Seit über einem Jahrhundert beschäftigen sich Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Fachrichtungen mit dem Vergessen. Grundlegend für die neurobiologische Forschung war bisher die Annahme, dass sich bei der Bildung und Speicherung von Gedächtnisinhalten die Verknüpfungen von Nervenzellen, die sogenannten Synapsen, langanhaltend verändern. Die Forschung ging davon aus, dass die fortlaufende, aktive Speicherung von neuen Gedächtnisinhalten im neuronalen Netzwerk zu einem teilweisen Überschreiben von alten Gedächtnisinhalten und somit zum Vergessen führt.
Neuere Studien weisen jedoch darauf hin, dass sich synaptische Verbindungen nicht nur im Zusammenhang von Lernprozessen verändern. Vielmehr befinden sie sich auch unabhängig davon in erheblichem Maß in einem kontinuierlichen Umbauprozess. Diese spontane Umbaufähigkeit der Synapsen wird als intrinsische Plastizität bezeichnet. Inwieweit sie einerseits zum Vergessen von alten Gedächtnisinhalten führt und damit andererseits auch einen Beitrag dazu leisten kann, Neues flexibler erlernen zu können, will die deutsch-israelische Wissenschaftlergruppe jetzt herausfinden.
„Das Besondere an unserem Forschungsansatz ist, dass wir das Vergessen nicht wie bisher als notwendige Konsequenz neuen Lernens betrachten, sondern als ungerichteten, physiologischen Prozess, der durch die intrinsische Umbaufähigkeit synaptischer Verbindungen getrieben wird“, erläutert Prof. Dr. Simon Rumpel vom Institut für Physiologie der Universitätsmedizin Mainz, der das internationale Projekt auf deutscher Seite koordiniert.
Mit ihrer Forschung könnten die Wissenschaftler:innen dazu beitragen, die Behandlungsmöglichkeiten für Betroffene mit Demenzerkrankungen zu verbessern. „Wir erhoffen uns, mit unseren Untersuchungsergebnissen auch ein besseres Verständnis für die Prozesse zu gewinnen, die dem Vergessen im Rahmen von Erkrankungen wie der Demenz zugrunde liegen. Dies ist die Voraussetzung, um neue Therapieansätze entwickeln zu können“, betont Prof. Rumpel.
Das Forschungsprojekt wird im Rahmen des 1997 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingerichteten Exzellenzprogramms DIP (Deutsch-Israelische Projektkooperation) über einen Zeitraum von fünf Jahren mit rund 1,6 Millionen Euro gefördert. Von der Fördersumme entfallen rund 300.000 Euro auf die Arbeitsgruppe der Universitätsmedizin Mainz. An der Forschungskooperation beteiligt sind auf deutscher Seite neben dem Institut für Physiologie der Universitätsmedizin Mainz, das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, das Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen sowie das Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS). Kooperationspartner auf israelischer Seite sind unter der Sprecherschaft von Prof. Dr. Noam Ziv zwei Arbeitsgruppen am Technion – Israel Institute of Technology in Haifa.
Mehr als 50 Millionen Menschen sind weltweit von Demenzerkrankungen betroffen. Mit rund zwei Drittel aller Fälle ist die Alzheimer-Krankheit die häufigste Form der Demenz. Der Welt-Alzheimer-Tag macht jährlich am 21. September auf die Situation der Betroffenen und ihrer Familien aufmerksam. In diesem Jahr steht der Gedenktag unter dem Motto „Demenz – genau hinsehen!“.
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten und jährlich mehr als 300.000 Menschen stationär und ambulant versorgen. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.000 Studierende der Medizin und Zahnmedizin sowie mehr als 600 Fachkräfte in den verschiedensten Gesundheitsfachberufen, kaufmännischen und technischen Berufen werden hier ausgebildet. Mit rund 8.600 Mitarbeitenden ist die Universitätsmedizin Mainz zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de.
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