Herr Prof. Dr. Hoffmann, was verbinden Sie persönlich mit dem Begriff Digital Health?
Prof. Dr. Hoffmann: Digital Health beinhaltet einerseits die Digitalisierung, also ein sehr technisches Thema. Eigentlich muss man in diesem Zusammenhang auch von einer digitalen Transformation sprechen – der Wandel von einem analogen Gesundheitswesen und einer analogen Gesellschaft hin zu einem digital vernetzten Gesundheitswesen und einer digital vernetzten Gesellschaft. Da spielen aber noch viel mehr Themen als die reine Digitalisierung eine Rolle.
Welche zum Beispiel?
Das ist unter anderem die transformationale Führung, also wie arbeiten Menschen in einem digital vernetzten Gesundheitswesen zusammen? Muss es immer noch eine Chefin oder ein Chef sein mit Menschen darunter, die Anweisungen ausführen, oder funktioniert das auch anders? Dann ist Bildung ein ganz wichtiges Thema: Dadurch, dass die Digitalisierung sehr viel verändert, müssen alle im Gesundheitswesen tätigen Menschen sich gewisse Kompetenzen aneignen, die vorher noch nicht da waren. Im Grunde muss die gesamte Gesellschaft nochmal digital qualifiziert werden, was eine große Herausforderung unserer Zeit ist.
Wie kann das gelingen?
Im Prinzip dadurch, dass man Weiterbildungsangebote schafft, die genau auf die entsprechenden Aufgaben ausgerichtet sind, in denen Expertise benötigt wird. Am besten sind das mundgerechte, kleine Weiterbildungshäppchen, die während der Arbeit gereicht werden.
Auf welchem Stand sind wir in Deutschland mittlerweile mit Digital Health angekommen?
Auf der Ebene der einzelnen Technologien haben wir in Deutschland einen sehr guten Stand erreicht. Es gibt bei uns ganz viele Möglichkeiten der Anwendung im Gesundheitswesen wie telemedizinische Anwendungen oder die medizinische Diagnostik mittels künstlicher Intelligenz. Diese vielen Möglichkeiten müssen nun zusammengeführt werden, zu einem großen, digitalen Ökosystem, in dem die einzelnen digitalen Technologien ihren Platz finden. Da sind andere Länder sicherlich weiter, in Deutschland kämpfen wir bei der digitalen Vernetzung immer noch mit Startschwierigkeiten, beispielsweise bei der Implementierung der Telematikinfrastruktur. Diese soll alle Beteiligten im Gesundheitswesen wie Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser, Apotheken und Krankenkassen im Rahmen der digitalen Gesundheitsversorgung miteinander vernetzen.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit sich das von Ihnen erwähnte Ökosystem gesund weiterentwickelt?
Im Gesundheitswesen gibt es viele qualifizierte Menschen, die etwas bewegen wollen, und man muss diese auch machen lassen. Ich sehe zum Beispiel immer wieder bürokratische Hürden, etwa für die Markteinführung von Innovationen. Hier muss man schauen: Wo sind welche Hürden nötig und wo sind sie unnötig, weil sie zum Beispiel keine Qualitätsverbesserung erreichen. In der ambulanten Versorgung könnten beispielsweise viel häufiger telemedizinische Sprechstunden angeboten werden, wenn die Anzahl dieser Sprechstunden nicht begrenzt wäre.
Die Prozessinfrastrukturen zum Aufbau eines solchen Ökosystems stellen Sie am Klinikum Darmstadt her. Mit welchem konkreten Ziel?
Wir bauen diese gemeinsam mit den klinischen Fachabteilungen, mit der Pflege und der IT-Abteilung auf, damit wir am Ende ein großes Prozess-Ökosystem haben, das digital unterstützt wird und dann die analoge, Jahrhunderte alte Struktur des Krankenhauses irgendwann ablösen soll. Da sind wir in Darmstadt schon relativ weit und wurden in diesem Jahr zum zweiten Mal als Digital Champion in einer Studie des Instituts für Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF) ausgezeichnet; das Klinikum Darmstadt erzielte dort den 3. Platz aller kommunalen Krankenhäuser. Insgesamt muss das Gesundheitswesen aber noch einen sehr weiten Weg gehen: Solche Stellen wie meine gibt es nicht an allen Krankenhäusern. Man braucht dafür Menschen, die aus der Versorgung kommen und wissen, wie das Gesundheitswesen funktioniert, die aber auch die digitalen und transformationalen Inhalte beherrschen. Da geht die APOLLON Hochschule den richtigen Weg und bietet mit dem Master „Digital Health Management“ einen Qualifizierungsrahmen an, um Fachkräfte genau für diese Aufgabe zu qualifizieren.
Sie starten mit dem Studiengang ab dem 1. Juli 2022. Für welche Zielgruppe ist dieser geeignet?
Grundsätzlich richtet er sich an alle Menschen im Gesundheitswesen mit einem Bachelor-Studium, die sich für Digitalisierung und digitale Transformation interessieren. Da gibt es zwei Karrierewege, die man unterscheiden muss: Das ist zum einen mein Karriereweg: Ich habe nach meiner Facharztweiterbildung eine Tätigkeit im Projektmanagement eines Universitätsklinikums aufgenommen, und Digitalisierungsprojekte geleitet. Später habe ich dann die Leitung der Stabsstelle für medizinische Prozessentwicklung am Klinikum Darmstadt angenommen. Dieser Karriereweg ermöglicht es, perspektivisch eine Leitungsposition im Top-Management innezuhaben und die Prozess- oder Projektinfrastruktur an einem Krankenhaus zu verantworten.
Der zweite Karriereweg betrifft Menschen, die sagen: „Ich interessiere mich für Digitalisierung, die digitale Transformation betrifft mich, ich möchte aber gar nicht aus meinem Beruf raus.“ Das können zum Beispiel Chirurgen sein, die eine leitende Tätigkeit anstreben oder andere Ärzte, die in ihrem Fachgebiet bleiben, sich aber dennoch diese Inhalte aneignen, um gemeinsam mit Projektteams gestalten zu können. Für Menschen, die bereits Führungskompetenzen haben, wird es noch eine kleinere Form des Studiengangs ohne Management-Anteil geben, der im Herbst starten wird.
Welche Inhalte erwarten die Studentinnen und Studenten unter anderem im großen Studiengang?
Es geht los mit dem Management-Anteil, der Digitalisierungsanteil hat allerdings einen größeren Umfang. Da werden technische Grundlagen vermittelt, also Schnittstellenmanagement, Interoperabilität, Telemedizin, diverse Anwendungen wie KI oder Blockchain – damit hat man alles, was technisch möglich ist zumindest in Grundzügen erlernt. Ein wichtiger Meilenstein ist das Gruppenprojekt „Digitales Changemanagement“, dieses kommt aus der Praxis und erfordert die Lösung eines konkreten Problems im Gesundheitswesen. Die Konzeption digitaler Prozesse oder die Evaluation von Digitalisierungsprojekte könnten hier eine Rolle spielen. Wozu befähigt der Abschluss des Digital Health Management die Absolventinnen und Absolventen? Es ist eine Qualifizierung für jede Management-Position. Denn jedes Management-Studium braucht einen Digitalisierungsanteil, um sich vollumfänglich vorzubereiten.
Wäre es da nicht erstrebenswert, diese Art der Weiterbildung verpflichtend anzubieten?
Dafür ist es zu umfangreich. Es ist ja auch immer die Frage: Was braucht jemand? Bin ich Chirurg und in meinem Job glücklich, benötige ich diese Art der Weiterbildung nicht. Sobald ich aber eine Führungsposition anstrebe, zum Beispiel in einer Gemeinschaftspraxis, im Krankenhaus oder MVZ, brauche ich diese Kompetenzen.
Können sie ein konkretes Beispiel nennen, bei denen Digital Health bereits für Sie den erwünschten Effekt gebracht hat?
Einmal ging es zum Beispiel um Prozesse in der Notaufnahme in Darmstadt, die zuvor allesamt Papier gesteuert waren. Nach unserer Problemlösung findet der komplette Workflow inzwischen digital statt. Die Behandlungsdringlichkeit läuft jetzt digital und auch die Ablaufsteuerung und Dokumentation. Auf diese Weise konnten wir die Transparenz erhöhen und auch zu einer Verbesserung der Behandlungsqualität beitragen.
Auf dem Land haben wir das Problem mit dem Ärztemangel in der Fläche. Wie könnte die Optimierung von digitalen Prozessen dort von Nutzen sein?
Das betrifft übrigens nicht nur den Ärztemangel sondern auch die Pflege, wo wir ebenfalls zu wenig Fachpersonal haben. Hier kann es helfen, wenn bestimmte Prozeduren nicht mehr von Hand gemacht werden, sondern digital ablaufen. Ich denke da zum Beispiel an die Dokumentation, die ja etwa bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit einnimmt. Wenn wir das digitalisieren können, haben wir mehr Zeit, die wir in die Arbeit am Menschen investieren können. Und dann gibt es noch digitale Anwendungen, die direkt die medizinische Versorgung unterstützen, zum Beispiel die Telemedizin. Diese kann gerade im ländlichen Raum viel bewirken, etwa bei älteren Patientinnen und Patienten, die dann nicht mehr für jede Kleinigkeit den Hausarzt aufsuchen müssen.
Zur Person:
Nach seinem Medizinstudium und seiner Approbation als Arzt erfolgte zunächst die Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit Zusatzbezeichnung Notfallmedizin. Seit Beginn des Jahres 2022 bereichert Prof. Dr. Felix Hoffmann die APOLLON Hochschule mit der Denomination „Digital Health", welches einen großen Stellenwert im Gesundheitswesen einnimmt. Neben seiner aktuellen Professur ist er Leiter der Stabstelle für medizinische Prozessentwicklung am Klinikum Darmstadt und trägt dort in enger Zusammenarbeit mit allen Sektionen des Klinikums die Verantwortung über die Neuaufstellung sowohl der digitalen als auch der analogen Prozesslandschaft. Zudem ist Prof. Dr. Felix Hoffmann Lehrbeauftragter der medizinischen Fakultät an der Ruhr-Universität in Bochum.
Das Interview führte: Daniela Krause
Weitere Informationen unter
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