Neustart für den Nachrichtenjournalismus

Der Nachrichtenjournalismus braucht einen Neuanfang. Wie dieser aussehen kann, das beschreibt Marco Bertolaso, der Nachrichtenchef des Deutschlandfunks, in seinem neuen Buch "Rettet die Nachrichten!".

Die Zeit der klassischen Massenmedien geht zu Ende. Informationen sind im Netz und in den sozialen Medien scheinbar unbegrenzt und kostenlos zu haben. Brauchen wir also überhaupt noch professionellen Nachrichtenjournalismus?

Die Frage ist so naheliegend wie gefährlich. Denn Demokratie, Rechtsstaat und individuelle Freiheiten wird es ohne verlässliche Informationen nicht geben. Sie vertragen weder ein „postfaktisches“ Verschwimmen von Wahr und Falsch noch eine Steuerung der Nachrichten durch staatliche oder wirtschaftliche Interessen.

Die digitale Öffentlichkeit entsteht gerade erst. Wir wissen nicht, wie sie als Betriebssystem einer Gesellschaft funktionieren wird. Wir sehen aber, dass wenige Großkonzerne die neue Informationslandschaft beherrschen. Ihre Algorithmen sind an Umsatz und Ertrag ausgerichtet. Sie begünstigen Konflikt und Krawall, nicht Austausch und Achtung. Wir sehen, wie erfolgreich autoritäre Staaten mit den digitalen Kommunikations- und Kontrollmöglichkeiten operieren. Die Corona-Krise hat auch das ans Licht gebracht.

Der Nachrichtenjournalismus steckt aber auch wegen eigener Fehler in der Krise. Er braucht einen Neuanfang auf vielen Ebenen und kein „Weiter so“. Redaktionen müssen sich fragen, ob sie eigentlich noch die wirklich Mächtigen beobachten und kontrollieren. Im journalistischen Handwerk müssen Regeln nachjustiert werden, auch bei Aktualität und Relevanz, den Leitsternen der Nachrichten.  Es ist Zeit, sich von einem problematischen Objektivitätsbegriff und anderen Gewohnheiten zu verabschieden.

Gefordert sind aber nicht nur die Medien, sondern genauso auch Politik, Wirtschaft, Verbände, letztlich die gesamte Gesellschaft. Wir brauchen dringend eine Abrüstung bei PR und Marketing. Parteien, Verbände und viele andere sollten ihre scheinjournalistischen Aktivitäten beenden und die „Corporate Newsrooms“ wieder als das bezeichnen, was sie sind: Pressestellen oder Werbeabteilungen. Es ist Zeit, Information als Teil der Grundversorgung zu betrachten und nicht mehr in erster Linie als kommerzielle Ware. Wir brauchen dramatisch mehr Bildungsanstrengungen, um Nachrichtenkompetenz aufzubauen.

Marco Bertolaso

Rettet die Nachrichten!
Was wir tun müssen, um besser informiert zu sein

Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses, Band 6

2021, 358 S., Broschur, 190 x 120 mm, dt.

ISBN (Print) 978-3-86962-493-8
ISBN (PDF)  978-3-86962-494-5

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