An der TU Ilmenau werden neuromorphe elektronische Systeme entwickelt, also mikroelektronische Bauelemente und Schaltungen auf der Basis neurobiologischer Gesetzmäßigkeiten. Die Mikroelektronik, die mit biologisch inspirierten Signalverarbeitungs- und Speichermechanismen funktioniert, ist gleichzeitig besonders leistungsstark und extrem energieeffizient. Dafür verknüpfen Wissenschaftler aus fünf Fachgebieten unter der Leitung von Prof. Martin Ziegler, Leiter des Fachgebiets Mikro- und nanoelektronische Systeme, sogenannte Memristoren mit supraleitenden und neuromorphen Schaltungen. Der Begriff Memristor – zusammengesetzt aus den englischen Wörtern Memory für Gedächtnis und Resistor für Widerstand – beschreibt elektronische Bauelemente, die in der Lage sind, Informationen durch veränderbare Widerstandszustände zu speichern. Den Gedächtniseffekt, der dem von Synapsen, also der Kontaktstellen von Nervenzellen im Gehirn, ähnelt, erhalten die elektronischen Komponenten von der atomaren Struktur der Werkstoffe, aus denen sie hergestellt sind.
Leistungsstarke, energieeffiziente Elektronik, wie es das ForLab NSME erforscht, ist ein Gebot der Stunde. Die digitale Revolution hat weltweit zu einer rasanten Steigerung des Energiebedarfs geführt. Schon heute verbraucht die Hardware, die rund um den Globus in IT-Anwendungen eingesetzt wird, ein Viertel der gesamten weltweit produzierten elektrischen Energie – Tendenz stark steigend: Wissenschaftliche Hochrechnungen prognostizieren, dass in nicht einmal 15 Jahren die gesamte weltweite Produktion an elektrischer Energie nicht mehr ausreichen wird, um den Leistungsbedarf der IT-Hardware zu decken.
Für die Arbeiten in den Laboren des Zentrums für Mikro- und Nanotechnologien der TU Ilmenau wurden ein Tieftemperatur-Rasterelektronenmikroskop und ein Tieftemperatur-Rastertunnelmikroskop angeschafft und bereits in Betrieb genommen. Diese ultra-hochauflösenden Mikroskope erlauben es, die neuromorphen und supraleitenden Werkstoffe zu untersuchen. Werkstoffoberflächen lassen sich mit atomarer Präzision abbilden und deren elektronische Struktur hoch energieauflösend spektroskopieren. Prof. Stefan Sinzinger, Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs der TU Ilmenau, zeigte sich bei der Eröffnung der neuen Forschungseinrichtung begeistert: „Mit diesem Labor für die hochauflösende Kryoanalytik haben wir hier in Ilmenau eine Ausstattung zur Verfügung, die uns im Bereich der Forschung und Entwicklung sensationelle Möglichkeiten bietet.“
Prof. Peter Schaaf, Leiter des Fachgebiets Werkstoffe der Elektrotechnik und Mitinitiator des Projekts, zeigte sich bei der Eröffnung des Kryolabors geradezu begeistert von den „ganz neuen Möglichkeiten auf dem Weg zu einer Grünen Elektronik. Nur wenige Forschungseinrichtungen auf der Welt sind wie wir dazu in der Lage, Rasterelektronenmikroskopie bei minus 267 Grad Celsius zu betreiben. Dadurch können wir unsere neuromorphen Werkstoffe und Schaltungen bei mikrostrukturellen In-situ-Untersuchungen im supraleitenden Zustand ansehen. Die extrem niedrigen Temperaturen ermöglichen es zudem, Änderungen in memristiven Werkstoffen sichtbar zu machen, durch die wir nicht nur erkennen, ob etwas funktioniert, sondern auch, warum dies so ist. Das ermöglicht es uns, unsere Bauteile so zu optimieren, dass sie noch viel besser funktionieren.“
Die grundlegenden physikalischen Aspekte des Projekts bearbeitet im Tieftemperatur-Rastertunnelmikroskop Prof. Jörg Kröger, Leiter des Fachgebiets Experimentalphysik 1 und ebenfalls Mitinitiator des Projekts. Mithilfe der Kryoanalyse können Atome und Moleküle mit einer atomaren Sonde gezielt positioniert werden. Diese künstlichen Strukturen, auch Nanolaboratorien genannt, ermöglichen es, die physikalischen Mechanismen künftiger Memristoren aufzudecken und zu verstehen. Mit dem Mikroskop kann Prof. Kröger nun Experimente durchführen, wie es nur wenige Forschergruppen weltweit können: „Das komplementiert die bestehenden Möglichkeiten der TU Ilmenau in einer Art und Weise, wie ich es kaum zu träumen gewagt habe. Wir können damit beobachten, welche Eigenschaften diese kleinsten Strukturen besitzen, wie sie zum Beispiel den Suprastrom durch einatomige Stromkreise führen oder wie sie kollektiv Licht emittieren. Das ist reale Quantenmechanik!“
Zu den neuen Laborgerätschaften gehört auch ein Heliumverflüssigungssystem, das das Heliumabgas der Tieftemperaturanlagen sammelt, um es wieder in flüssiges Helium umzuwandeln, das dann zur Kühlung der Experimente wiederverwendet wird. Mit diesem Kreislauf macht sich die Universität deutlich unabhängiger von den immer knapper und damit teurer werdenden Heliumreserven.
Das Forschungslabor Mikroelektronik in Ilmenau ist eines von insgesamt zwölf, die derzeit im Rahmen des ForLab-Programms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in ganz Deutschland entstehen. Mit dem Zuschlag des Bundesforschungsministeriums für ein Labor in Ilmenau hatte sich die Universität in einem mehrstufigen Auswahlverfahren gegen insgesamt 40 Forschungseinrichtungen durchgesetzt.
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