Kardinal Marx sieht in seinem Brief an den Papst, den er bereits am 21. Mai schrieb, der aber erst heute öffentlich wurde, die Kirche „an einem toten Punkt“ angekommen. „Das erschüttert mich tief“, sagte Sternberg. Kardinal Marx hoffe, dass dieser tote Punkt zu einem „Wendepunkt“ werden könne – und nehme so das Wort von der „Zeitenwende“ im Brief des Papstes zum Synodalen Weg auf. „Offenbar ist das Rücktrittsangebot vor allem als Weckruf an die Bischöfe zu verstehen“, sagte der ZdK-Präsident. „Kardinal Marx spricht in seinem Brief vom institutionellen und systemischen Versagen der Kirche. Gleichzeitig macht er deutlich, dass es Bischöfe gibt, die dieses Element der Mitverantwortung und der Mitschuld der Institution nicht wahrhaben wollen“ und deshalb jeden Reform- und Erneuerungsdialog ablehnten.
Es gebe künftig eine Stimme weniger, die den Reformanliegen in Rom Gehör verschaffe. „Der Münchner Kardinal gehört zum direkten Beraterkreis des Heiligen Vaters. Gleichzeitig ist er als ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz Motor und Mitinitiator des Synodalen Weges in Deutschland gewesen. Ich habe großen Respekt vor seiner Lebensleistung und seiner Fähigkeit, Kirche und Welt mit klarem Blick und kritischen Augen zu sehen.“
Sternberg würdigte Marx‘ Verdienste um die Sozial- und Gesellschaftspolitik seit den Anfängen seiner Berufstätigkeit. Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz habe er nicht zuletzt im Bereich der Ökumene 2017 und mit der Etablierung des Synodalen Weges deutliche Zeichen gesetzt. Die Stimme des Kardinals sei „für die Wahrnehmung christlich fundierter Positionen unverzichtbar“. Marx sei sich aber auch im Klaren darüber, „dass für die Rückgewinnung der Glaubwürdigkeit die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt in der Kirche Voraussetzung ist“.
Das heute veröffentlichte, eindringliche Schreiben zeige, dass ihn die Skandale und auch die Skandalisierungen der zurückliegenden Monate und Jahre nicht unberührt gelassen hätten. Mehrere Ereignisse hätten Marx offenbar lange beschäftigt und zu diesem Schritt geführt. Dass Marx eine Veränderung seines Glaubens in der Erläuterung zu seinem Brief nenne, lasse den Menschen hinter dem Amt erkennen. Bemerkenswert sei auch, dass er eine Situation vom September 2018 aufgreife. Bei der Vorstellung der MGH-Studie zum sexuellen Missbrauch in der Kirche habe er auf die Frage, ob nun er oder andere Bischöfe einen Anlass zum Rücktritt sähen, mit „nein“ geantwortet. „Und nun schreibt dieser Mann, dass er im Nachgang immer stärker gespürt habe, dass diese Frage nicht einfach beiseitegeschoben werden könne“, zeigte sich Sternberg beeindruckt. Erschüttert hätten Marx sicher auch die Angriffe im Zusammenhang mit der Ankündigung der Verleihung des Verdienstordens durch den Bundespräsidenten. Betroffene von sexuellem Missbrauch hatten sich öffentlich gegen diese Verleihung positioniert. Kardinal Marx hatte daraufhin den Bundespräsidenten gebeten, ihn nicht auszuzeichnen. In einem Schreiben hatte Marx deutlich gemacht, dass er als Kardinal für die Institution, die Schuld auf sich geladen habe, stehe.
Reinhard Marx übe unverhohlen Kritik an Reformverweigerern, so Sternberg. „Das heißt auch, dass die Mitglieder des Synodalen Weges ihre Anstrengung noch verstärken müssen.“ Es sei gut, dass Reformen nach der Ankündigung des Papstes kurz vor Pfingsten nun zum weltweiten Projekt der katholischen Kirche würden. Die Begründung des Rücktrittsangebots von Marx zeige, „dass wir mit dem Synodalen Weg in Deutschland auf dem richtigen Weg sind“. Er bearbeite ja nicht nur einzelne Themen, sondern gehe „Ursachen des Missbrauchs strukturell an. Kardinal Marx bestärkt die Mitglieder des Synodalen Weges darin“, so Sternberg. „Ich bin erschüttert von dem Rücktrittsangebot des Kardinals an den Papst, danke ihm für die gute Zusammenarbeit und habe großen Respekt vor der Offenheit seiner Erklärung. Ich hoffe auf sein bleibendes Engagement – in welcher Position auch immer.“
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