Schindler aus dem wirtschaftlichen und politischen Umfeld des brandenburgisch-preußischen Hofes geschaffen. Beide Kapellen galten bis zur Zerstörung der Nikolaikirche 1945 als bedeutendste Schöpfungen der Grabmalkunst in der Mark Brandenburg, und beide vermitteln auf unterschiedliche Weise heute wieder einen lebendigen Eindruck jener barocken Raumkunst, wie sie im nahegelegenen Berliner Schloss durch Krieg und Sprengung verloren gegangen ist.
Neuinszenierung aus historischen Skulptur-Fragmenten in der Kapelle Schindler
Die architektonisch aufwändige Schindler-Kapelle stand seit dem Wiederaufbau der Nikolaikirche leer, ihre bedeutenden Skulpturen galten als unwiederbringlich zerstört. Dennoch wurde 2016 unter Beteiligung verschiedenster Fachleute eine Konzeption erarbeitet, wie mit den nur unvollständig erhaltenen, aber qualitativ hochwertigen Skulpturenfragmenten umgegangen werden könnte. Dabei orientierte man sich an früheren Restaurierungs- und Rekonstruktionsprojekten in der Nikolaikirche, die neben denkmalfachlichen- auch museumsdidaktische Aspekte berücksichtigt und damit eigene Wege des Umgangs mit dem Fragment beschritten haben.
Der Wiederaufbau der Schindler-Kapelle wurde unter Projektleitung und mit Mitteln der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen geplant und fertiggestellt. Für das vom Berliner Landesdenkmalamt denkmalfachlich begleitete Konzept wurde von Eckhardt Böhm und Gunilla Mihan (BMP Konservierung und Restaurierung GmbH) die Fachplanung erstellt und die Ausschreibung der Restaurierungsleistungen vorbereitet. Mit der Umsetzung wurden die Diplom-Restauratoren Manfred Sährig und Thomas Schubert beauftragt.
Bemerkenswert ist, dass die Planungen von vorneherein Momente vorsahen, an denen auf Basis der bis dahin erzielten Ergebnisse auch alternative Varianten des weiteren Vorgehens diskutiert und beschlossen werden konnten. Die außerordentlich gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten ermöglichte, dass sich das Projekt dynamisch auf das heutige, höchst überzeugende Ergebnis hin entwickeln konnte. An dieser Stelle wird dankend die Bereitschaft der zuständigen Mitarbeiter:innen der Senatsverwaltung hervorgehoben, die diese Dynamik ermöglicht zu haben.
Senatsbaudirektorin Regula Lüscher: „Es ist etwas ganz Besonderes, einem leeren Kapellenraum einer Kirche seine Gestaltung wiederzugeben. Mit der Wiederzusammensetzung der nun restaurierten und konservierten 240 Fragmente in der Schindlerkapelle ist das beeindruckend gelungen. Ich freue mich, dass unsere Stadt ein sepulkrales, historisches Gesamtkunstwerk zurückbekommen hat und dass meine Verwaltung dazu beitragen konnte.“
Die Wirkung der künstlerisch großartigen Skulptur des auferstandenen Jesus Christus, der sich über der bühnenartigen Grabarchitektur aus Buntkalkstein erhebt und von einer Gloriole aus Wolken und hervorbrechenden Sonnenstrahlen umgeben ist, wird heute wieder durch die Einbeziehung des tageszeitlich wechselnden Sonnenstandes unterstrichen. Wie zu Glumes Zeiten taucht die farbige Verglasung der Fenster die Auferstehungs-Szene im Zentrum der Kapelle in warme Gelb- und von den Seiten her in kühle Blautöne. Dieses „barocke Lichttheater" verleiht der Szene einen zusätzlich theatralisch-changierenden Gestus. Die Köpfe der beiden Engel wurden in den 1970er Jahren abgeschlagen und gestohlen (wie Fotos von 1969 beweisen). Vielleicht lassen sie sich an einem bis dato noch unbekannten öffentlichen oder privaten Ort wieder auffinden.
Wechselnde Interpretationen zeitgenössischer Kunst in der Kapelle Kraut
Beim Wiederaufbau der Nikolaikirche wurden zwar die Skulpturen sowie Teile der
Raumdekoration der ebenfalls von Johann Georg Glume geschaffenen Kapelle Kraut weitgehend restauriert und rekonstruiert, nicht jedoch die zerstörten Decken- und Wandmalereien. Dadurch war seit dem Verlust einer Auferstehungsszene als dem zentralen Gemälde nicht nur ein bedeutsamer Bestandteil des Raumkunstwerks verloren, sondern das ikonografische Gesamtprogramm Glumes nicht mehr nachvollziehbar. Nachdem die Kapelle im Auftrag und aus Mitteln der Berliner Immobilien Management GmbH (BIM) baulich saniert und neu ausgemalt werden konnte, fiel der Verlust des Gemäldes noch deutlicher ins Gewicht. Um diese Leerstelle zu füllen und neue Sichtweisen auf ein wesentliches Thema der lutherischen Memorialkunst zu geben, ist das Projekt KUNSTRAUM KRAUT entstanden: Zeitgenössische Künstler:innen unterschiedlicher künstlerischer Sprachen und weltanschaulicher Herkünfte wurden eingeladen, sich der Auferstehungs-lkonographie in direkter Interaktion mit dem barocken Raum- und Bildprogramm der Kraut-Kapelle zu nähern. Folgende Teilnehmer:innen wurden dafür gewonnen (einzeln oder im Kollektiv): Sabine Herrmann, Christa Jeitner, Klaus Killisch, Doris Leue, Nikolai Makarov, Markus Rheinfurth, Hans Scheib, Johanna Staniczek, Robert Weber
„So, wie jede Restaurierung – gleich ob sie puristisch konservierend angelegt ist oder ergänzende Zutaten zulässt – eine Interpretation des zu restaurierenden Werkes einschließt, die vom jeweiligen Zeitgeist bestimmt ist, so ist auch Denkmalpflege mehr als das Befolgen eines statischen Regelwerks. Für meine Sicht kann Restaurierung und Denkmalpflege daher auch beinhalten, Fehlstellen oder Alterungsmerkmale von Kunstwerken zu respektieren und gleichzeitig die ihnen vormals zugedachten Aussagen lebendig werden zu lassen, ihnen gleichsam ihre verlorene Sprache zurückzugeben oder diese Sprache ins Heutige zu übersetzen”, so Albrecht Henkys, Kurator des Museums Nikolaikirche und Initiator beider Kapellen-Projekte.
Ab 5. Juni 2021 ist die erste künstlerische Auferstehungs-Interpretation des Projekts KUNSTRAUM KRAUT in der barocken Grabkapelle zu entdecken. Nacheinander werden für jeweils ca. acht Wochen die Arbeiten der beteiligten Künstler:innen zu sehen sein. Zugrunde liegt dem Projekt die Fragestellung, wie wir heute mit den Leerstellen zerstörter Kunstwerke und Kulturgüter umgehen wollen. Es soll einen Denkraum eröffnen, den Diskurs über experimentelle Wege in der Denkmalpflege zu fördern und dabei auch Angebote machen, die historischen Kunstwerke neu lesbar werden zu lassen. Gestartet wird mit dem Gemälde „Eine Auferstehung“, das in Zusammenarbeit zwischen den Künstlern Hans Scheib und Robert Weber entstanden ist.
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