IfW-Konjunkturprognose: Industrie und Export stärken deutsche Wirtschaft

Trotz des fortwährenden Lockdowns und anziehender Infektionszahlen blickt das IfW Kiel optimistischer auf die deutsche Wirtschaftsentwicklung als noch im Winter. Grund ist die aufwärtsgerichtete Industriekonjunktur durch das gute Auslandsgeschäft. Mit zunehmendem Impfschutz schiebt eine kräftige Nachfrage der privaten Haushalte dann auch die Binnenwirtschaft an. Das IfW Kiel revidiert seine Konjunkturprognose nach oben und erwartet nun für 2021 einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts um 3,7 Prozent (bislang 3,1 Prozent) und für 2022 um 4,8 Prozent (4,5 Prozent). Die Weltkonjunktur wird auch von einer starken US-Wirtschaft beflügelt.

Die deutsche Wirtschaft dürfte insgesamt mit einem deutlichen Dämpfer in das Jahr gestartet sein. Für das erste Quartal erwartet das IfW Kiel einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,7 Prozent, weil das Geschäft in den konsumnahen Dienstleistungen durch die seit November anhaltenden Lockdown-Maßnahmen in weiten Teilen zum Erliegen kam. Dass der Rückgang nicht noch höher ausfällt, ist der Industriekonjunktur zu verdanken, die von der fortschreitenden Erholung der Weltwirtschaft profitiert.

„Die deutsche Konjunktur hat sich über das Winterhalbjahr deutlich gespreizt – während die Industrie weiter Boden gutmacht und auch durch die zweite Infektionswelle kaum aufgehalten wird, mussten kontaktintensive Dienstleister zurück in die Startlöcher“, sagte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths. „Die Industrie folgt dem V-förmigen Verlauf im Exportgeschäft, demgegenüber drückt die Pandemie der Konsumkonjunktur ein markantes W auf.“

Der Konjunkturprognose des IfW Kiel liegt die Erwartung zugrunde, dass aufgrund einer erfolgreichen Impfkampagne im Verlauf des Sommerhalbjahrs eine Erholung der Wirtschaft auf breiter Front einsetzt. Im zweiten und dritten Quartal dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit Raten zwischen 3 und 4 Prozent so kräftig anziehen, dass das Vorkrisenniveau schon vor dem Schlussquartal überschritten wird.

Dem abermals drastischen Einbruch des privaten Konsums im Winterhalbjahr stehen massive Aufholeffekte in der zweiten Jahreshälfte gegenüber. Insgesamt staut sich bei den privaten Haushalten während der Pandemie Kaufkraft in Höhe von 230 Milliarden Euro auf, forciert auch durch Maßnahmen wie ein erhöhtes Kurzarbeitergeld oder den Kinderbonus. Die Exporte sind bereits seit Mitte vergangenen Jahres ununterbrochen auf Expansionskurs und dürften dank einer sich weiter aufhellenden Weltkonjunktur in diesem Jahr kräftig um 12,8 Prozent zulegen, im kommenden Jahr um weitere 5,6 Prozent.

„Erneut zeigt sich die Bedeutung des internationalen Handels für den deutschen Wohlstand. Das Auslandsgeschäft verhindert gegenwärtig einen stärkeren Konjunktureinbruch und wird die Erholung im laufenden Jahr entscheidend mittragen. Handelsbeschränkungen seitens der EU, etwa gegenüber dem Export von Impfstoffen, verschlechtern die weltweite Güterversorgung und unterminieren das deutsche Geschäftsmodell“, sagte IfW-Präsident Gabriel Felbermayr.

Pandemie kostet 340 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung

Mit dem Überschreiten des Vorkrisenniveaus sind die Folgen der Pandemie noch längst nicht ausgestanden. So liegt die Wirtschaftsleistung zum Jahresende schätzungsweise 1,4 Prozent unter dem Niveau, das ohne die Pandemie zu erwarten gewesen wäre. Den pandemiebedingten Wertschöpfungsverlust veranschlagt das IfW Kiel für die Jahre 2020 bis 2022 auf 340 Milliarden Euro.

Die Arbeitslosigkeit bleibt vor allem dank des Instruments der Kurzarbeit mit Quoten von 5,9 Prozent (2021) und 5,3 Prozent (2022) vergleichsweise niedrig. Das Vorkrisenniveau der Beschäftigung dürfte im Lauf des Jahres 2022 erreicht werden.

Gegenwärtig liegt die Zahl der Erwerbstätigen noch immer eine Dreiviertelmillion (1,7 Prozent) unter dem Vorkrisenniveau. Das Arbeitsvolumen dürfte im ersten Quartal über 7 Prozent vom Vorkrisenniveau entfernt sein, wobei die Vorkrisenvergleiche am Arbeitsmarkt die Folgen der Corona-Krise angesichts der zuvor bestehenden Aufwärtstrends deutlich unterzeichnen. So wären ohne die Krise heute rund eine Million Stellen mehr zu verzeichnen.

Die Inflationsrate dürfte im laufenden Jahr deutlich auf 2,3 Prozent anziehen und zwischenzeitlich auch die 3-Prozent-Marke reißen. Dabei ist das Klimapaket der Bundesregierung für 0,4 Prozent der Steigerung verantwortlich, die Erhöhung der Mehrwertsteuer für 1,2 Prozent. 2022 dürfte die Teuerungsrate wieder auf unter 2 Prozent zurückgehen.

„Der Preisanstieg in diesem Jahr ist im Wesentlichen temporären Sonderfaktoren geschuldet und steht nicht für einen neuen Inflationstrend. Das Thema Inflation ist damit mittelfristig nicht vom Tisch, aber die Gründe dafür sind anderswo zu suchen, insbesondere im Zusammenspiel von hoher Staatsverschuldung, alternder Bevölkerung und einer ungezügelten Geldpolitik“, sagte Kooths.

Das Defizit in den öffentlichen Haushalten dürfte im laufenden Jahr mit 4,6 Prozent nochmals etwas höher ausfallen als im letzten Jahr (4,2 Prozent). Erst im kommenden Jahr sinkt es im Zuge der konjunkturellen Erholung und wegfallender pandemiebedingter Ausgaben auf 1,3 Prozent. Deutschlands Schuldenstand wird dann wieder knapp unter 70 Prozent liegen.

„Mit der Erholung entfällt zugleich jede Grundlage für Staatsausgaben auf Pump im großen Stil. Ein abermaliges Aussetzen der Schuldenbremse ist ökonomisch nicht zu begründen. Das strukturelle Defizit des Staates fällt im kommenden Jahr um 40 Milliarden Euro zu hoch aus. Die nächste Bundesregierung steht somit von Beginn an unter Konsolidierungsdruck, zumal von Jahr zu Jahr steigende Belastungen durch die demografische Alterung hinzukommen. Hierauf ist das Land unzureichend vorbereitet, die Verteilungskonflikte dürften sich daher in der nächsten Legislaturperiode erheblich verschärfen“, so Kooths.

Impulse von starker US-Wirtschaft

Die globale Wirtschaft wird nicht zuletzt von einer starken US-Wirtschaft angeschoben. Die Weltproduktion wird dieses Jahr voraussichtlich um 6,7 Prozent und im Jahr 2022 um 4,7 Prozent zulegen. Der internationale Warenhandel dürfte 2021 um 7,5 Prozent und im kommenden Jahr um 3,7 Prozent steigen. Damit wird er im kommenden Jahr sogar höher ausfallen als noch vor der Krise erwartet.

Im Euroraum dürfte das Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr um 4,8 Prozent zulegen und 2022 um 4,3 Prozent. Damit wird das Vorkrisenniveau wohl gegen Ende des laufenden Jahres überschritten. Aktuell liegt die Wirtschaftsleistung im Euroraum rund 5 Prozent unter ihrem Vorkrisenniveau. Mit den unterstellten Lockerungen ab Sommer sind besonders kräftige Zuwachsraten des Dienstleistungshandels, des privaten Konsums und der Ausrüstungsinvestitionen zu erwarten.

Die vollständigen Konjunkturberichte für Deutschland, den Euroraum und die Welt sind hier abrufbar:

– „Deutsche Wirtschaft: Erholung vor zweitem Anlauf“
 ̶  “Euroraum: Erholung in den Startlöchern” 
  ̶  „Weltwirtschaft: In der Erholung“

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