Es braucht Prävention von missbräuchlichem Medikamentenkonsum bei Kindern und Jugendlichen – in allen Lebenswelten!

Die Mutter, die ein Benzodiazepin-Rezept bei ihrem 14-jährigen Sohn findet. Die Lehrerin, die ihre Schüler*innen mit Medikamenten-Blistern hantieren sieht. Der Straßensozialarbeiter, dem die Jugendlichen von Tilidin, „Leaning“ und „Xannies“ erzählen. Diese und ähnliche Berichte über vermehrte Einnahme von Medikamenten bei Jugendlichen häufen sich, auch in den Medien.

Schätzungen weisen darauf hin, dass Medikamentenabhängigkeit in Deutschland an zweiter Stelle der Suchterkrankungen steht – nach Nikotin und noch vor Alkohol. Die Gründe sind vielfältig, der Zugang leicht, die Legitimations-Haltung „es ist ja Medizin“ verbreitet.

Repräsentative Untersuchungen zeigen, dass Kinder schon in jungen Jahren mit Medikamenten in Kontakt kommen, auch Schmerzmittel werden mitunter früh regelhaft eingenommen bzw. von den Eltern verabreicht.
 
Wichtige Konsummotive scheinen, sofern derzeit beurteilbar, neben jugendlichem Experimentierverhalten, Langeweile und der Wunsch nach Entspannung zu sein – die Herausforderungen der Pandemiesituation, wie Überforderungs- oder Ohnmachtsgefühle, tragen ihren Teil hierzu bei. Teilweise in Unwissenheit um die Wirkstärke der Substanzen, birgt v.a. der Mischkonsum mit Alkohol und/oder anderen illegalen Substanzen große gesundheitliche Gefahren. Aufklärung über den sicheren Umgang mit Arzneimitteln sowie Handlungsalternativen und eine gute Selbstfürsorge sind demnach enorm wichtig und müssen früh in den jeweiligen Lebenswelten ansetzen.

„In welcher Rolle auch immer – Eltern, Verwandte, Pädagog*in, Trainer*in, Freund*in, Künstler*in, Sportler*in etc. – wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass unser Handeln und die damit verbundene Haltung von Kindern und Jugendlichen wahrgenommen und übernommen werden kann – auch beim Umgang mit Medikamenten! Wenn es für Kinder Normalität ist, dass es für jede Befindlichkeit eine Pille gibt und Alternativen nicht mehr in Erwägung gezogen werden, bahnen sich ungesunde und gefährliche Konsummuster an. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, auch den eigenen Umgang mit Medikamenten zu reflektieren.“, so Anke Timm, Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention Berlin.

Ein breites Spektrum an Risikogruppen
Der riskante Umgang mit Medikamenten als gesamtgesellschaftliches Phänomen betrifft zudem besonders ältere Menschen, Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte – teilweise sehr vulnerable Gruppen, denen der Zugang zu Prävention, Frühintervention und Unterstützung in Hilfe leicht zugänglich sein muss.
„Unsere Gesellschaft übt Druck auf die Menschen aus, funktionieren oder sich schnell erholen zu müssen. Ob z.B. das alleinerziehende, arbeitende Elternteil oder traumatisierte Menschen, an die Integrationsanforderungen gestellt werden. Hinzu kommen soziale Isolation und Vereinsamung von Teilen der älteren Generation. Wir müssen wieder lernen, Verantwortung füreinander zu übernehmen, aufeinander zu achten und uns Bedingungen zu schaffen, die ein unabhängiges Leben in Teilhabe sozialen Miteinanders ermöglichen.“, so Kerstin Jüngling, Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention Berlin.

Die Berliner Initiative gegen Medikamentenmissbrauch – seit 10 Jahren Impulsgeberin
Um der beschriebenen Realität Aufmerksamkeit zu geben, veranstaltet die Berliner Initiative gegen Medikamentenmissbrauch zu ihrem 10-jährigen Bestehen zum Welttag der Patient*innensicherheit am 17.09.2021 den Online-Fachtag „Für Alle(s) was dabei?! Riskanter Medikamentengebrauch im Alltag“. Fachliches Input, Austausch in Workshops sowie eine Podiumsdiskussion sind hierbei Programm.

In den Tagen vor dem 17. September befördern kooperierende Berliner Bezirke zudem eine Informations-Offensive der Initiative für Apothekerinnen und Apotheker, erreichen so fast 450 Apotheken und ermutigen diese, ihre Kund*innen verstärkt zum achtsamen Umgang mit Arzneimitteln anzuregen und Kenntnisse zu möglichen Hilfeangeboten zu vermitteln.

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