendige medizintechnische Ertüchtigung der Gerätschaften und die Etablierung innovativer Methoden in der universitären Medizin möglich. Dieser inhaltliche Konsens aller Beteiligten sollte nun unbedingt in die Tat umgesetzt werden.

Die jetzt beobachtete Stagnation in den Verhandlungen zwischen dem Land Hessen und dem privatisierten Krankenhausträger trifft das Universitätsklinikum in einer bereits vulnerablen Phase, weil neben dem angesprochenen erheblichen Investitionsstau und der Erschöpfung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die Herausforderungen der Corona-Pandemie nunmehr auch eine tiefe Verunsicherung bezüglich der Zukunftsentwicklung entstanden ist, die zur Abwanderung von dringend benötigtem Personal führt.

Die Klinikdirektorinnen und Klinikdirektoren aus Marburg und Gießen appellieren daher dringend an das Land Hessen und Rhön/Asklepios, sich der Verantwortung für die medizinische Spitzenversorgung und die Universitätsmedizin in Hessen bewusst zu sein. Sie erheben folgende Forderungen:

1. Es ist unverantwortlich, dass das UKGM seit 2006 als einziges Großklinikum in Deutschland weitgehend ohne Landesmittel für Investitionen auskommen muss. Dieser Zustand muss durch eine Einigung zwischen dem Mehrheitsgesellschafter Rhön/Asklepios und dem Minderheitsgesellschafter Land endlich geändert werden.

2. Diese Einigung muss zeitnah geschehen, da ein langjähriger Rechtsstreit in dieser Frage das UKGM über Jahre lähmen würde und die jetzt schon bestehenden Bauund Gerätedefizite weiter verschärfen würde. Engpässe in der Patientenversorgung auf universitärem Niveau und in den Verpflichtungen für Forschung und Lehre wären unausweichlich.

3. Die in dem LOI genannte und jetzt zur Diskussion stehende Investitionsmittel- Unterstützung des Landes in Höhe von ca. € 490 Mio. über 10 Jahre muss mindestens erreicht werden, da die Summe pro Standort immer noch deutlich niedriger ist als im Durchschnitt der deutschen Unikliniken, auch deutlich niedriger als am Uniklinik-Standort Frankfurt.

4. Die in der Zukunftsvereinbarung 2017 hinterlegte Einigung zur Trennungsrechnung und zum Ausgliederungsverbot muss wiederhergestellt werden.

5. Die zwischen dem Land Hessen und Rhön/Asklepios zu treffende Vereinbarung darf nicht nur rein monetär/fiskalischen Erwägungen folgen, sondern muss die herausragende Bedeutung dieser Uniklinika für die medizinische Versorgung der gesamten mittelhessischen Region und darüber hinaus (wie die COVID-19 Krise gezeigt hat!) im Blick haben. Dieses trifft ebenso für die zentrale Rolle für Forschung und Lehre und die damit zusammenhängende Zukunftsgestaltung für Hessen zu.

Nach 17 Jahren UKGM ist die zeitnahe Einigung in diesen grundlegenden Punkten der Prüfstein für die Tragfähigkeit des Konzeptes eines privatisierten Universitätsklinikums. Die Klinikdirektorinnen und Klinikdirektoren aus Gießen und Marburg appellieren daher an alle Beteiligten, die Verhandlungen im Interesse des Klinikums, seiner Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgehend abzuschließen.

 

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