Wie die Organisation FortSchritt Unternehmensführung zu einem Thema für alle macht

Vor gut zwei Jahren hat sich der gemeinnützige Träger von inklusiven Kindertagesstätten und Dienstleistungen "FortSchritt" auf den Weg gemacht, das Thema Unternehmensführung in das gesamte Team zu integrieren. Nach Auftaktveranstaltungen im Winter 2019 wollten sich alle die Zeit für den Wandel nehmen und im Frühjahr 2020 loslegen. Doch plötzlich kam der erste Corona-Lockdown, Kontaktbeschränkungen und die Kindertagesstätten arbeiteten im Notbetrieb. Ausreichend Gründe, um den Organisationswandel hintenanzustellen. FortSchritt entschloss sich jedoch für dessen Priorisierung. Heute blicken Geschäftsführung, Mitarbeitende und Prozessbegleiter zurück. Sie teilen bisherige Erfahrungen, Herausforderungen und Faktoren des Gelingens ihres Organisationswandels.

Warum Organisationswandel

FortSchritt setzt sich seit knapp 30 Jahren für die Vielfalt in der Gesellschaft ein und kämpft für Inklusion. Diese grundlegenden Werte sollen sich in der Struktur und Organisation des Unternehmens widerspiegeln. Da war schnell klar, Hierarchien und Pflichterfüllung beißen sich mit diesen Werten. Deshalb unternahm FortSchritt Ende 2019 die ersten Schritte zum Wandel in ein selbstorganisiertes Unternehmen. Mit dieser Änderung der Organisationsform haben Geschäftsführung und Mitarbeitende gemeinsam einen Weg beschritten, der den Menschen in den Mittelpunkt des Unternehmens stellt. Ein Ziel ist sinnstiftendes Arbeiten. Arbeit soll für jede Person des Unternehmens Sinn machen, sie soll erfüllen und Zufriedenheit schaffen. Dazu dürfen die Menschen ihre Stärken in die Organisation einbringen und diese weiterentwickeln, wenn sie wollen. Gleichzeitig müssen sie nicht alles können. Alle Mitglieder der Organisation sollen so sein dürfen wie sie sind. Niemand soll sich täglich von der Privatperson in eine Arbeitsperson verwandeln müssen, die man möglicherwiese gar nicht sein möchte. Diesen Weg hat FortSchritt mit Vielfalt in den Meinungen, offenem Austausch unter allen Mitarbeitenden, eigenständigen, innovativen Projekten, klaren Regeln und Verantwortungen sowie inklusiver und wertschätzender Zusammenarbeit eingeschlagen.

So sieht das in der Praxis aus

Erste Orientierungs-Workshops fanden mit Prozessbegleitern des Ouishare Netzwerks im November 2019 statt. Darauf aufbauend startete die sogenannte „Proto-Phase“. In dieser Phase starteten einzelne Teams des gemeinnützigen Unternehmens, die Prinzipien der Selbstorganisation in der eigenen Arbeit anzuwenden. Auch hier wieder in Begleitung von Ouishare-Netzwerkern. Eines der Teams war eine sogenannte „Proto-Kindertagesstätte“. Sie steht zusammen mit über 30 Kindertagesstätten im Zentrum der Wertschöpfung des Trägers. Ein weiteres Proto-Projekt-Team kam aus allen Bereichen der Organisation zusammen. Gegenstand dieses Projektes war eine öffentlichkeitswirksame und organisationsübergreifende Spendenaktion. Vorrausetzung für die Proto-Projekte waren: Sie mussten der täglichen Arbeit entsprechen. Zusätzlich sollten alle Teilnehmenden die Instrumente der Selbstorganisation anwenden und ausprobieren.

“Es ist wichtig, dass der Nutzen für die eigene Arbeit im Prozess klar sichtbar ist”, sagt Alícia Trepat Pont von Ouishare. In diesem Punkt liege die Triebfeder für den gesamten Prozess. Erst wenn alle den eigenen Nutzen im Organisationswandel erkennen könnten, treten Skepsis, Ängste und Befürchtungen in den Hintergrund. Um letztgenannte gar nicht erst entstehen zulassen, startete der Prozess bei FortSchritt in kleinen Schritten und für alle Mitarbeitenden transparent.

In Führungscoachings und in der Teambegleitung wurden Werkzeuge erarbeitet, die den Wandel zu geteilter Führung ermöglichen, erarbeitet. Zu den Werkzeugen zählen beispielsweise Methoden wie eine Entscheidung gefunden werden kann oder wie durch Verteilung von Rollen und Aufgaben das Spektrum der Führung abgebildet werden kann. Mit all diesen Werkzeugen sind Führungskräfte und Mitarbeitende auf dem Weg zu einem Führungs- und Kommunikationsverständnis auf Augenhöhe.

Zweiter Motor treibt den Prozess an

Die Entscheidung den Organisationswandel trotz des anstrengenden und nervenaufreibenden Corona-Lockdowns und der sich stets ändernden Regeln nicht hintenanzustellen, brachte eine unerwartete Dynamik mit sich. Mit Beginn des ersten Lockdowns startete FortSchritt vom digitalen Neandertaler zum vernetzten Unternehmen durch. „Der Umstieg auf die virtuelle Zusammenarbeit übernahm eine Art Störauftrag und erzeugte einen Musterbruch, den wir in anderen Projekten auch gerne mal bewusst erzeugen”, sagt Ouishare-Netzwerkerin Sarah Eisenmann.

Da sich mit dem Pandemie-Einbruch der Regelbetrieb in der Proto-Kita komplett änderte, schaffte das Team Raum für den Organisationswandel, der zweite Motor war gestartet. “Umso schwieriger war es später im Regelbetrieb im Prozess zu bleiben”, beschreibt Sabrina Freiwald aus dem FortSchritt-Proto-Team. „Die Versuchung war groß, in alte Strukturen zurückzufallen.” An dieser Stelle half die Frage weiter: Wäre es nicht ideal, mit der neuen Form des Arbeitens die Herausforderungen der Krise direkt zu bewältigen? Schließlich wurde klar, der Organisationswandel bei FortSchritt nähert sich nicht einem vorgegebenen Ziel an. Die zentrale Botschaft lautet: Selbstorganisation ist das, was das Team daraus macht. Mit Hilfe von Werkzeugen für effektive Meetings, zum Teilen von Wissen sowie mit der Verteilung, von Rollen, Aufgaben und klaren Strukturen starteten die Proto-Teams in die Selbstverantwortung.

“Was uns wirklich geholfen hat, war das eigene Ausprobieren und Testen von Tools, die wir an die Hand bekommen haben. Es war toll und wichtig, damit auch “Fehler” machen zu dürfen”, freut sich Geschäftsführerin Tatijana von Quadt. Mit einer Mischung aus Eigenverantwortung, Orientierungshilfen, kleinen Experimenten und Reflexionen haben sich die Proto-Teams neue Arbeitspraktiken angeeignet und mittlerweile in die Organisation eingebracht.

Ressourcen im Team sind viel größer als gedacht

“Ich habe erkannt, dass viel mehr Ressourcen in unserem Team stecken als wir denken und wir kommen gemeinsam auf bessere und innovativere Lösungen als eine Person alleine. Die Motivation steigt, wenn alle das Gefühl haben, miteinbezogen zu werden. Ein Prozess hat immer Hochs und Tiefs. Man muss einfach dranbleiben.”

Aus dem angefachten Feuer hat sich eine Selbstorganisations-AG gegründet. „Diese steckt andere an, motiviert sie und arbeitet daran, den Prozess in eine für alle in der Organisation verständliche Sprache zu übersetzen“, freut sich Ouishare-Begleiter David Weingartner. Die Wandel-Begleiter haben sich mittlerweile aus dem aktiven Prozess herausgenommen. Beginnt der Motor zu Stocken, stehen sie immer für schnelle Starthilfe bereit. Selbstorganisation ist ein dynamischer Prozess, der sich organisch anpasst, wie die vorbildliche Bewältigung der Corona-Krise bei FortSchritt bewiesen hat. Im Krisenjahr gewann der Kita-Träger als erstes gemeinnütziges Unternehmen den Wirtschaftspreis des Landkreises Starnberg. Bei FortSchritt sind es viele kleine Schritte, die ein großes Ganzes und sinnstiftende Arbeit ergeben.

Über FortSchritt-Konduktives Förderzentrum gGmbH

Die FortSchritt-Konduktives Förderzentrum gemeinnützige GmbH setzt sich für die Inklusion und die individuelle Förderung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit und ohne Behinderung sowie ihre Familien ein. Die gGmbH ging 2001 aus dem FortSchritt Verein zur Verbreitung der Konduktiven Förderung e.V. hervor. Dieser wurde 1994 als Elterninitiative gegründet. In rund 36 Kindertagesstätten und Inklusionseinrichtungen kümmern sich fast 450 FortSchritt-Mitarbeitende um gut 1200 Kinder-, Jugendliche sowie Menschen mit Behinderungen. Die Ziele des Kinder- und Jugendhilfeträgers sind, die ihm anvertrauten Kinder partnerschaftlich mit den Eltern zu mündigen, mitfühlenden und eigenständigen Persönlichkeiten zu erziehen, eine umfassende Teilhabe und Inklusion sowie die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in Deutschland. Mehr: www.fortschritt-bayern.de.

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