Veränderung industrieller Wertschöpfungsketten im Zuge der Klimaneutralität erfordert Gesamtstrategie

Die Transformation zur Klimaneutralität, aber auch die Digitalisierung oder Krisen wie die Corona-Pandemie treiben die Veränderung industrieller Wertschöpfungsketten. Dies hat komplexe Auswirkungen und bedarf einer aktiven Gestaltung, einer vorausschauenden Koordination und der Entwicklung einer übergeordneten Strategie. Das zeigt ein Diskussionspapier, das die Deutsche Energie-Agentur (dena) gemeinsam mit der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE und dem Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) veröffentlicht hat.

„Zwar werden einzelne Themen- und Handlungsfelder der Neustrukturierung industrieller Wertschöpfungsketten bereits losgelöst voneinander diskutiert, jedoch ist eine gesamtheitliche Betrachtung der Treiber, Effekte und Herausforderungen dringend notwendig“, sagt Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung. Ziel müsse zudem sein, eine neue Kultur der Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu fördern, um die Klimaneutralitätsziele sicherzustellen und die dafür notwendigen beschleunigten Innovationen auf den Weg zu bringen.  

Die Publikation mit dem Titel „Auf dem Weg zur Klimaneutralität – Neustrukturierung industrieller Wertschöpfungsketten“ gibt einen Überblick über die Wirkzusammenhänge der anstehenden Veränderungen und Impulse für eine daran anknüpfende gesamtgesellschaftliche Diskussion. Als zentrale Handlungsfelder benennt es die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, eine stärkere Berücksichtigung geopolitischer Aspekte und die Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft. Demnach sind die Potenziale in diesen Bereichen noch nicht ausgeschöpft und ein aktives und planvolles Handeln ist notwendig, um Industrieunternehmen und Wertschöpfungsstufen im Land zu halten, Innovationen anzustoßen und damit neue Wertschöpfungsketten zu erschließen.

Arbeitsmarkt und Strukturwandel

Unter anderem beschäftigt sich der Bericht mit den Konsequenzen des Wandels auf den Arbeitsmarkt. So könnte eine streckenweise starke regionale Verankerung bestimmter Industrien im Zuge der Neustrukturierung von Wertschöpfungsketten zu Strukturbrüchen mit Folgen für bestehende Beschäftigungsverhältnisse führen. Um dies auszuschließen, könnte eine regional fokussierte Industriepolitik unterstützend sein. Bereits vorhandene Infrastrukturen existierender Wertschöpfungszentren auszubauen und sie gezielt weiterzuentwickeln, könnte diese nach Ansicht des Autorenteams attraktiv für neue Unternehmen machen.

„Von den zum Teil auch negativen Auswirkungen der Neustrukturierung sind zuvorderst die industriell Beschäftigten betroffen. Ziel einer übergeordneten Strategie muss es daher immer sein, industriell Beschäftige, insbesondere in KMU, grundlegend und vorausschauend für die Transformation und die zukünftigen Herausforderungen als Fachkräfte fit zu machen und weiter zu qualifizieren, auch um Strukturbrüche und Wohlstandsverluste zu vermeiden“, betont Dr. Kajsa Borgnäs, Geschäftsführerin der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE.

EU als Vorreiterin für klimafreundliche Lieferketten

Da die Importe fossiler Energieträger immer weiter abnehmen müssen, stehen sich verändernde industrielle Wertschöpfungsketten in ganz Europa bevor. Hinzu kommen neue Abhängigkeiten und Konkurrenzverhältnisse, die mit der wachsenden Bedeutung grünen Wasserstoffs einhergehen werden. Das betrifft auch kritische Rohstoffe, die bei der Produktion von Wasserstoff und den damit verbundenen Technologien und Komponenten gebraucht werden, wie etwa Platin oder Iridium. Dabei geht es dem Bericht zufolge nicht nur um neue Partnerschaften für den Bezug kritischer Ressourcen. Wichtig sei ebenso, europäische Werte und Standards zu fördern wie auch die sozioökonomische Entwicklung und politische Stabilität in der europäischen Nachbarschaft: „Die Dekarbonisierung industrieller Wertschöpfungsketten kann nicht ohne eine internationale politische Flankierung gelingen“, sagt Dr. Rainer Quitzow, Forschungsgruppenleiter am IASS und Mitautor des Papiers. „Es erfordert den Aufbau breit angelegter, internationaler Transformationspartnerschaften, vor allem mit Ländern in der europäischen Nachbarschaft. So kann die EU ein Ankerpunkt für den Aufbau klimafreundlicher Lieferketten werden.“

Kreislaufwirtschaft als Teil der Lösung

Als zentral sieht der Bericht auch den Übergang von einer linearen zur zirkulären Wirtschaftsweise der Kreislaufwirtschaft. Eine solche Kreislaufwirtschaft geht weit über das Recycling hinaus. Dies erfordert eine tiefgreifende Umstrukturierung von allen Teilen industrieller Wertschöpfungsketten, eine Einführung von innovativen Geschäftsmodellen sowie erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung.

Weitergehende Analyse notwendig

Das Diskussionspapier ist die Zusammenfassung einer Workshopreihe, die die dena mit dem IASS Potsdam und der Stiftung Arbeit und Umwelt der IGBCE im Herbst 2021 initiiert hat. Auf den drei Veranstaltungen diskutierten über 120 Fachleute aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik die Herausforderungen im Rahmen der Transformation zur Klimaneutralität. Die im Bericht dargestellten Ansatzpunkte verstehen die beteiligten Institutionen als Auftakt zu einer gesellschaftlichen Diskussion, um die vielschichtigen Aspekte noch näher zu beleuchten.

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