Die aktuellen Hackathons unter der Schirmherrschaft des Bundeskanzleramts suchen nach digitalen Innovationen, um eine Vielzahl gesellschaftlicher Probleme anzugehen. Doch dieser Ansatz kann nicht funktionieren, denn entweder sind die Probleme („Einsamkeit“, „soziale Ungleichheit“) überhaupt nicht sinnvoll mit Software lösbar oder aber die Lösungen können erfahrungsgemäß wegen kaputtgesparter Verwaltungen gar nicht langfristig in staatliche Strukturen eingebunden werden. Hier braucht es politisches Handeln, keine neuen Apps.
Öffentliche Verwaltungen sind aktuell starr und nur noch beschränkt handlungsfähig, weil seit den 1990er-Jahren kontinuierlich am falschen Ende gespart wurde. So ist etwa auch Fachwissen für IT-Ausschreibungen kaum mehr vorhanden, sondern muss extern eingekauft werden. Dabei sind viele nötige Innovationen bereits vorhanden. *Die Civic-Tech-Bewegung legt seit über zehn Jahren konkrete Beispiele vor, wie digitale Lösungen für mehr Transparenz und Beteiligung aussehen können:* kleineanfragen <https://kleineanfragen.de>, BürgerBautStadt <https://blog.buergerbautstadt.de>, Politik bei Uns <https://politik-bei-uns.de>oder Meine Stadt Transparent <https://codefor.de/projekte/meine-stadt-transparent> bis hin zum daraus entstandenen Ratsinformationssystem-Datenstandard OParl <https://oparl.org>.
*Leuchttürme auf sandigem Grund*
Es mangelt also nicht an Ideen oder technischen Prototypen, sondern an der Infrastruktur zur Verstetigung. Dazu müssen öffentliche Stellen befähigt werden, die Impulse der Zivilgesellschaft aufzugreifen – durch die Bereitstellung entsprechender Schnittstellen, den eigenständigen Aufbau und Betrieb digitaler Services oder die aktive Mitarbeit an bestehenden Open-Source-Projekten. Dabei helfen Hackathons, wie sie aktuell auf bundesweiter Ebene stiftungsfinanziert ausgerichtet werden, nicht.
Ganz im Gegenteil: Durch gezielte Förderung von Inselprojekten, die Suche nach immer neuen Startups und Leuchtturmprojekten anstelle des langfristigen Ausbaus eigener Kompetenzen zielt diese Art von Hackathons auf die Privatisierung von Verwaltungsleistungen ab. „/Die Infrastruktur der öffentlichen Hand muss sich an den Bedürfnisse der Menschen ausrichten*.* Das heißt, dass die Verwaltung auf die Bürger*innen zugehen, ihnen zuhören und auf ihre Bedürfnisse eingehen muss. *Digitale Infrastruktur muss als Daseinsvorsorge verstanden werden*/“, fasst Lilith Wittmann, Mitglied der AG Onlinezugangsgesetz von Code for Germany, zusammen.
Kompetenz in der öffentlichen Verwaltung aufbauen
Es fehlt der Austausch, um bestehende Systeme, bereits gewonnene Erkenntnisse sowie tatsächliche Probleme, Bruchstellen und Lücken zu identifizieren. Damit ignorieren die Organisator*innen von Hackathons auch strukturelle Probleme der Verwaltungsdigitalisierung. Insbesondere viele junge Menschen, die sich gerne für eine gute Sache mit ihrem Wissen engagieren möchten, werden so mit falschen Versprechen gelockt und sollen nun die „großen Herausforderungen unserer Gesellschaft im Alltag“ angehen. Das birgt das Potenzial, dass viele in der Umsetzungsphase gegen die ihnen bis dato unbekannten strukturellen Mauern rennen, für deren Abbau nach wie vor kein Plan existiert. *Die Organisator*innen nehmen damit billigend in Kauf, dass Menschen für ihre hohen Ziele ausbrennen*. Das ist schlichtweg verantwortungslos.
*Wir fordern deshalb, Kompetenzen und Ressourcen in der öffentlichen Verwaltung aufzubauen, statt Wissen an Dienstleistungs- und Beratungsfirmen zu externalisieren.* „/Die Verwaltung muss in die Lage versetzt werden, tatsächlich Kompetenzen und Infrastruktur aufzubauen, sodass Verwaltungen sich selbst ganz ohne Consultants mutig entwickeln können. Das wäre wirkliche Souveränität und echte, tief greifende Umsetzung von Innovation/“, so Rainer Rehak vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung.
*Mehr echte Beteiligung, weniger Simulation*
Ausgehend von der Freien-Software-Bewegung sind Hackathons ein Werkzeug zu Selbstermächtigung und Selbstwirksamkeit – aktuell finden sie allerdings in einem politischen Top-Down-Kontext statt, in dem sie nach Produktivität und Nützlichkeit bewertet werden. Echte Beteiligung, die tatsächliche gesellschaftliche Probleme angeht, findet gar nicht statt, denn die Zugangshürden sind zu hoch. Menschen mit geringer Bildung, aus prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen oder mit schlechtem Internetzugang werden systematisch ausgeschlossen. Prinzipiell wird so nur ein kleiner Kreis von Menschen repräsentiert, angesprochen und gehört. Umso gefährlicher ist es, dass die Organisator*innen #UpdateDeutschland als unpolitisch betrachten. *Die eingereichten Herausforderungen sind vor allem gesellschaftliche und keine technischen Probleme – sie gehören in Stadträte oder an Orte, an denen wirklich die komplette Gesellschaft repräsentiert ist.*
Angeblich sollen die bundesweit von oben herab organisierten Hackathons auch die Civic-Tech-Szene vernetzen, allerdings ohne dass die Organisator:innen selbst in dieser Szene vernetzt wären oder den Kontakt mit den existierenden Strukturen vor Ort gesucht hätten. Tatsächlich ist es auch für die Akteur*innen aus der Civic-Tech-Szene nicht sinnvoll, an einem solchen Hackathon teilzunehmen. Der Versuch, die eigenen Ziele prominenter zu platzieren, ist zwischen Hype-Themen wie Blockchain oder Flugtaxis zum Scheitern verurteilt und verleiht solchen Scheinlösungen auch noch Legitimität.
*Wir fordern deshalb, Hackathons partizipativ und verantwortungsvoll zu gestalten.* „/Dafür müssen sich allerdings Beteiligte aus Zivilgesellschaft und Verwaltung auf Augenhöhe austauschen und nicht im Rahmen von Top-Down-Hackathons, in der die öffentliche Hand huldvoll Challenges ausruft, auf dass die Zivilgesellschaft sich drauf stürze und artig das Stöckchen hole/“, sagt Stefan Kaufmann vom Verschwörhaus Ulm.
*Letztlich liegt es in der Hand der Verwaltung, sich selbst zu erneuern. Dafür braucht sie jedoch dringend die nötigen Ressourcen: Zeit, Geld und kluge Köpfe.*
Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V. ist ein deutschlandweiter Zusammenschluss von Menschen, die sich kritisch mit Auswirkungen des Einsatzes der Informatik und Informationstechnik auf die Gesellschaft auseinandersetzen. Unsere Mitglieder arbeiten überwiegend in informatiknahen Berufen, vom IT-Systemelektroniker bis hin zur Professorin für Theoretische Informatik. Das FIfF wirkt in vielen technischen und nichttechnischen Bereichen der Gesellschaft auf einen gesellschaftlich reflektierten Einsatz von informationstechnischen Systemen zum Wohle der Gesellschaft hin. Zu unseren Aufgaben zählen wir Öffentlichkeitsarbeit sowie Beratung und das Erarbeiten fachlicher Studien. Zudem gibt das FIfF vierteljährlich die "FifF-Kommunikation – Zeitschrift für Informatik und Gesellschaft" heraus und arbeitet mit anderen Friedens- sowie Bürgerrechtsorganisationen zusammen …
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