Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit

Die Aufarbeitung von Sammlungen aus kolonialen Kontexten stellt die Museen in Deutschland vor große Herausforderungen. Oft fehlt es an der finanziellen und personellen Ausstattung, um diese wichtige Aufgabe adäquat bewältigen zu können. Dank einer Förderung durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg in Höhe von 61.600 Euro sind die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim (rem) in der Lage, in den kommenden beiden Jahren Sammlungsobjekte aus Afrika zu digitalisieren und in einer Online-Datenbank öffentlich zu machen.

Unterstützt werden sie dabei von einem neuen Mitarbeiter aus Togo. Der 25-jährige Germanist und Kulturwissenschaftler konnte im Auswahlverfahren überzeugen und soll die Stelle in Mannheim zum 1. April 2021 antreten. Bereits während seines Studiums an der Universität von Lomé hat er sich intensiv mit den Themen Kolonialismus und Archivwesen auseinandergesetzt. Im ersten Jahr wird die Volontärsstelle vom Land finanziert, im zweiten von der Stadt Mannheim. Die Förderung des Landes umfasst darüber hinaus Sachmittel für die notwendige technische Ausrüstung zur digitalen Erfassung von Archivmaterialien und Objekten.

Im Fokus des Projekts stehen zwei Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen, die beide einen direkten Bezug zu ehemaligen deutschen Kolonialgebieten haben: Die Sammlung „Bumiller“, deren Objekte vorwiegend aus (Deutsch-)Ostafrika stammen, und die Sammlung „Thorbecke“, die im Wesentlichen in Kamerun (Deutsch-Westafrika) erworben wurde. Die Sammlungen wurden im späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhundert zusammengetragen und bieten in ihrer Geschlossenheit einen guten Ausgangspunkt für weitere Forschungen. Eine digitale Aufnahme der Sammlungsobjekte sowie aller damit in Verbindung zu bringenden Archivalien und Dokumente ist dringend geboten, insbesondere, da die Art der Erwerbung in vielen Fällen nicht belegt ist. Die Ergebnisse werden in der Deutschen Digitalen Bibliothek eingepflegt. Durch die Digitalisierung werden die ethnologischen Sammlungen der rem, die aktuell nicht ausgestellt werden, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Dies dient als Basis für vertiefende Forschungen im engen Austausch mit den jeweiligen Herkunftsgesellschaften, aber auch als wichtige Grundlage zum Thema Restitution.

Die Reiss-Engelhorn-Museen entsprechen damit der „3-Wege-Strategie“, auf die sich Vertreter von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden im Oktober 2020 im Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten verständigt haben. Durch eine Erfassung und digitale Veröffentlichung soll eine möglichst große Transparenz geschaffen und ein gleichberechtigter Dialog mit den Herkunftsgesellschaften angestoßen werden.  

www.rem-mannheim.de

Stimmen zur Förderung

Theresia Bauer, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst:

„Ich freue mich sehr, dass die Reiss-Engelhorn-Museen die Digitalisierung und Veröffentlichung ihrer Bestände auf Grundlage unserer Anschubfinanzierung aktiv angehen. Das Digitalisierungsprojekt ist ein positives Beispiel, wie das Land Baden-Württemberg und die kommunalen Träger bei unserem gemeinsamen Ziel, die deutsche Kolonialvergangenheit angemessen aufzuarbeiten, zusammenwirken können. Auch andere Kommunen möchten wir ausdrücklich zu einer Zusammenarbeit ermutigen.“

Dr. Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim:

„Dokumentation und Transparenz sind zentrale Voraussetzungen für den Dialog mit den Herkunftsländern. Ich bin froh, dass die Reiss-Engelhorn-Museen hier mit Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst diesen wichtigen Schritt gehen, und zugleich von Beginn an die internationale Kooperation in den Blick nehmen.“

Prof. Dr. Wilfried Rosendahl, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim:

„Wir sind dem Wissenschaftsministerium für seine Unterstützung sehr dankbar. Ganz bewusst haben wir uns dafür entschieden, die neu geschaffene Stelle mit einem Wissenschaftler aus Afrika zu besetzen. Auf diese Weise fließt bereits bei der Sichtung und Digitalisierung der Sammlungen die Perspektive der Herkunftsgesellschaften ein. Wir streben einen regen Austausch auf Augenhöhe an. Um den Dialog mit den Herkunftsregionen zu intensivieren, planen wir zudem eine Kooperation mit den Universitäten in Lomé und Düsseldorf. Auf diese Weise soll die junge Generation ins Gespräch kommen.“

Zu den beiden Sammlungen

Sammlung „Bumiller“

Theodor Bumiller (1864-1912) war viele Jahre in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika tätig. Er diente zeitweise als Adjutant Hermann von Wissmanns bei Militärexpeditionen, dann als hoher Kolonialbeamter in Ostafrika. Wissmann hatte als Reichskommissar und später Gouverneur von Ostafrika u.a. 1888 den Aufstand der ostafrikanischen Küstenbevölkerung blutig niedergeschlagen. Zudem gelangte er als Forscher zu Bekanntheit. Wegen seiner Tätigkeiten für die Kolonialverwaltung und seiner persönlichen Handlungen wird die Person Bumillers heute sehr kontrovers beurteilt. Er trug eine umfangreiche Sammlung an ethnografischen Objekten zusammen, von denen die große Mehrheit aus Ostafrika stammt. Diese Sammlung befindet sich seit 1920 an den Reiss-Engelhorn-Museen. Sie umfasst ca. 460 Objekte sowie zahlreiche Archivalien und Dokumente, darunter mehrere Expeditionstagebücher. Die Provenienz der Objekte ist größtenteils nicht näher bekannt. Nach bisherigen Erkenntnissen erwarb Theodor Bumiller den Hauptteil der Objekte von dem deutschen Reiseschriftsteller und Journalisten Fritz Bley (1853-1931), dessen Erwerbsquellen noch nicht erforscht sind.

Sammlung „Thorbecke“

Franz Thorbecke (1875-1945) und seine Frau Marie Pauline (1882-1971) reisten 1911-13 durch Kamerun, wobei der Geograph Thorbecke Möglichkeiten zur kolonialen Inwertsetzung des Kameruner Graslandes untersuchen sollte. Dabei sammelte das Ehepaar umfangreich naturkundliche und ethnografische Objekte, von denen etwa 2000 an die Reiss-Engelhorn-Museen gelangten. Weitere Bestände befinden sich in Köln (Rautenstrauch-Joest-Museum), wobei Mannheim fast sämtliche Ethnographica sowie annähernd 90 Aquarelle Marie Pauline Thorbeckes besitzt. Die Objekte stammen von verschiedenen Ethnien im Gebiet des heutigen Kamerun und wurden teils gekauft, gegen Tauschwaren eingehandelt und teils als Geschenk überlassen. Auch wenn bei vielen Gegenständen nicht von einer rechtswidrigen Aneignung auszugehen ist, bleibt die Provenienz meist ungeklärt. Vieles gelangte über Mittelsmänner an die Thorbeckes, so dass eine Klärung der Herkunftsverhältnisse notwendig ist.

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