Carola Lentz, Präsidentin des Goethe-Instituts, betont: „Der internationale Kulturaustausch steht in Zeiten der Pandemie vor besonderen Herausforderungen. Die digitale Kommunikation bietet neue Chancen, doch zugleich vertiefen sich bestehende Ungleichheiten, etwa bei der Teilhabe an Kultur und Bildung oder der Geschlechtergerechtigkeit. Das Erbe kolonialer Machtverhältnisse und die Einschränkungen der Freiheit in illiberalen postkolonialen Regimen werden noch spürbarer als sonst. Die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger scheuen diese Herausforderungen nicht. Mit ihrem kulturellen und zivilgesellschaftlichen Engagement in drei sehr unterschiedlichen Ländern gehen sie mutig voran und setzen sich auf künstlerische Weise für eine offene, demokratische und gleichberechtigte Gesellschaft ein – auch über Ländergrenzen hinweg.“
Das Thema der diesjährigen Preisvergabe lautet: „Kultur ist ein besonderer Saft – im Netz der globalen Gemeinschaft“. Dazu sagt Christina von Braun, Vizepräsidentin des Goethe-Instituts und Vorsitzende der Kommission zur Verleihung der Goethe-Medaille: „Für Goethe waren Blut und Tinte ununterscheidbare Stoffe: Der Kreislauf dieser beiden ‚Säfte‘ ermöglicht Leben und Zusammenleben. Die diesjährigen Preisträger*innen der Goethe-Medaille repräsentieren das Bild in hervorragender Weise. Ihre Kunst verbindet die Kulturen, In- und Ausland, die Geschlechter, Vergangenheit und Zukunft.“
Die Preisträger*innen der Goethe-Medaille 2021 können aufgrund der pandemiebedingten Beschränkungen nicht gemeinsam nach Deutschland kommen. Daher wird die Verleihung als digitaler Festakt am 28. August ab 11 Uhr auf den Kanälen des Goethe-Instituts live ausgestrahlt. Dort würdigen unter anderem drei in Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle entstandene Filmporträts das Schaffen und Wirken der diesjährigen Preisträger*innen. Zusätzlich wird der digitale Festakt beim Kunstfest Weimar gezeigt und durch ein Rahmenprogramm zur Goethe-Medaille ergänzt. Um die persönliche Kontaktaufnahme mit den Preisträger*innen zu ermöglichen, bietet das Goethe-Institut digitale Pressegespräche an, deren Termine noch bekannt gegeben werden.
Die Begründung der Preisvergabe
Princess Marilyn Douala Manga Bell engagiert sich eindrücklich für die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte in Kamerun und für den gesellschaftlichen Dialog über die Auswirkungen des Kolonialismus bis in die heutige Zeit. Vor allem in der Bildenden Kunst sowie der breiten Anregung zur künstlerischen Tätigkeit sieht sie das Potenzial, sozialen Wandel anzustoßen und die freie Meinungsäußerung zu stärken. Dafür steht auch das von ihr mitbegründete zeitgenössische Kulturzentrum doual’art in der kamerunischen Hafenstadt Douala. Die Jury unterstreicht: „Marilyn Douala Manga Bell verbindet in herausragender Weise zivilgesellschaftliches Engagement mit internationalem kulturellem Schaffen und nimmt eine versöhnende und zukunftsweisende Position zu gesellschaftlichen Konflikten und historisch begründeten Problemen ein. Sie entwickelt viel beachtete Ideen zur Aufarbeitung kolonialen Unrechts sowie zur Festigung der eigenen kamerunischen Identität.“
Toshio Hosokawa ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Komponisten aus Japan und ein herausragender Vertreter der deutsch-japanischen Kulturbeziehungen. Sein Werk umfasst Opern, Orchester- und Solo-Werke, Kammer- und Filmmusik sowie Arbeiten für traditionelle japanische Instrumente. Seine Musiksprache greift die zen-buddhistische symbolhafte Deutung der Natur ebenso auf wie das Spannungsverhältnis zwischen westlicher Avantgarde und traditioneller japanischer Kultur. Seine 2018 in Stuttgart uraufgeführte Oper „Erdbeben. Träume“ etwa entstand nach einem Libretto des Schriftstellers Marcel Beyer und in Anlehnung an Heinrich von Kleists „Erdbeben in Chili“. „Mit seinen Kompositionen öffnet Hosokawa Räume und verbindet Menschen in der ganzen Welt. Der besondere Klang seiner Musik transzendiert und macht den Konzertsaal zu einem Ort globaler Begegnung“, so die Jury. „Dabei gelingt ihm, unter Wahrung der eigenen Traditionen, kulturspezifische Hörweisen von Musik zu einem außergewöhnlichen Klangkunstwerk zu verbinden.“
Wen Hui gehört zur Avantgarde des Tanztheaters in China und ist Mitbegründerin des Living Dance Studio, der ersten unabhängigen Tanztheatergruppe des Landes. In ihre Choreografien bezieht sie Elemente des Dokumentarfilms und Themen aus der chinesischen Alltagswelt ein. Besonders beschäftigt sie dabei, welche Spuren Geschichte auf den menschlichen Körpern hinterlässt und diese zu „reflektierenden Archiven“ macht. In ihren Arbeiten „Report on Giving Birth“ und „Red“ wurde das persönliche Körpergedächtnis als Archiv genutzt, das die Zeit überspannt und von der Geschichte zeugt. Die Ursprünge ihrer Arbeiten sind zumeist lokal verortet, die Formen der tänzerischen Umsetzung inspiriert von Ideen aus aller Welt. „Wen Hui steht für die unabhängige und von großer Kreativität geprägte freie Kunstszene in China, die die kulturelle Vielfalt und das breite Spektrum alltäglicher Geschichten jenseits offizieller Narrative verkörpert“, urteilt die Jury. „Durch ihre sensiblen, genau beobachteten Tanztheaterstücke, die kongenial verschiedene Medien, dokumentarische Elemente und poetische Kraft verknüpfen, erzählt sie ‚ihre‘ Geschichten aus China.“
Über die Preisträger*innen
Princess Marilyn Douala Manga Bell wurde 1957 in Kamerun geboren. Ein Ziel ihres Schaffens ist die Würdigung der historischen Rolle ihres Urgroßvaters Rudolf Manga Bell (1873-1914), dem Anführer einer wichtigen Widerstandsbewegung gegen die deutsche Kolonialmacht. Damit will sie unter anderem zur erinnerungspolitischen Diskussion in Kamerun beitragen. In Paris studierte sie Entwicklungsökonomie, seit 1994 ist sie als Entwicklungsexpertin tätig, u.a. für die Weltbank und die Europäische Kommission. Sie ist Mitbegründerin des 1991 eröffneten Contemporary Art Center doual’art in Douala und setzt sich für die Zukunft afrikanischer Museen und die Restitution kultureller Artefakte aus kolonialen Kontexten ein. So nahm sie 2016 an der Konferenz des Goethe-Instituts Johannesburg zur Konzeption des Humboldt Forums aus Sicht afrikanischer Expert*innen teil. 2019 war sie Ko-Kuratorin des Projekts „Burden of Memory“ des Goethe-Instituts Yaoundé, das künstlerische Auseinandersetzungen mit der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika aus verschiedenen afrikanischen Ländern zusammenbrachte. Zu ihren jüngsten Initiativen gehört das Ausstellungsprojekt „Kamerunstaat“, das mit einem pädagogischen Begleitprogramm durch Schulen in Kamerun tourt. Außerdem kuratierte sie im Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) in Hamburg die im April eröffnete Ausstellung „Hey Hamburg. Kennst Du Rudolf Manga Bell?“ (Laufzeit bis 31. Dezember 2022). Princess Marilyn Douala Manga Bell lebt in Douala.
Toshio Hosokawa, 1955 in Hiroshima geboren, kam 1976 nach Deutschland, wo er unter anderem bei Isang Yun und Klaus Huber Komposition studierte. Sein Ansehen in der internationalen zeitgenössischen Musikszene wuchs rasch, und er erhielt zahlreiche Kompositionsaufträge. Durchschlagenden Erfolg erzielte er 2001 mit der Uraufführung des Oratoriums „Voiceless Voice in Hiroshima“. Es folgten eine Reihe großer Orchesterwerke, darunter „Circulating Ocean“ (Wiener Philharmoniker, Salzburger Festspiele 2005) und „Woven Dreams“ (Cleveland Orchestra, Lucerne Festival 2010). 2013 war Toshio Hosokawa mit der Uraufführung von „Klage“ für Sopran und Orchester nach einem Text von Georg Trakl in Salzburg zu Gast. In loser Folge komponiert er zudem die Werkreihe „Voyages“ für Soloinstrument und Ensemble. „Voyage X“ besticht dadurch, dass er die japanische Bambusflöte Shakuhachi mit westlichen Instrumenten kombiniert. Toshio Hosokawa ist seit 2001 künstlerischer Leiter des Takefu International Music Festival in Fukui und seit 2004 Gastprofessor des Tokyo College of Music. Zu seinen jüngsten Arbeiten gehört das Violinkonzert „Genesis“, welches das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter Kent Nagano im Mai 2021 in der Elbphilharmonie zur Uraufführung brachte. Toshio Hosokawa erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den ersten Preis des Kompositionswettbewerbs anlässlich des 100. Geburtstags der Berliner Philharmoniker, den Kompositionspreis der jungen Generation in Europa, den Kyoto Musikpreis und den Rheingau Musikpreis. Toshio Hosokawa lebt in Yokohama.
Wen Hui, geboren 1960 in Yunnan, ist eine Tänzerin, Choreografin, Dokumentarfilmerin und Installationskünstlerin aus China. Ursprünglich ausgebildet als Volkstänzerin, besuchte sie von 1985 bis 1989 die Abteilung für Choreografie der Pekinger Tanzakademie und war dann Choreografin im Orientalischen Lied- und Tanzensemble Chinas (Dongfang gewutuan). In den 90er Jahren studierte sie modernen Tanz in den USA und Europa, darunter auch an der Folkwang-Hochschule Essen und bei der Tanzkompanie von Pina Bausch in Wuppertal. 1994 gründete Wen Hui gemeinsam mit dem Filmemacher Wu Wenguang Chinas erste unabhängige Tanztheatergruppe, das Living Dance Studio. Tanztheater ist ihr Mittel, gesellschaftlich zu intervenieren. In „Report on Giving Birth“ (1999) wird der Körper als Strategie des Widerstands genutzt, um die Komplexität des Frauseins im kulturellen und alltäglichen Kontext der Zeit darzustellen. Mit „Report on Body“ (2004) gewann sie mit ihrem Team den ZKB-Preis des Zürcher Theater Spektakels. Mit Unterstützung des Goethe-Instituts produzierte das Living Dance Studio 2013 das Stück „Red“, eine Reflexion über die Modelloper als politisches Kultursymbol und Teil des kollektiven Bewusstseins während der chinesischen Kulturrevolution. Wen Hui nahm an zahlreichen unabhängigen chinesischen und internationalen Festivals teil. Ihre Arbeiten werden an Theaterhäusern, Museen und in Kunstzentren gezeigt. Derzeit arbeitet sie an „I am Sixty“, das im Herbst 2021 uraufgeführt wird. Wen Hui lebt in Peking.
Der digitale Festakt zur Verleihung der Goethe-Medaille 2021 wird in Kooperation mit der Deutschen Welle durchgeführt. Das Rahmenprogramm zur Goethe-Medaille in Weimar ist in Zusammenarbeit mit dem Kunstfest Weimar entstanden. Mit freundlicher Unterstützung durch die Klassik Stiftung Weimar.
Informationen zur Goethe-Medaille und eine Übersicht über die bisherigen Preisträger*innen: www.goethe.de/goethe-medaille
Über die Goethe-Medaille
Die Goethe-Medaille wurde 1954 vom Vorstand des Goethe-Instituts gestiftet und 1975 von der Bundesrepublik Deutschland als offizielles Ehrenzeichen anerkannt. Die Verleihung findet am 28. August, dem Geburtstag Goethes statt. Seit der ersten Verleihung 1955 sind insgesamt 357 Persönlichkeiten aus 70 Ländern geehrt worden, darunter Daniel Barenboim, Pierre Bourdieu, David Cornwell alias John le Carré, Sir Ernst Gombrich, Lars Gustafsson, Ágnes Heller, Petros Markaris, Sir Karl Raimund Popper, Jorge Semprún, Shirin Neshat, Robert Wilson, Neil MacGregor, Helen Wolff, Juri Andruchowytsch, Irina Scherbakowa oder Ian McEwan.
Die Kommission der Goethe-Medaille
Dr. Franziska Augstein (Journalistin, Süddeutsche Zeitung), Prof. Dr. Christina von Braun (Vorsitzende und Vertretung des Präsidiums, Kulturwissenschaftlerin, Humboldt-Universität zu Berlin), Dr. Meret Forster (Redaktionsleiterin Musik, BR-Klassik), Olga Grjasnowa (Schriftstellerin), Matthias Lilienthal (Dramaturg und Intendant), Moritz Müller-Wirth (Journalist, Die Zeit), Cristina Nord (Berlinale Forum, Sektionsleiterin Berlin), Insa Wilke (Literaturkritikerin); in Vertretung des Auswärtigen Amtes: MinDirig Dr. Andreas Görgen (Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation, Auswärtiges Amt); in Vertretung des Goethe-Instituts: Prof. Dr. Carola Lentz (Präsidentin des Goethe-Instituts), Johannes Ebert (Generalsekretär des Goethe-Instituts)
Goethe-Institut e. V.
Oskar-von-Miller-Ring 18
80333 München
Telefon: +49 (89) 15921-0
Telefax: +49 (89) 15921-450
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