Zwang zu mehr Wachstum: Muss der Tourismus dem ökonomischen Trend folgen?
Wirtschaftswachstum ist ein fester Bestandteil der modernen Weltwirtschaft und ist vor allem dann wichtig, wenn Güter, Dienstleistungen und gewisse Wirtschaftszweige zu einem Anstieg des Lebensstandards beitragen. „Mehr Wachstum führt zu mehr Investitionen, bei weniger Wachstum gerät die Wirtschaft in eine Abwärtsspirale“, so Prof. Dr. Mathias Binswanger, Privatdozent an der Universität St. Gallen und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten. „Wir stellen jedoch fest, dass das Wachstum zu ‚Kollateralschäden‘ in der Gesellschaft führt. Dann kann man dieses Wachstum natürlich in Frage stellen. Dennoch wird das Wachstumsparadigma von Politik und Unternehmen als Zwang präsentiert“, kritisiert Binswanger. „Auch der Tourismus ist nach Corona eine Branche mit hohem Wachstumspotential – aber auch mit einem hohen Schadenspotential“, so Binswanger weiter. Aus Sicht des Ökonomen Binswanger wird sich der Tourismus vermutlich derart entwickeln, dass es weiterhin einen konventionellen Massentourismus geben wird, sich aber auch ein qualitativ hochstehender, ökologischer Tourismus als ein wachsendes Nischenprodukt entwickeln wird. (Der Vortrag ist hier abrufbar.)
Prof. Dr. Stefan Gössling, Professor für Tourismusforschung, Linnaeus University, Schweden, bewertet den von Binswanger thematisierten Wachstumszwang wie folgt: Nach seiner Ansicht „hat das Volumenwachstumsmodell ausgedient“. Der Tourismus der Zukunft ist geprägt von „Nachhaltigkeit“, „qualitativem Wachstum“ und „sozialer und ökologischer Verantwortung“. Der Tourismusexperte macht sich stark für die These, dass ewiges Wachstum nicht die Lösung aller Probleme ist. Gössling plädiert für eine Förderung der regionalen Ökonomie, eine Steigerung des qualitativen Wachstums und eine Reduzierung der CO2-Emissionen. (Der Vortrag ist hier abrufbar.)
Touristiker aus Bayern setzen auf Qualität statt Quantität
Die Praktiker auf dem Podium sind sich einig, dass langfristig die Fokussierung auf Qualität und Investitionen in die Qualität touristischer Produkte der Schlüssel zum Erfolg sind. Die Vertreter*in der bayerischen Hotellerie und des Städtetourismus Regensburg setzen auf Nachhaltigkeit und auf den Ausbau der Qualität in ihrer Destination und in der Hotellerie.
Johannes Lichtmannegger, Inhaber und Geschäftsführer des 4-Sterne Superior Berghotel Rehlegg in Ramsau im Berchtesgadener Land, ist großer Befürworter der Zusammenarbeit mit regionalen Dienstleistern. „Wir bieten unseren Gästen regionale Produkte an, legen sehr viel Wert auf Dienstleister aus der Region und erhalten eine große Wertschätzung von unseren Gästen für diese Praktiken“, so Lichtmannegger. Ramsau wurde vom Deutschen Alpenverein offiziell als erstes Bergsteigerdorf Bayerns ausgezeichnet – die Klassifizierung kennzeichnet das hohe Engagement unter anderem im Bereich Nachhaltigkeit und Naturschutz. Diese Werte verfolgt auch die örtliche Hotellerie und synchronisierte ihr Gästekonzept entsprechend.
„Nachhaltigkeit und Klimaschutz haben höchste Priorität“, stellt auch Andreas Eggensberger, Inhaber und Geschäftsführer des 4-Sterne-Biohotels Eggensberger am Hopfensee im Allgäu klar. Der Hotelier, der in der Nähe des Tourismusmagnets Schloss Neuschwanstein sein familiengeführtes Bio- und Wellnesshotel betreibt, fordert einen Stopp zur Erweiterung der Bettenkapazität in Füssen. Er sieht die Förderung von Qualitätstourismus und damit die Investition in hochwertige Angebote als Weg für ein qualitatives Wachstum. In Füssen engagieren sich deshalb Eggensberger und zahlreiche Beherbergungsbetriebe als „Schlafgastgeber“ – Unterkünfte, die sich auf gesunden Schlaf spezialisiert haben –, um das touristische Angebot konkret qualitativ zu verbessern.
Erfolgreicher Tourismus der Zukunft: Mit Sinn und Wertschätzung nachhaltig agieren
„Nach Corona wünschen sich die Menschen ein Reisen wie vor Corona zurück“, sagt Marek Andryszak, Geschäftsführer der TUI Deutschland GmbH. Eine Gratwanderung wird der Tourismus nach den intensiven Pandemiemonaten gehen müssen. Die Sehnsucht nach dem Reisen ist weiterhin groß, doch das Thema Nachhaltigkeit wird an Gewicht gewinnen. „Der lokale Tourismus wird in Zukunft genauso profitieren wie der nachhaltige Urlaub in Europa oder den ruhigen Inseln rund um die Welt“, meint Andryszak weiter. Ohne Wertschätzung könne es keine Wertschöpfung geben – die damit verbundene Einbindung aller Leistungsträger in die Gestaltung des touristischen Produktes und Erlebnisses sei von großer Relevanz.
„Wir müssen eine zielführende Balance zwischen allen Stakeholdern innerhalb einer Destination erreichen. Das bedeutet, dass wir neben allen Interessengruppen – wie Hotelbetrieben, Tourismusinstitutionen und zuliefernden Betrieben – die Bevölkerung sowie den Gast bei der Gestaltung des Produktes miteinbeziehen müssen“, stellt Sabine Thiele, Geschäftsführerin Regensburg Tourismus GmbH, klar. Regensburg als Städtereise-Destination müsste nach der Pandemie zunächst wieder quantitativ wachsen, langfristig sieht die Tourismusdirektorin der Welterbestadt die Chance eines erfolgreichen Städtetourismus einzig in der Förderung ganzheitlicher nachhaltiger Tourismuskonzepte.
Prof. Dr. h.c. Stephan Gerhard, Partner und Gründer der TREUGAST Solutions Group, sieht den Ursprung einer Erfolgsbilanz im Unternehmertum. „Wenn wir als Land wettbewerbsfähig sein und bleiben wollen, dann müssen wir wirtschaftlich denken. Unternehmertum, das dauerhaft einen hohen Qualitätsanspruch anstrebt und die regionalen Leistungsträger inkludiert, führt zwangsläufig zum Erfolg“.
Alle Teilnehmer der Diskussionsrunde waren sich einig, dass Wachstum mit Fokus auf Nachhaltigkeitsaspekte erfolgen sollte. Diesen Aspekt betont auch Dr. Ulrike Wolf, Ministerialdirektorin des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie und unterstreicht, dass der Tourismus in Bayern nachhaltig sein wird, wenn Bayern weiterhin auf Qualität setzt. „Eine logische Schlussfolgerung ist das Wachstum – dieses wird dann ganz von selbst kommen.“ Forschung und Politik müssen weiterhin partnerschaftlich zusammenarbeiten, um passende Konzepte für den Tourismus in Bayern voranzutreiben.
Der Tourismusdialog bildete den Auftakt der achtteiligen Dialogreihe des Bayerischen Zentrums für Tourismus. Am 22. April 2021 findet die Veranstaltung „Krisenresilienz im Tourismus“ statt.
Das Bayerische Zentrum für Tourismus (BZT) ist ein An-Institut der Hochschule Kempten. Es wurde im Zuge der neuen Tourismusinitiative des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie gegründet und versteht sich als ein unabhängiger wissenschaftlicher Thinktank. Neben relevanten Forschungsprojekten initiiert und moderiert das BZT den praxisrelevanten Austausch zwischen Wissenschaftlern, Politikern und den verschiedenen Akteuren der Tourismuswirtschaft. Dabei stehen die Vermittlung von Wissen, die Identifikation wichtiger Themen der bayerischen Tourismuswirtschaft, die Vernetzung der bayerischen Tourismusakteure und ein lösungsorientierter Diskurs zur Förderung, Optimierung und Weiterentwicklung der Leistungsfähigkeit des bayerischen Tourismus im Fokus. Ziel des BZT ist die Förderung von Tourismuswissenschaft und -forschung sowie die Intensivierung des interdisziplinären Wissens- und Erfahrungsaustauschs. https://bzt.bayern/
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