Ein Unfall in der Glogauer Straße weckte Tju-Han Siems Engagement. Der Berufskraftfahrer musste miterleben, wie ein rücksichtsloser Kfz-Fahrer mit Tempo 70 über die Brücke raste und eine Fußgängerin überfuhr und verletzte. „Ich hatte den Ort vorher nie als Unfallschwerpunkt wahrgenommen“, erklärt Siem, der schon lange im Reichenberger Kiez wohnt. „Wir müssen diesem durch das Gaspedal vermittelten Freiheitsgefühl etwas entgegensetzen.“ Durch Tempo 20 in den Nebenstraßen und Fernhalten des Durchgangsverkehrs will er die Sicherheit im Wohnkiez verbessern. Aber auch ein wechselseitiger Entscheidungsprozess ist ihm wichtig: „Mit einem Bürger*innengutachten wollen wir sichergehen, dass die Wünsche der Anwohner*innen gehört und berücksichtigt werden“, sagt Siem.
Genau dieser Aspekt der Bürger*innenbeteiligung war für Corinna Bobzien der Anstoß, sich zu engagieren. An einem schönen Sommertag traf sie beim Spazieren am Kanalufer auf eine offene Versammlung von Anwohner*innen. Spontan kam Bobzien mit Menschen ins Gespräch darüber, wie man den Reichenberger Kiez lebenswerter gestalten kann. „Das hat mich sehr beeindruckt. Das war so eine überzeugende Art von Verbindlichkeit. Schnell wurden kleine Arbeitsgruppen gebildet, und nach einer halben Stunden waren Telefonnummern ausgetauscht und Aufgaben verteilt“, beschreibt sie ihre erste Begegnung mit lokalem Aktivismus.
Unter anderem auf sonntäglichen temporären Spielstraßen sammelten die beiden Unterschriften für den Anwohner*innenantrag für einen Kiezblock. Meistens trafen sie auf Zustimmung. Aber natürlich gab es auch Menschen, die nur die Nachteile einer Verkehrsberuhigung sehen. „Für manche Menschen ist das Auto gleichzeitig eine Lebens- und Mobilitätsidentität. Einige werden sogar aggressiv und drohen mit einem Anwalt, wenn man sie nur freundlich bittet, woanders zu parken. Viele haben richtig Schiss“, berichtet Siem. „Es ist aber dennoch wichtig, alle mitzunehmen,“ ergänzt Bobzien.
Beide wussten vorher wenig darüber, wie man Menschen begeistern kann. Auch hatten sie kaum Erfahrung im Umgang mit Behörden. „Am Anfang hofft man einfach, dass man die richtige Stelle anschreibt“, erzählt Siem. Mit den Jahren haben Bobzien und er aber viel dazugelernt und sind jetzt Teil der berlinweiten #Kiezblock-Bewegung. So wie Siem und Bobzien arbeiten mittlerweile über 50 Initiativen in Berlin daran, ihre Kieze lebenswerter zu gestalten – Tendenz steigend.
Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.
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