Im Vorfeld der Konferenz sagte Imme Scholz, amtierender Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung: „Die Zeit wird knapp: Stockholm+50 muss Antworten finden auf die gleichzeitigen, weltweiten Krisen, in denen wir uns befinden und die sich gegenseitig rasant verstärken. Die Klimakrise, der massive Biodiversitätsverlust und die Plastikflut sind untrennbar mit unserer Produktion, Ernährung und Verbrauch verknüpft. Hinzu kommen die Wirtschafts- und die ungelöste Schuldenkrise wie auch in deren Folge zunehmende Armut und Ungleichheit. Gleichzeitig erschweren massive Konflikte wie der Ukraine-Krieg notwendige internationale Verständigungsprozesse. Der Handlungsdruck ist daher nochmals gestiegen: denn für die erfolgreiche Bekämpfung dieser großen Krisen brauchen wir aktive und partnerschaftliche Strategien. Deshalb steht jetzt in Stockholm an erster Stelle der Agenda, die internationale Kooperation zu erneuern und zu stärken und damit auch den Multilateralismus robuster zu machen.
Dafür müssen aber vor allem die Hocheinkommensländer endlich sehr viel entschiedener handeln: Sie müssen ihre eigenen Emissionen und Rohstoffverbräuche massiv senken, und Länder mit niedrigem Einkommen umfassend in nachhaltiger Armutsbekämpfung und wirtschaftlicher Entwicklung unterstützen. Ich hoffe, dass sich die Regierungen in Stockholm in diesem Bewusstsein auf ein deutlich erhöhtes Tempo in der globalen sozial-ökologischen Transformation einigen können. Und ich erwarte, dass vor allem die Hocheinkommensländer dafür auch neue, deutlich ambitioniertere Ziele und Finanzierungszusagen mitbringen.“
Barbara Unmüßig, bis Ende März Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, analysiert in ihrem Rückblick: „50 Jahreinternationale Umweltpolitik haben erkennbare Erfolge gebracht. Die Lücke zwischen wissenschaftsbasierter Erkenntnis und notwendigem globalen Handeln ist aber immer größer geworden. Die Klimakatastrophe ist mittlerweile für Abermillionen Menschen real. Alle UN-Berichte zum Zustand des Klimas, der Meere, der Böden, der Wälder, der Gewässer und der biologischen Vielfalt zeigen, wie sehr wir die Natur, die Ökosysteme übernutzen oder unwiederbringlich zerstören. Es sind viele Faktoren dafür verantwortlich, die die multilateralen Vereinbarungen ausgebremst haben: Die wirtschaftliche Globalisierung seit der neoliberalen Wende der 80er und 90er Jahre ist dabei der größte Treiber für die Klimakatastrophe, die wachsende Ungleichheit, die Zerstörung der Ökosysteme. Macht- und geopolitische Einflusssphären und Interessen, aber auch sehr viel konkreter die ökonomischen Interessen der Finanzindustrie, der fossilen und Agrar-Multis blockierten die gebotenen Entscheidungen um Grenzwerte für Emissionen aller Art, staatliche Regulierungen und Verbote.
Doch alle Klimadaten gerade der letzten Jahre zeigen auch den verbissensten Bremsern: Die Zeit läuft uns davon. Mehr denn je kommt es jetzt auf den Dreiklang Tempo, Entschlossenheit und Gleichzeitigkeit im politischen Handeln an. Klimapolitik als Querschnittsaufgabe, wie in der Ampelkoalition beschlossen, ist dafür ein großer paradigmatischer Wechsel. Das muss nun auch Vorbild für nationales und multilaterales Regierungshandeln werden. Allerdings wird das insbesondere für die reichen Länder des Nordens als Hauptverursacher der Krisen nicht umsonst zu haben sein: Sie müssen finanziell und in ihren Reduktionszielen in allen Bereichen ordentlich drauflegen und dies als Verhandlungsangebot einbringen. Soll es wirklich eine Transformation und keine Disruption beim Umbau unseres Produktions- und Zivilisationsmodell werden, dann müssen wir schnell handeln. Nochmal 50 Jahre haben wir gewiss nicht.“
In zahlreichen Beiträgen geht die neueste Ausgabe 22/2 von „boell.thema“ zu 50 Jahren Umweltpolitik der Frage nach: „Müssen wir besser werden?“
Mit Beiträgen von u.a. Barbara Unmüßig, Imme Scholz, Steffi Lemke, Jane Patton, Wolfgang Sachs, Anna Cavazzini, Sunita Narain
und einem langen Intergenerationen-Gespräch zwischen der Klimaaktivistin Carla Reemtsma (Fridays for Future) und Barbara Unmüßig: „Sich regelmäßig neu zu erfinden, das ist die Stärke von sozialen Bewegungen“.
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