Behörden und Geheimdienst bedrohen die Medien

Drohungen, Vorladungen zu Verhören, willkürliche Verhaftungen: In Afghanistan hat die Repression gegen Medienschaffende in den vergangenen zwei Monaten stark zugenommen. Direkt verantwortlich sind der als „Istichbarat“ bekannte Geheimdienst der Taliban und ihr „Ministerium zur Erhaltung der Tugend und zur Verhinderung des Lasters“. Javad Sargar, in der Abteilung 53 des Istichbarat für die Medien zuständig, hat zuletzt Journalistinnen und Journalisten damit gedroht, ihnen „die Zunge herauszureißen“, wenn sie weiter über problematische Themen berichten oder bestimmte Medienschaffende zu Fernsehdebatten einladen.

„Die Medien mit solchen Drohungen an der Berichterstattung zu hindern, ist schamlos und vollkommen inakzeptabel“, sagte Katja Gloger, Vorstandssprecherin von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Journalistinnen und Reporter müssen ihre Berufe ausüben können, ohne von Verhaftung und Folter bedroht zu sein. Natürlich verstoßen solche Drohungen auch gegen die afghanischen Mediengesetze. Aber sie passen leider zum Klima massiver Schikanen und zunehmend restriktiver Regeln, mit denen die Taliban das Recht verwehren, sich frei zu informieren und informiert zu werden.“

Neben vielen anderen wurde zuletzt der Journalist Aslam Hidschab inhaftiert, ein Wirtschaftsreporter des privaten Fernsehsenders Ariana News TV. Er wurde am 31. Januar vor dem Sendergebäude verhaftet. Als sein Kollege Waris Hassra versuchte, einzuschreiten, wurde auch er verhaftet. Beide wurden von Geheimdienstbeamten an einen unbekannten Ort gebracht und 48 Stunden lang festgehalten. Dann kamen sie frei.

Seit die Taliban am 15. August 2021 die Kontrolle über Afghanistan übernommen haben, sind mindestens 50 Medienschaffende kurzzeitig festgehalten oder von Polizei und Istichbarat verhaftet worden, häufig am Rande der Demonstrationen von Frauen in Kabul. Manche kamen nach wenigen Stunden frei, manche nach einer knappen Woche, oft kam es bei den Festnahmen zu Gewalt. Die Festnahmen zeigen, dass der Istichbarat eine immer wichtigere Rolle bei der Schikanierung der Medien spielt.

Chef dieses Geheimdienstes ist Abdul Haq Wasiq, der bereits von 1996 bis 2001 den Taliban-Geheimdienst leitete und von 2002 bis 2014 in Guantanamo einsaß. Der Istichbarat ist ein zentrales Machtinstrument der Taliban-Regierung und untersteht direkt dem Interimspremierminister. Er hat die Nationale Sicherheitsdirektion (NDS) der Islamischen Republik Afghanistan abgelöst, die aus dem Inlandsgeheimdienst KHAD hervorgegangen war. Der KHAD wiederum war in den 1980er-Jahren ein lokaler Zweig des russischen KGB. Der Istichbarat ist nicht nur direkt an der Verhaftung von Journalistinnen und Journalisten beteiligt: Nach RSF-Informationen haben mehrere Redaktionen Drohanrufe und Vorladungen zu Verhören von Istichbarat-Beamten erhalten. Immer mehr SchikanenNeben der Bedrohung durch den Geheimdienst müssen sich afghanische Journalistinnen und Reporter auch mit dem Tugend-Ministerium der Taliban auseinandersetzen. Dieses soll sicherstellen, dass im öffentlichen Raum Afghanistans die Scharia und die koranische Lehre vom „Gebot zum Guten und Verbot des Bösen“ eingehalten wird. Ein Erlass dieses Ministeriums vom 22. November 2021 legt bestimmte Regeln für die Pressefreiheit in Afghanistan fest. Unter anderem wurden die Journalistinnen und Journalisten aufgefordert, keine regierungskritischen Kommentatoren zu interviewen oder sie zu Diskussionen im Fernsehstudio einzuladen. Journalistinnen wurde vorgeschrieben, den Hijab zu tragen.

Am 16. und 22. Dezember 2021 wurden die Leiter der vier privaten Fernsehsender Tolo TV, TV1, Ariana News und Shemshad ins Ministerium für Information und Kultur vorgeladen. Bei diesen Treffen, an denen auch Vertreter des Istichbarat und des Tugend-Ministeriums teilnahmen, wurden die Vorgeladenen ermahnt, sich strikt an den Erlass vom 22. November zu halten. Die Chefs der Fernsehsender wurden gezwungen, sich zur Umsetzung des Dekrets zu verpflichten.

Der fragliche Erlass verstößt gegen das Mediengesetz, das im März 2015 verkündet wurde und offiziell noch immer in Kraft ist. Auf RSF-Anfrage bestätigte der Regierungssprecher und stellvertretende Informations- und Kulturminister Zabihullah Mudschahid, dass das Gesetz noch immer gelte, dass es Frauen nicht daran hindere, als Journalistinnen zu arbeiten, und dass kein Ministerium und keine Einrichtung in die journalistische Berufsausübung eingreifen dürfe. Zugleich kündigte er allerdings an, eine „Kommission zur Überprüfung von Medienvergehen“ einzurichten.

Verwirrung stiftet, dass die Anweisungen für Journalistinnen und Reporter aus verschiedenen Quellen kommen – sie werden nicht nur von Ministerien und dem Istichbarat unter Druck gesetzt, sondern müssen auch Anweisungen des staatlichen Medien- und Informationszentrums befolgen. Diese Behörde veröffentlichte am 29. Januar 2022 Empfehlungen für „alle Medien in Afghanistan“, die im Wesentlichen die am 19. September 2021 angekündigten elf Regeln für den Journalismus bestätigen. Auch wenn die afghanischen Medienschaffenden offiziell in den Weisungsbereich des Informations- und Kulturministeriums fallen, wird dessen Rolle durch solche Empfehlungen und Erlasse weiter geschwächt.

Auf der zuletzt im April 2021 aktualisierten Rangliste der Pressefreiheit steht Afghanistan auf Platz 122 von 180 Staaten. Mehr zur Lage für Journalistinnen und Journalisten in Afghanistan finden Sie unter: www.reporter-ohne-grenzen.de/afghanistan/

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