Kunden und Tagungsstätten wollen zurück zu alten Idealen
Corona hat zu einer Zäsur im MICE-Business geführt. Gerade in Zeiten des vollständigen Lockdowns widmete sich die Branche verstärkt den digitalen Möglichkeiten. Zwar sind die digitalen Events nichts Neues; bis zur Covid19-Pandemie wurden sie aber vorwiegend als Ergänzungsangebote zu Präsenzveranstaltungen gesehen. Sie gelten nur bedingt als Ersatz des physischen Zusammenseins der Menschen. Sicherlich konnten die Veranstaltungshäuser und ihre Kunden durch die virtuellen Formate neue Erfahrungen sammeln, die Ursehnsucht des Menschen, sich in der realen Welt zu begegnen, können sie aber nicht ersetzen. Dazu der Initiator der Studie Prof. Dr. Jerzy Jaworski von der Hochschule Heilbronn: „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Veranstaltungshäuser ihre Umsätze primär nicht nur durch die Wissensvermittlung generieren, sondern insbesondere durch Leistungen wie Catering, Veranstaltungs-Dienstleistungen, Übernachtungen, Begleitprogramme und vieles mehr. Finden Präsenzveranstaltungen aufgrund der Pandemie nicht statt und werden diese durch Online-Events ersetzt, wird damit das Kerngeschäft eines jeden Veranstaltungshauses gefährdet.“
Erweiterung des Angebots-Portfolio
Die Covid19-Pandemie hat nahezu alle Befragten dazu gebracht, sich hinsichtlich digitaler Veranstaltungsformate entsprechende Technik, die dafür benötigte Ausstattung im Haus und das Wissen über die Durchführung anzueignen. Die Veranstaltungshäuser haben in diesem Bereich damit ein hohes Kompetenzniveau erworben. Dennoch sehen die Häuser gleichzeitig die negativen Auswirkungen dieser Erweiterung. Die Befragten befürchten, dass die hybriden Veranstaltungen finanziell unrentabel sein werden, vor allem aber wird der „gute“ und direkte Kontakt zum Gast verloren gehen. Gerade in der Lockdown-Zeit findet eine Gästeentfremdung statt. Bei den Tagungsteilnehmern wird zudem eine falsche Erwartung geweckt („…es wird billiger…“). Mit der Erweiterung des eigenen Angebots um hybride Formate entstehen zusätzliche Kosten, die selten gedeckt werden. Andererseits werden die interessanten Angebote (Gastronomie etc.) weniger gebucht.
Kosten, Kompetenz und Sicherheit
Der digitale Schub erfordert eine Investition, die nicht unterschätzt werden darf. Tagungsstätten werden sich fragen müssen, ob sie sich die benötigte Technik kaufen oder durch einen IT-Anbieter temporär anbieten müssen. Ungeachtet der Beantwortung dieser Frage ist auf jeden Fall eine schnelle und stabile Internet-Verbindung wichtig. Gerade Streamingdienste setzen hier eine gute Performance voraus. Die Teilnehmenden der Studie haben seit Pandemie-Beginn intensiv investiert und bieten ihren Kunden diese Grundvoraussetzungen. Eine besondere Herausforderung stellt allerdings für alle Befragten in diesem Zusammenhang die Einhaltung der DSGVO dar.
Gastronomie – anders anspruchsvoll
Die gastronomischen Erlöse stellen einen wichtigen Bestandteil des wirtschaftlichen Erfolgs im Veranstaltungshaus dar. So erwarten die Teilnehmenden zumindest temporär,
– dass die Büffets verschwinden werden resp. kein Selbstschöpfen möglich sein wird,
– dass das Essen exklusiver und teurer wird,
– dass mehr Bedienungspersonal benötigt wird und
– dass vorgefertigte Essepakete (bspw. ein Brown-Bag-Service) eingesetzt werden.
Im Vergleich zu 2020 sind die Befragten allerdings etwas optimistischer und gehen von einer größeren Anerkennung bei den Kunden für die erbrachten gastronomischen Leistungen aus.
Hygiene – mehr sollte nicht mehr kosten
Die Hygiene Maßnahmen kosten Geld. Nach Einschätzung der Befragten sind aber die Kunden der Tagungshäuser nur bedingt bereit den damit verbundenen Mehr -und Kostenaufwand adäquat zu bezahlen. Diese Ergebnisse sind fast deckungsgleich mit denen des Vorjahres. Die Hygiene wird auch Auswirkungen auf die Größe der Tagungsstätte haben. Generell gilt: eine Tagungsstätte benötigt für jeden Teilnehmer das Dreifache an Raum:
– einen Sitzplatz im Plenarsaal (Reihenbestuhlung),
– einen Sitzplatz in einem Workshop-Raum und
– eine Fläche in den Break-out-Räumen (für Empfang, Pause mit u.U. Bewirtung, begleitende Ausstellungen, Ausklang der Veranstaltung).
Es könnte sein, dass nach den Covid19-Erfahrungen die DIN-Norm 15906 dem neuen Bedürfnis nach Raumfläche angepasst werden wird/muss. Die Tagungsstätten, die schon heute großzügig mit wichtiger werdenden Foyerflächen ausgestattet sind, werden dies in ihrer Marketing- und Kommunikationsarbeit zu nutzen wissen.
Umsatzeinbußen
Die Umsatzeinbußen werden laut Einschätzung der Teilnehmenden auch im Jahr 2021 enorm hoch sein: knapp 85% der Befragten erwarten im Jahr 2021 nicht mehr als 70% des Umsatzes aus dem Jahr 2019. In den Jahren 2022 und 2023 erholt sich zwar der Veranstaltungsmarkt, aber noch nicht vollständig. Generell lässt sich aber sagen, dass die Befragten im Hinblick auf die zukünftige wirtschaftliche Lage ihrer Tagungsstätte positiv denken. Zwar rechnet kaum jemand damit, dass das wirtschaftliche Niveau des Rekordjahres 2019 schon bald erreicht wird; eine klare Tendenz zur Besserung sehen aber die meisten Befragten.
Positive Zukunft im Visier
„Wir werden eine Renaissance der physischen Begegnungen erleben.“, fasst ein Teilnehmer seine Erwartung für nach der Covid19-Pandemie zusammen. Erfreulich ist, dass die Befragten keinen großen Weggang von eigenen Mitarbeitern erwarten, genauso wie den Verlust von Kunden. Sie fürchten sich nicht um die Existenz des Veranstaltungshauses. Im Veranstaltungshaus muss das Dienstleistungsportfolio zwar nachhaltig angepasst werden, es wird aber auch angeführt, dass sich dadurch auch Chancen eröffnen, neue Kundengruppen zu gewinnen.
Erhebungsmodus
Die Daten der Studie 2021 wurden analog zu 2020 im Rahmen einer Online-Befragung erhoben. Insgesamt wurden die Mitglieder des degefest befragt, die als GeschäftsführerInnen, bzw. als MitarbeiterInnen in leitenden Funktionen in den Tagungshäusern Deutschlands aktiv sind. Im Februar 2021 wurde die Untersuchungsmethode (Verfeinerung der Online-Fragebögen, organisatorische Maßnahmen) ausgearbeitet, im März 2021 die Online-Befragung durchgeführt. Die Auswertung sowie die redaktionelle Aufarbeitung der Ergebnisse fand im Zeitraum April bis Mai 2021 statt.
Prof. Dr. Jerzy Jaworski, der die Studie „degefest TrendAnalyse – Restart 2021/22: Durchstarten nach der Krise“ erstellt hat, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des degefest und vertritt seit 1990 an der Hochschule Heilbronn die Bereiche MICE Industrie und den damit verbundenen Geschäftstourismus in Forschung und Lehre.
Die Studie steht degefest-Mitgliedern kostenlos zur Verfügung und wird durch die Geschäftsstelle verschickt. Weitere Interessierte können die Studie per Mail unter info@degefest.de anfragen.
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